Hauptmenü Accesskey 1 Hauptinhalt 2 Footer 3 Suche 4 Impressum 8 Kontakt 9 Startseite 0
Neu Presse TV-Tipps Termine
© Queer Communications GmbH
https://queer.de/?22421
  • 04. Oktober 2014 39 5 Min.

Dries Verhoeven in seinem Container auf dem Berliner Heinrichplatz. Seine (anonymisierten) Chats mit anderen Schwulen kann jeder mitlesen (Bild: Sascha Weidner)

Ahnungslose schwule Dating-App-Nutzer sollen nun beim Berliner Projekt "Wanna Play?" komplett anonymisiert und gleich zu Beginn aufgeklärt werden.

Nach einem Shitstorm im Internet, einer Strafanzeige, einer Schlägerei und einem Flaschenwurf hat das Berliner Theater HAU Hebbel am Ufer am Freitag reagiert: Bei dem von niederländischen Künstler Dries Verhoeven konzipierten Kunstprojekt "Wanna Play? – Liebe in Zeiten von Grindr" sollen nun die Persönlichkeitsrechte der unfreiwillig Beteiligten besser geschützt werden.

Der niederländische Künstler hatte am 1. Oktober für 15 Tage seine Zelte in einem mobilen Pavillon am Heinrichplatz im Berliner Stadtteil Kreuzberg aufgeschlagen und ist über Smartphone-Apps wie Grindr in Kontakt mit schwulen Usern aus der Nachbarschaft getreten (queer.de berichtete). Viele von ihnen sind seiner Einladung gefolgt, ihn in seinem improvisierten Zuhause zu besuchen. Möglich ist alles – außer Sex.

Trotz Anonymisierung wurde ein Chat-Partner erkannt


Zwei Wochen im Dauer-Chat-Einsatz: Künstler Dries Verhoeven

Obwohl die Profilseiten der Grindr-User, die im Pavillon auf eine LED-Leinwand projiziert werden, als Negative angezeigt wurden, konnte mindestens ein User, der sich anonym wähnte, von Bekannten identifiziert werden. "Diesen Vorgang bedauern wir sehr und bitten um Entschuldigung", heißt es nun in einer von der Künstlerischen Leitung des Theaters veröffentlichen Stellungsnahme. Der Betroffene schrieb auf Facebook, er habe sich "digital vergewaltigt" gefühlt. Er kündigte eine Strafanzeige ein.

Am Donnerstagabend war es zudem zu einer tätlichen Auseinandersetzung gekommen: Nachdem eine Chat-Bekanntschaft von Dries Verhoeven realisierte, dass er Teil eines Kunst-Experiments ist, schlug er auf den Künstler ein. Eine Scheibe des Containers ist beschädigt, weil jemand eine Flasche dagegen geworfen hat. Nun schützen Sicherheitskräfte den Pavillon am Heinrichplatz rund um die Uhr.

Als Reaktion auf die Proteste werden alle projizierten Fotos seit Freitag nur noch bis hin zur Unkenntlichkeit verschwommen dargestellt. "Darüber hinaus klärt Dries Verhoeven in seinen auf Smartphone-Apps unterhaltenen Profilen seine Chatpartner noch deutlicher darüber auf, dass sie gerade Teil eines im öffentlichen Raum angesiedelten Kunstwerks sind, indem er sie vorab um ihre Zustimmung bittet", heißt es in der Erklärung des HAU.

Niemand solle durch die digitale Kontaktaufnahme mit Verhoeven "in eine Situation geraten, die nicht auf gegenseitigem Einvernehmen beruht", schrieb das Theater. "Es liegt dem Künstler und dem HAU Hebbel am Ufer fern, eine wie auch immer geartete Form des Outings zu betreiben."

Weiter heißt es in der Erklärung: "Das HAU Hebbel am Ufer hält diese Arbeit von Dries Verhoeven, so kontrovers sie auch aufgenommen wird, für einen relevanten Beitrag zu der Frage, wie sich Liebe, Sex und Sehnsucht, nicht nur in der homo­sexuellen Community, durch den Siegeszug sozialer Medien verändern und wie sich die Grenzen zwischen digitalem und öffentlichen Raum verwischen". Das Projekt werde deshalb in der modifizierten Form fortgesetzt.

Das HAU kündigte zudem für den 15. Oktober nach Abschluss der Aktion eine öffentliche Diskussionsveranstaltung mit dem Künstler an. (cw)

 Update  21.15h: Politik schaltet sich ein

Joschka Langenbrinck, SPD-Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses, hat sich in einem Schreiben an das HAU über die "unverschämte Idee" beschwert: "Ich schäme mich dafür, dass Ihre 'Kunstaktion' auch mit meinen Steuergeldern über den Hauptstadtkulturfonds gefördert wird und bitte Sie eindringlich, die Performance unverzüglich zu beenden." Diese stelle "Homo­sexuelle in aller Öffentlichkeit bloß und an den Pranger" und bediene "ganz billige Art Vorurteile und leider immer noch gängige Stigmata in unserer Gesellschaft".

