Ansgar Dittmar will als alter und neuer Vorsitzender der Schwusos Druck auf das homosexuellenfeindliche Kanzleramt ausüben (Bild: Helge Birke)
Schwusos-Chef Ansgar Dittmar weist im queer.de-Interview die Anschuldigung zurück, dass sich die SPD in der Bundesregierung nicht genug für LGBT-Rechte einsetzt. Den Schwarzen Peter schiebt er allein der Union zu.
Von Dennis Klein
Ansgar Dittmar ist am Wochenende als Chef der Arbeitsgemeinschaft der Lesben und Schwulen in der SPD (Schwusos) wiedergewählt worden (queer.de berichtete). Im Interview gibt er sich kämpferisch: Der Union drohten "Konsequenzen" bis hin zum Koalitionsbruch, sollte sie weiter LGBT-Rechte blockieren. Als Hauptgegner identifiziert er den Kanzlerinnenbauch.
queer.de: Die SPD seit einem knappen Jahr im Bund an der Regierung. Wie zufrieden sind die Schwusos damit?
Ansgar Dittmar: Der Koalitionsvertrag ist für uns eher eine Belastung als eine Bereicherung. Ich bin zwar immer noch sehr glücklich, dass unser Verhandlungsteam relativ viel herausgeholt hat, trotz der starken Blockadehaltung der Union. Johannes Kahrs hat beim Bundestreffen am Samstag gesagt, dass die Union gleich zu Anfang erklärt hatte, dass sie über zwei Themen nicht diskutiert: Das eine ist der EU-Beitritt der Türkei, das andere sind Schwulen und Lesben. Dafür steht trotzdem relativ viel im Vertrag. In der SPD gibt es aber eine klare Beschlusslage – wir wollen die Gleichstellung. Die hebt der Koalitionsvertrag auch nicht auf. Wir haben mit der Union keine Ehe, sondern maximal eine Beziehung auf Zeit. Ich hätte nichts dagegen, wenn es auch manchmal eine polyamoröse Beziehung gibt.
Wechselnde Mehrheiten wird die Union nicht zulassen.
Das stimmt, wir müssen aber in der Koalition als SPD unserer Vermittlerrolle gerecht werden. Wir haben etwa verschiedene Anträge zum Paragrafen 175 verabschiedet. Wir begrüßen, dass sich Heiko Maas des Themas Rehabilitierung und Entschädigung sehr intensiv annimmt.
Im Wahlkampf hatte die SPD 100 Prozent Gleichstellung versprochen – bei Themen wie der Ehe-Öffnung sind unsere Nachbarn aber viel schneller
Vor den Koalitionsverhandlungen hat sich das mit dem Wahlspruch "100 Prozent Gleichstellung nur mit uns" noch so angehört, als ob ihr auf euren Punkten in einer Koalition beharrt.
Damals dachten wir auch noch, dass wir die Wahl gewinnen. Unser Regierungsprogramm fand ich richtig klasse – es war so viel dabei, auch was unsere Themen betrifft. Wir hatten sogar einen Abschnitt zu Trans- und Intersexualität, was für ein SPD-Programm ein Novum war. Der Kanzlerkandidat hatte auch immer wieder über unsere Themen gesprochen – und darüber, wie man aus dem Biedermeier-Idyll der Union herauskommt hin zu einer modernen Gesellschaft. Umso mehr hat uns das Wahlergebnis betroffen gemacht, weil wir davon ausgegangen sind, dass wir mit unserem Programm die Leute stärker erreichen. Das mag eine Fehleinschätzung sein, aber das Thema war uns wichtig.
Ihr hattet aber vor den Wahlen auch gesagt, dass ihr ohne die Gleichstellung keine Koalition eingehen werdet.
Die Mitglieder haben am Ende anders entschieden. Bei dem Mitgliederentscheid wurden eben viele andere Themen auch berücksichtigt, etwa bei Rente oder Mindestlohn. Diese Themenbereiche haben zur Zustimmung geführt, unsere Themen sind leider unter den Tisch gefallen. So ist halt auch Demokratie.
Aber wie soll man den Schwusos 2017 noch glauben? Versprecht ihr dann 150 Prozent Gleichstellung?
Es kommt drauf an, wie es jetzt in der Koalition weiterläuft. Wir haben die Situation, dass vor allem das Kanzleramt gegen den Koalitionsvertrag die Gleichberechtigungsfragen blockiert. Alle Ungleichbehandlungen sollen dem Koalitionsvertrag zufolge abgeschafft werden. Hier müssen wir miteinander reden – und wenn sich die Union nicht dran halten möchte, muss man fragen, ob man sich selber an den Koalitionsvertrag halten muss. Die Torpedos kommen zurzeit aus dem Kanzleramt.
Glauben Sie im Ernst, dass die SPD wegen Rechte für Schwule und Lesben die Koalition platzen lässt?
Man sieht, dass es zumindest keine Liebesheirat ist. Ich bin immer noch verwundert, wie es in Hessen mit Schwarz-Grün läuft – da hat man den Eindruck, das ist eine Liebesheirat. Bei uns ist es – so hab ich den Eindruck – eine Beziehung auf Zeit, vielleicht auch kürzer als geplant. Wir sehen ja, was in der Koalition übereinander geredet wird. Es gibt grundsätzliche Fragen, über die geredet werden muss, Beispiel Paragraf 175. Eine Rehabilitierung müssen wir machen. Die Union kann hier nicht alles blockieren und muss sonst mit Konsequenzen rechnen. Gleiches gilt für die Entschädigung.
Was habt ihr für ein Druckmittel? Die Aussagen sind im Koalitionsvertrag sind ja etwas vage.
Es steht drin, dass wir darauf hinwirken, bestehende Diskriminierungen zu beseitigen. Gerade der Paragraf 175 gehört dazu, da wir auch eindeutige Signale vom Europäischen Menschenrechtsgerichtshof bekommen haben. Es gibt aber einige positive Signale aus der Union, auch die LSU zeigt sich engagiert. Ich habe Hoffnung.
Der neue Bundesvorstand der Schwusos mit ihrem Chef Ansgar Dittmar (6.v.l.) (Bild: Helge Birke)
Wenn man böse sein will, könnte man sagen, die SPD hat ja nicht mal hingekriegt, dass Regenbogenflaggen vor ihren Ministerien gehisst werden dürfen.
Gehangen haben sie – aber mit Verlaub: Vizekanzler [Sigmar Gabriel] und Kanzleramtsminister [Peter Altmaier] haben eigentlich wichtigeres zu tun, als über Regenbogenflaggen zu reden. Diese Ablehnung scheint bei der Union tatsächlich ein wichtiges Thema zu sein. Ich hätte es gern gesehen, wenn ein Unionsmensch versucht hätte, eine Regenbogenflagge aufzuhängen. Aber es ist unfair, dass immer alle auf die SPD einprügeln, obwohl wir eine Menge versuchen. Offensichtlich ist es aber gang und gäbe, auf den einzuprügeln, der das umsetzen will, als auf den, der sich massiv verweigert. Die Blockierer sitzen alleine in der Union, nicht in der SPD.
Ist es nicht etwas billig, immer mit dem Finger auf den Partner zu zeigen?
Das gehört nun mal zum deutschen Parlamentarismus dazu. Wenn der Koalitionspartner nicht mitziehen will, hebt das nicht die Beschlusslage in der SPD auf – und die ist eindeutig und wird von über 500.000 SPD-Mitgliedern getragen. Und das ist mehr als das Bauchgefühl von Frau Merkel.
Ist Rot-Rot-Grün ein Ausweg?
Ich fände Rot-Rot-Grün nicht schlecht, wenn die Linken regierungsfähig werden. In der Frage der Gleichstellung sind wir zwar sehr nah beieinander, aber was Außen- und Sicherheitspolitik betrifft, da muss die Linke kräftig nacharbeiten. Sie muss ihren Antimilitarismus hinterfragen, Stichwort Kobane. Mit den Argumenten der Linken kann man hier keine vernünftige Außenpolitik betreiben. Das muss man auch berücksichtigen, wenn man in eine Koalition geht – es gibt leider mehr als nur die Gleichstellungsfragen, denn damit würden wir sofort eine Koalition hinkriegen.
Sehen Sie die AfD als Gefahr für den Prozess der Gleichstellung?
Die AfD kann hier ein Problem werden. Die Union schaut ja gerade auf die AfD wie das Kaninchen auf die Schlange. Sie hat Angst, dass ihnen die neue Partei das wertkonservative Klientel abzieht. Und deswegen wollen manche die liberalen Tendenzen – etwa bei der Gleichstellung – aufgeben.
Wenn sich die AfD etabliert, kann die SPD ja bald nur noch Große Koalitionen machen.
Ja, das wäre schlecht. Wir brauchen eine Regierungsfähigkeit jenseits der Union. Ich betrachte deshalb das, was gerade in Thüringen mit Rot-Rot-Grün passiert, mit sehr großem Interesse. Ich finde die Entscheidung der SPD Thüringen richtig, einen neuen Weg zu gehen. In meiner Heimat Hessen hatten wir ja mal mit dieser Frage ein ganz massives Problem, aber in Thüringen stehen die Vorzeichen besser. Ich hoffe, dass dies Auswirkungen auf die Bundespolitik hat. Hier muss man Mauern im Kopf abbauen.
Rot-Rot-Grün wäre also 2017 möglich?
Ich halte das für eine Option. Sollte es die FDP dann noch geben, könnten wir auch über eine Ampel nachdenken. Das Auftauchen der AfD führt dazu, dass man stärker seine eigene Koalitionsfähigkeit überprüfen muss. Es wird auch entscheidend sein, wer in den Ländern regiert. Beim Lebenspartnerschaftsgesetz hat es ja eine Blockade der Union über den Bundesrat gegeben.
Was gab es noch für Themen beim Schwusos-Bundestreffen am Wochenende in Nürnberg?
Wir haben in Workshops die Themen "Homosexualität im Alter", "Gendergerechtigkeit" und die "Alltagshomophobie" ausführlich diskutiert. Hier gibt es auf Länderebene bei der Union noch starke Abwehrtendenzen – Beispiel Bildungsplan in Baden-Württemberg. Wir haben etwa zum Ziel, dass wir uns nicht mehr als Schwule und Lesben vor Behörden erklären müssen. Es ist beispielsweise mit der aktuellen Software unmöglich, dass Steuerbescheide für eingetragene Partnerschaften ausgestellt werden können. Das ist die alltäglich Diskriminierung, hieran müssen wir arbeiten. Wir brauchen dafür etwa für die Länder eigenständige Antidiskriminierungsgesetze, da der Bund viele Diskriminierungsbereiche nicht regeln darf. Es gibt einen Entwurf aus dem Land Berlin – der kommt aber grad nicht weiter, das hat aber was mit der Union zu tun. Surprise!
Ferner diskutieren wir zum Beispiel seit längerem über unseren Namen und ob wir ihn ändern wollen. Hintergrund ist, dass Teile unserer Mitglieder sagen, dass der Name zu sehr männerbelastet ist. Darüber werden wir bis nächstes Jahr wohl eine Entscheidung treffen. Die Berliner hatten Queer-Sozis vorgeschlagen, aber das ist ein Vorschlag von vielen.
Unter anderem haben wir auch beschlossen, dass HIV-Positive nicht allein strafrechtlich dafür verantwortlich zu machen sind, wenn es zu ungeschützten Geschlechtsverkehr kommt. Da gab es zum Beispiel den Fall mit den zwei Soldaten, die betrunken waren und miteinander in die Kiste gesprungen sind. Der eine ist dann verurteilt worden. Das ist nicht richtig.
Im Bund habt ihr noch zwei Jahre Zeit, dann ist wieder Wahlkampf. Was wird am Ende beschlossen werden?
Prognose oder Wunsch?
Erst der Wunsch.
Volle Rehabilitierung beim Paragraf 175, Nacharbeiten beim AGG, bessere Ausstattung und mehr Rechte für die Antidiskriminierungsstelle des Bundes. Ich wünsche mir, dass die Union in den Alltagsbereichen nicht so stark blockiert. Ich wünsche mir auch, dass CDU/CSU anerkennen, dass es etwas anderes gibt neben Vater-Mutter-Kind. Das ist nichts, das ihrer Werteorientierung zuwider läuft. Ich weiß aber nicht, wie schnell das vonstatten geht.
Und Ihre Prognose?
Ich glaube, dass sich viele an Muttis Bauchgefühl halten werden, auch wenn sie in Wirklichkeit eine andere Vorstellung haben. Hier ist Frau Merkel gefordert, ihr Bauchgefühl zu konkretisieren. Sie gehört ja selbst zu denen, die lange Zeit nicht nach den Werten der Union gelebt hat. Deswegen ist sie kein schlechterer Mensch – und sie sollte auch anderen ihre Rechte nicht weiter verwehren.