Hauptmenü Accesskey 1 Hauptinhalt 2 Footer 3 Suche 4 Impressum 8 Kontakt 9 Startseite 0
Neu Presse TV-Tipps Termine
© Queer Communications GmbH
https://queer.de/?22130

Aufklärung über sexuelle Vielfalt

"Auch Lehrer und Eltern haben Vorurteile"

  • 18. August 2014 25 6 Min.

Auf dem 4. Bundesnetzwerktreffen von LGBT-Bildungs- und Aufklärungsprojekten in der Akademie Waldschlösschen wurde am 31. Mai um 23:48 Uhr nach einjähriger Vorbereitungszeit der Verein "Queere Bildung - Bundesverband für Bildungs- und Aufklärungsarbeit in Bezug auf geschlechtliche und sexuelle Vielfalt" gegründet. Jetzt geht er erstmals an die Öffentlichkeit

Schulaufklärungs-Projekte aus ganz Deutschland haben sich zum Bundesverband Queere Bildung zusammengeschlossen und fordern einheitliche Standards. Im Interview sprechen zwei der Initiatoren über Erfahrungen und Ziele.

Interview: Marvin Mendyka

queer.de: In Baden-Würtemberg hat der Bildungsplan für heftige Proteste gesorgt. Seid ihr schockiert von der großen Anzahl an Unterschriften, die die Bildungsplan-Gegner sammeln konnten?

Benjamin Kinkel: Wir empfanden die Diskussion rund um den Bildungsplan als Weckruf. Natürlich wissen wir durch unsere Arbeit von den teilweise sehr hartnäckigen Vorurteilen einiger Menschen. Wie unsachlich und diskriminierend viele Diskussionen um den Bildungsplan geführt wurden, hat jedoch erneut sichtbar gemacht, wie selbstverständlich Homo- und Transphobie als legitime Meinungen akzeptiert werden. Unter anderem dafür haben wir im vergangenen Mai den Bundesverband Queere Bildung e.V. gegründet.

Wie wollt ihr euch als Bundesverband Queere Bildung an der Diskussion beteiligen?

Gabriele Schaller: Als Bundesverband wollen wir zukünftige Diskussionen sachlich begleiten und für die Menschenrechte von lesbischen, schwulen, bi-, trans- und intersexuellen Jugendlichen eintreten, die sie eben auch an Schulen haben. Die Politik hat eine Verpflichtung, sich für ein diskriminierungsfreies Lernen einzusetzen. Ein Bildungsplan wie in Baden-Württemberg, der sexuelle und geschlechtliche Vielfalt zum Thema macht, ist also auch für andere Bundesländer ein wichtiger Schritt.

Benjamin Kinkel: In Niedersachsen soll nun auch ein Bildungsplan aufgelegt werden, und leider gibt es auch hier den Versuch, mit falschen Parolen Angst zu verbreiten (queer.de berichtete). Wir wollen uns in diese Debatte einmischen und mit unserer Expertise dagegenhalten. Wir brauchen nicht weniger, sondern mehr Aufklärung.


Gabriele Schaller ist Diplom-Pädagogin und arbeitet hauptberuflich für das Aufklärungsprojekt München e.V.

Die Bildungsplan-Gegner haben immer wieder von "Umerziehung" gesprochen und damit indirekt auch euch angegriffen…

Benjamin Kinkel: Das ist genau das, was ich mit falschen Parolen meine. Der Begriff "Umerziehung" soll Angst machen, das ist ja ganz klar. Aber wer sich ein bisschen auskennt, weiß, dass niemand zu einer bestimmten sexuellen Orientierung oder zu einer geschlechtlichen Identität "umerzogen" werden kann. Uns geht es um die Akzeptanz von sexueller und geschlechtlicher Vielfalt. Hätten die Bildungsplan-Gegner mal an einem Aufklärungsworkshop teilgenommen, wären weniger Unterschriften zusammengekommen, da sind wir uns ganz sicher.

Wenn ihr an die Schulen geht, was genau macht ihr in euren Workshops?

Gabriele Schaller: Wir klären auf, sensibilisieren und vermitteln Ideen, wie Unterschiedlichkeiten gegenseitig akzeptiert werden können. Dazu greifen wir auf einen Pool an Methoden zu Geschlechterrollen, Familienbildern, Diskriminierungen und Privilegien zurück, um Vorurteile aktiv zu hinterfragen. Der Schwerpunkt liegt dabei auf den Themen sexuelle und geschlechtliche Vielfalt. Zwar kennen viele Jugendliche Lesben, Schwule, Transgender oder Trans­sexuelle aus den Medien, aber ernsthafte Gespräche haben nur selten stattgefunden. Genau das ändern unsere Workshops.