Der Künstler trete den Datenschutz und die Persönlichkeitsrechte der Nutzer massiv mit Füßen, so der 29-Jährige, den der Brief u.a. auch an den Berliner Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit, an Kulturstaatssekretär Tim Renner und den Datenschutz­beauftragten Alexander Dix sandte. "Auf den Gedanken, dass Grindr-User möglicherweise mithilfe Ihrer 'Kunstaktion' zwangsgeoutet werden, ist in Ihrem Haus anscheinend niemand gekommen." Langenbrinck forderte eine öffentliche Entschuldigung und eine Stellungnahme des Theaters.

 Update  22.00h: Kritik auch von Michael Kauch
Auch Michael Kauch, der Bundesvorsitzende der Liberalen Schwulen und Lesben, hat an das Theater geschrieben. "Mit Entsetzen musste ich feststellen, wie unter dem Deckmantel von Kunst Persönlichkeitsrechte unbeteiligter schwuler Männer (…) mit Füßen getreten werden." Das Projekt sei "keine künstlerische Auseinandersetzung über zwischenmenschliche Kommunikation im digitalen Zeitalter, sondern eine neue Form des Schwulen-Prangers." Private Kommunikation werde ohne Einwilligung der Betroffenen öffentlich gemacht. "Inwieweit das straf- oder zivilrechtlich von Belang ist, mögen andere beurteilen. In jedem Fall ist es in hohem Maße unethisch", so Kauch bereits am Morgen in einem Eintrag am Morgen auf der Facebook-Seite des Theaters. Dort stellte er zahlreiche weitere Fragen.

 Update  5.10., 0.15h: Künstler stellt sich am Sonntag öffentlicher Debatte

Das Hau teilte soeben mit: "Die von Dries Verhoeven konzipierte Intervention 'Wanna Play? Liebe in Zeiten von Grindr' hat in den queeren Communities und der Öffentlichkeit so heftige Kritik und Emotionen ausgelöst, dass der Künstler gemeinsam mit dem HAU Hebbel am Ufer die Entscheidung getroffen hat, seinen Pavillon am Heinrichplatz vorübergehend zu verlassen und sich der öffentlichen Diskussion im direkten Gespräch zu stellen. Die Veranstaltung findet am 5. Oktober ab 19 Uhr im HAU2, Hallesches Ufer 32, 10963 Berlin, statt. Eike Wittrock moderiert das Gespräch, auf dem Podium ist außerdem Martin Dannecker. Die Diskussion wird zu einem frühen Zeitpunkt für Beiträge aus dem Publikum geöffnet. Wir hoffen auf eine produktive Diskussion."

 Update  5.10., 19.50h: Aktion vorzeitig beendet

Am Nachmittag haben Dries Verhoeven und das HAU Hebbel am Ufer laut einer Pressemitteilung entschieden, das Projekt "Wanna Play? – Liebe in Zeiten von Grindr" vorzeitig zu beenden. Es hätte eigentlich noch bis zum 15. Oktober laufen sollen. Zuvor hatte es noch geheißen, der Künstler untervreche das Projekt nur für eine für den Abend angesetzte Diskussionsrunde.

Umfrage zum Artikel

» Was hältst du von Dries Verhoevens Kunstprojekt "Wanna Play"?
    Ergebnis der Umfrage vom 03.10.2014 bis 10.10.2014
-w-

#1 reiserobbyEhemaliges Profil
  • 04.10.2014, 16:53h
  • Mit Nazimethoden gegen schwule Kunst. Krass.
  • Direktlink »
#2 JahnAnonym
#3 reiserobbyEhemaliges Profil
  • 04.10.2014, 17:57h
  • Antwort auf #2 von Jahn
  • Populär scheint meine Sicht auf die Dinge nicht gerade zu sein. Populistisch ist meine Meinung auch nicht, sondern konträr zum Mainstream. Bin tief besorgt. Bleiben wir aber bei Begriffen. Allein der Begriff "Vergewaltigung" ist eine Verhöhnung wirklicher Missbrauchs-Opfer. Im Kern geht es doch eigentlich darum, das kontroverse Kunst im schwulen Kosmos nicht erwünscht ist, wenn Teile der Realität im kritischen Kontext beleuchtet werden. Ähnlich wie der Mob in Nazideutschland akzeptiert die Berliner Schwulenszene lediglich die Kunst, die beweihräuchert, Helden darstellt oder die Opferrolle stilisiert. Die Wut auf den Künstler ist genährt von einer Art Groll, die der Verfemung von "Nestbeschmutzern" aus anderen Lagern entspricht. Und wenn Kunst als entartet, gefährlich, widerlich und Schweinerei bezeichnet wird, setzt bei mir jedenfalls der Beschützer-Instinkt ein. Der Künstler wurde geschlagen, Attacken verübt, Kunst als gefährlich gebrandmarkt. Das sind Auswüchse mit denen in Nazideutschland gegen Kunst geschossen worden ist. Wird nicht besser, wenn Schwestern das 2014 machen. Übrigens ist Schwulsein nichts, was zu entblößen wäre, In den Fifties leben wir schließlich auch nicht mehr.
  • Direktlink »

Kommentieren nicht mehr möglich
nach oben
Debatte bei Facebook

Newsletter
  • Unsere Newsletter halten Dich täglich oder wöchentlich über die Nachrichten aus der queeren Welt auf dem Laufenden.
    Email: