Ein wichtiges Kapitel schwuler Geschichte als Spielfilm: Die geheime Homo-Vereinigung "Der Kreis" lud im Zürich der 1950er und 1960er Jahre auch zu eigenen Bällen ein (Bild: Edition Salzgeber)
Der Spielfilm "Der Kreis" erinnert an die gleichnamige Schweizer "Schwulenhilfsorganisation" der 1950er und 1960er Jahre – mitreißendes Drama und einfühlsame Dokumentation zugleich.
Von Robert Niedermeier
Zürich, Mitte der 1950er Jahre. In einer Epoche, wo die Dame rechtlich das Eigentum jenes Ehegatten ist, der zum Schein den heterosexuellen Herren mimt und deshalb auf einer Klappe für Sex mit Strichern zahlen muss, um auf seine Kosten zu kommen, haben homophile Männer wenig zu lachen. Zumindest nicht in aller Öffentlichkeit.
Das kleine bisschen an heiler schwuler Welt ist einem elitären Personenkreis vorbehalten, der entweder genügend Geld, künstlerisches Talent oder das gute Aussehen besitzt, um in heimlichen Zirkeln mitmischen zu dürfen. "Hast du schon einen Codenamen", wird der junge Lehrer Ernst (Matthias Hungerbühler) gefragt, als er schüchtern-ängstlich in die Welt vordringt, zu der er dazu gehören möchte.
Die Schutz-Zone des bürgerlichen Homosexuellen
Plakat zum Film: Der Schweizer "Der Kreis" startet am 23. Oktober im Verleih der Edition Salzgeber endlich auch in deutschen Kinos. Der Film ist die Schweizer Nominierung für den Oscar für den besten fremdsprachigen Film
"Der Kreis", das ist der Titel des Films über die gleichnamige schwule Schweizer Untergrundorganisation. "Rolf" ist der Codename des homosexuellen Schauspielers Karl Meier (Stefan Witschi). Der Promi gründet die Gruppe bereits in den 1930er Jahren, verlegt im Verborgenen mit mutigen Helfern das Magazin zum elitären Club.
"Wir haben den Krieg überstanden", verteidigt er die Zusammenarbeit mit der Sittenpolizei, während die jungen Schwulen in seinem Umfeld herausdrängen aus dem Versteck im Keller. Sie wollen sich wehren, auf der Straße protestieren, doch Rolf hat Angst, seine Schutz-Zone zu verlieren. Nicht grundlos.
Der durch Interviews mit Zeitzeugen und dokumentarischem Schwarz-weiß-Material ergänzte Spielfilm von Stefan Haupt erzählt eindringlich, woher Rolfs Ängste rühren. Neben rassistischen Verbalentgleisungen gehören auch im relativ liberalen Zürich der 1950er und 1960er Jahre homophob motivierte Attacken zum guten Ton der Gesellschaft. Fällt ein homosexueller Mann mal wieder einem grausamen Mord zum Opfer, dreht die Justiz die Realität infam ins Gegenteil. Der tote Schwule wird zum Täter, der Täter zum Opfer homosexueller Triebe erklärt. Die Presse jubelt über einen "Sieg der Menschlichkeit", als ein Schwulen-Mörder straffrei davonkommt.
Zwar steht, anders als in der jungen Bundesrepublik Deutschland, praktizierte Homosexualität nicht unter Strafe, Zürich gilt gar als Mekka der "homophilen" Freizügigkeit, doch geächtet ist es dennoch, wenn ein Mann "anders als die Anderen" ist.
Ernsts Vater sagt im Film deutlich, was er von Taugenichten hält, die keine Verantwortung für Frau und Kinder übernehmen, stempelt sie – und damit auch seinen eigenen Sohn – als seelisch verkrüppelt und infantil ab. Derweil nimmt die Polizei den dritten "Homo-Mord" zum Anlass, Willkür walten zu lassen, Menschen bloßzustellen, zu entwürdigen und in den Suizid zu treiben.
Homo-Magazine nach Deutschland geschmuggelt
Prominente Besetzung: Marianne Sägebrecht glänzt als tolerante Mutter des Travestie-Künstlers Röbi (Bild: Edition Salzgeber)
Vor dieser feindseligen Kulisse entführt der Regisseur die Zuschauer in die rührende Liebesgeschichte zwischen dem vorsichtigen Lehrer Ernst und dem frivolen Travestie-Künstler Röbi (Sven Schelker). Mit dem Film taucht der Zuschauer ein in die Homo-Szene Zürichs, hört Pop der Sechziger, tanzt mit jungen Männern im legendären "Barfüsser" (heute eine Sushi-Bar), kostümiert sich aufwändig für einen "Der Kreis"-Ball im Theater am Neumarkt, fliegt mit der "Warm-Luft-Hansa" aus dem schwulenfeindlichen Deutschland ein oder schmuggelt wie eine schwule Version von Bonny und Clyde – nur ohne Waffen – Homo-Gazetten mit dem Motorrad über die grüne Grenze ins Feindesland.
Großartige Schauspieler wie Marianne Sägebrecht als Röbis liebevolle und tolerante Mutter bereichern diesen überaus wichtigen Film zusätzlich. Das Ensemble spielt grandios und durchweg glaubhaft. Die Dialoge beim Tratsch übers "Frischfleisch", die tuntig kultivierten Lästereien – all das wirkt authentisch und ist zugleich überaus unterhaltsam inszeniert.
Da sind etwa die mit den Homo-Männern solidarisierenden Lesben, die trotzdem nicht vom affektiert-aristokratisch und manierlich agierenden Rolf gänzlich akzeptiert werden. Auch der Konflikt zwischen konservativer Anpassung an den Status quo und linkem Willen zum Protest ist greifbar. Die Kostüme, die Alltagskleidung, selbst die Requisiten sind detailverliebt platziert.

Eine Story, die sich Hollywood nicht besser hätte ausdenken können
Die Zeitzeugen-Interviews zwischen den Spielszenen reißen den Zuschauer jedoch immer wieder heraus aus der Story, die sich Hollywood nicht besser hätte ausdenken können, und holen ihn zurück in die brutale und hoffnungslos wirkende Realität von damals. Personen aus dem echten Leben, etwa die Schwester von Ernst und das Traumpaar selbst, schildern die Hintergründe des von Aufbruch und Spießigkeit geschwängerten Zeitgeistes. Das macht den zweieinhalb Stunden langen Film "Der Kreis" zum Sonderfall und zu einem sehenswerten Meisterwerk.
Der von Mut und Feigheit, von Schönheit und Hässlichkeit sowie von Hass und Liebe geprägten Geschichte der homosexuellen Befreiung setzt "Der Kreis" ein cineastisches Denkmal. Ein Drama und eine Dokumentation in einem Guss – mit Stil, Gefühl und dank fleißiger Recherche hervorragend umgesetzt.
"Gleiche Rechte für alle – das ist mein Kommunismus", sagt Felix (Anatole Taubman), die "rote Schwester" mit der rebellischen Lederjacke, bevor er Ernst zum Seitensprung im Grünen verführt. Doch ausgerechnet die ab 1967 einsetzende Liberalisierung läutet das Ende des "Kreises" ein, lässt das Lebenswerk des zunehmend verbittert und altbacken wirkenden Rolfs in Luft auflösen. Im Aufruhr der Studentenbewegung formiert sich auch in Zürich die Homo-Bewegung neu.
Für den bürgerlichen Rolf bricht eine Welt zusammen. Das Private ist plötzlich politisch geworden. Ernst hat endlich sein wirkliches Coming-out, übernimmt Verantwortung für die Sache, das schwule Selbstbewusstsein wird geboren. Die Liebe von Röbi und Ernst hält Stand. "Wir bleiben zusammen, für immer", verspricht der Lehrer seinem Künstler in der größten Not und meint es ernst – bis heute.
Youtube | Offizieller Trailer zum Film
Infos zum Film
Der Kreis. Spielfilm. Schweiz 2014. Regie: Stefan Haupt. Darsteller: Matthias Hungerbühler, Sven Schelker, Marianne Sägebrecht, Röbi Rapp, Ernst Ostertag. Laufzeit: 100 Minuten. Deutsche Synchronfassung, zum Teil Deutsch untertitelt. Verleih: Edition Salzgeber. Bundesweiter Kinostart: 23. Oktober 2014.
Ich hoffe, dass der auch in meiner Nähe laufen wird.