Inwiefern?

Gabriele Schaller: In unseren Workshops haben die Jugendlichen die Möglichkeit, Fragen zu stellen. Mir wird zum Beispiel immer die Frage gestellt, wie mein Coming out war. Das berichte ich dann aus meiner persönlichen Erfahrung und erzähle noch ein bisschen darüber, wie die Coming-outs von anderen gelaufen sind. Oft haben die Jugendlichen dann sofort Nachfragen, beispielsweise wie meine Familie und der Freundeskreis reagiert habe oder ob ich in der Öffentlichkeit Händchen haltend mit meiner Freundin rumlaufe. Wenn ich dann erzähle, wie das bei mir ist und erkläre, dass ich in manchen Momenten nicht Händchen haltend rumlaufe, aus Angst vor negativen Reaktionen, dann denken erst viele darüber nach und verstehen, dass es belastend sein kann, über sowas überhaupt nachdenken zu müssen!

Wie sind die Reaktionen der Schülerinnen und Schüler?

Benjamin Kinkel: Natürlich gibt es die unterschiedlichsten Reaktionen. Wenn ablehnende Äußerungen kommen, dann werden oft verallgemeinerte Vorurteile herangezogen. Etwa dass es in der Natur nur zwei Geschlechter gebe, dass Homosexualität unnatürlich sei oder Lesben keine richtigen Frauen und Schwule keine richtigen Männer seien. Dann gibt es religiöse Überzeugungen, also dass es Sünde sei, und schließlich gibt es auch eine empfundene Hilflosigkeit, weil viele nicht wissen, wie sie mit dem Thema umgehen sollen. Unsere Workshops helfen, indem sie eine Begegnung ermöglichen und so aufzeigen, dass der Umgang mit allen Menschen vor allem von Respekt geprägt sein sollte.

Gabriele Schaller: Grundsätzlich können wir aber sagen, dass die positiven Rückmeldungen ganz klar überwiegen. Typische Reaktionen sind etwa "Toll, dass ihr so offen wart!" oder "Das ist super wichtig, darüber müssten wir eigentlich viel mehr reden!". Oder eben auch "Ihr seid halt auch einfach Menschen, cool, dass ihr da wart!" Sprich: Wir erleben ein großes Interesse und viel Offenheit.

- w -


Benjamin Kinkel hat Kommunikations- und Politikwissenschaft studiert, ist Landeskoordinator des Aufklärungsnetzwerks SchLAu NRW und Mitglied im Fachbeirat der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld

Aber die "schwule Sau" ist nach wie vor eines der beliebtesten Schimpfwörter auf Schulhöfen, oder nicht?

Gabriele Schaller: Ja zumindest eines, das sehr häufig genutzt wird und zwar für alles, was nicht so richtig gefällt. Mathe ist dann plötzlich schwul oder eben auch ein Handy oder andere alltägliche Dinge. Vielen Jugendlichen ist gar nicht bewusst, dass sie damit "schwul" grundsätzlich mit "schlecht" oder "negativ" gleichsetzen. Für Jugendliche im Coming-out ist diese Gleichsetzung fatal, weil damit ihre eigene Identität eben als schlecht oder negativ bewertet wird, ganz unabhängig davon, ob das wirklich so gemeint war. Und genau darauf machen wir aufmerksam.

Gibt es von Seiten der Schulen Berührungsängste oder seid ihr dort gern gesehene Gäste?

Gabriele Schaller: Wir sind ja darauf angewiesen, dass die Schulen uns einladen. Oft wird unser Besuch auf Konferenzen vorher besprochen, die Schulleitung wird eingebunden und manchmal auch die Eltern. Das ist dann selbst schon Aufklärung, weil viele Vorbehalte und Vorurteile eben auch bei Lehrkräften und Eltern existieren. Meistens dürfen wir unsere Workshops dann auch wirklich durchführen, manchmal aber eben auch nicht. Und natürlich gibt es auch Schulen, die das Thema für vollkommen unwichtig halten.

Benjamin Kinkel: Allgemein können wir jedoch sagen, dass der Bedarf an Aufklärungsworkshops in den letzten Jahren deutschlandweit stark gestiegen ist. Immer mehr Schulen fragen an oder planen uns als feste Kooperationen in jedes Schuljahr mit ein. Das geht so weit, dass einige Projekte mehr Anfragen bekommen als sie ehrenamtlich leisten können. Natürlich ist das ein Erfolg, es zeigt aber auch, dass wir als Bildungs- und Aufklärungsprojekte mehr bundespolitische Unterstützung brauchen, um alle Anfragen abzudecken.

Und welche Rolle soll der Bundesverband Queere Bildung e.V. dabei spielen?

Benjamin Kinkel: Seit mehreren Jahren arbeiten wir als Bildungs- und Aufklärungsprojekte in einem deutschlandweiten Netzwerk mit gemeinsamen Qualitätsstandards zusammen. Es war jetzt einfach an der Zeit, daraus einen Bundesverband zu gründen, um uns noch stärker zu professionalisieren. Vor allem wollen wir weitere Projekte in ihrer Gründung unterstützen. Es gibt noch zu viele Städte und Regionen, in denen Schulen gar nicht auf unsere Workshops zurückgreifen können.

Zum Abschluss ein Blick in die Zukunft: Werden Schulen in absehbarer Zeit ein Ort ohne Homo- und Transphobie sein?

Gabriele Schaller: Schulen sind ja immer nur der Spiegel einer Gesellschaft. Was wir brauchen, ist deshalb eine Gesellschaft, die ihre Vielfalt und Unterschiedlichkeit als Wert begreift. Für uns ist das Teil von demokratischer Menschenrechtsbildung und die gehört in die Lehrpläne. Und bis dahin müssen wir schon noch ein paar Schritte gehen. Ich bin aber überzeugt, dass sich in den nächsten Jahren immer mehr Schulen für die Rechte und die Akzeptanz ihrer lesbischen, schwulen, bi-, trans- und intersexuellen Schüler einsetzen werden. Wir helfen gerne dabei.

-w-

#1 Legrandphilipp
  • 18.08.2014, 09:55h München

  • Ich kann das nur begrüßen. Als Lehrer an einem Gymnasium bei München hab ich schon bereits zweimal mit solchen Aufklärungsprojekten sehr gute Erfahrungen gemacht. (Einmal davon mit der interviewten Frau Schaller). Der Großteil der Schüler nimmt es positiv an und der kleine Rest hat wenigstens veranschaulicht bekommen, dass da ganz normale Menschen vor ihnen sitzen.
  • Direktlink »
#2 MariuszAnonym
  • 18.08.2014, 13:09h
  • Mir geht das nicht weit genug, die Teenager sollten mit Nachdruck motiviert werden, gleichgeschlechtige sexuelle Erfahrungen zu sammmeln, und auch in gemischten Gruppen, damit sie sicher sagen können, welche sexuelle Neigung sie haben. Manche Männer verschleppen Homosexualität nämliche weit in ihre Vierziger.
    Aber so was nennt die dumbe Masse dann Homopropaganda anstatt Entwicklungshilfe.
  • Direktlink »
#3 sperlingAnonym
  • 18.08.2014, 13:37h
  • Antwort auf #2 von Mariusz
  • wie schön, einmal mit einer guten nachricht in die woche zu starten.

    ich ziehe meinen hut vor den vielen leuten, die sich ehrenamtlich und offenbar wirklich professionell in den schulen engagieren. ich finde es sehr ermutigend, dass so etwas passiert und habe keinen zweifel, dass das wirklich etwas bewegt.

    vielleicht kommt ja der eine oder die andere beim lesen des artikels auf die idee, da mitzumachen.

    schön ist auch, dass es nun eine größere vernetzung gibt, die diesem thema hoffentlich mehr aufmerksamkeit und nachdruck ermöglichen wird.

    natürlich muss diese "kleinarbeit" von ansätzen auf der gesellschaftspolitischen ebene ergänzt werden. aber ich bin mir ziemlich sicher, dass es nur solche individuellen begegnungen (nicht nur in schulen, sondern überall) sind, die eine wirklich nachhaltige akzeptanz schaffen können.

    respekt! weiter so!
  • Direktlink »

Kommentieren nicht mehr möglich
nach oben
Debatte bei Facebook

Newsletter
  • Unsere Newsletter halten Dich täglich oder wöchentlich über die Nachrichten aus der queeren Welt auf dem Laufenden.
    Email: