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Kinostart
Potential zum Kultfilm: "Pride"
- 29. Oktober 2014 4 Min.

"Pride" beruht auf einer wahren Geschichte: 1984 sammelten Lesben und Schwule im Großbritannien Margaret Thatchers Geld für streikende Bergarbeiter (Bild: Senator Film)
In Matthew Warchus' inspirierender, kraftvoller und zu Tränen rührender Komödie solidarisieren sich Lesben und Schwule mit streikenden Bergarbeitern.
Von Michael Thiele
Es gibt eine Szene in "Pride", die die ganze, wunderbare Großartigkeit dieses Films deutlich macht. Hefina, eine resolute Waliserin Anfang 60, liegt mit ihren ebenfalls aus Wales stammenden Freundinnen in London auf ihrem Gästebett, unter dem sie zwei Dinge hervor kramt – ein schwules Erotik-Heft und einen feuerroten Dildo.
Die Freundinnen fangen an zu kreischen, winden sich vor Lachen. Doch Hefina – die gespielt wird von der brillanten Imelda Staunton, der bösen Hexe Dolores Umbridge aus den Harry-Potter-Filmen, – legt noch einen drauf: Mit dem Dildo herum fuchtelnd, tippt sie auf die Genitalien der Abgebildeten und ruft, "He, das erinnert mich an früher!" Jetzt kreischen alle, während unter ihnen im Wohnzimmer Gastgeber Jonathan und sein Freund Gethin nicht schlafen können. "Geben die denn niemals Ruhe?", stöhnen sie.
Vereint gegen Margaret Thatcher

Die besten Geschichten schreibt immer noch das wahre Leben: Tunten treffen Bergarbeiterfrauen
Dass Hefina und ihre Freundinnen überhaupt bei den beiden übernachten, liegt am großen Streik der britischen Bergarbeiter, der ein Jahr dauerte und die Grundlage für "Pride" und viele seiner Figuren bildet. Im März 1984 kündigt Margaret Thatcher an, 20 Kohleminen zu schließen, langfristig sollen es sogar 70 sein. Für die britische Industrie ein brutaler Einschnitt, weshalb die nationale Gewerkschaft zu Protestmärschen und Streiks aufruft.
Die Fernsehbilder davon sehen Mark und seine Freunde in London. Der junge, engagierte Mann erkennt schnell, dass es den Arbeitern eigentlich genauso geht wie den Schwulen und Lesben, also wie ihnen: Beide werden von der Thatcher-Regierung unterdrückt, beide werden von berittenen Polizisten niedergeprügelt, gegen beide wird in den Massenmedien gewettert.
Mark und seine Freunde – darunter der Vorstadtjunge Joe, der nur Bromley genannt wird, der HIV-positive Jonathan, der Waliser Genthin und die Punk-Lesbe Stephanie – wollen helfen, indem sie spenden, denn ein Streik will finanziert sein. Als "Lesbians and Gays Support the Miners" (LGSM) sammeln sie Geld – das aber keine Streikgruppe haben will, aus Angst, die vermeintlich perversen Homos könnten ihre ehrenwerten Anliegen in den Schmutz ziehen.
Nur eine Gruppe im südwalisischen Onllwyn sagt etwas skeptisch zu. Und weil es Tradition ist in der kleinen, verschlafenen Gemeinde, lädt man die Spender ein. Eine Einladung, auf die natürlich eine Gegeneinladung nach London folgt, wobei es zur eingangs beschriebenen herrlichen Bettszene kommt.
Eine bunte kämpferische Gemeinschaft

Poster zum Film: "Pride" startet am 30. Oktober in den deutschen Kinos
Es ist unglaublicher Spaß zu beobachten, wie Drehbuchautor Stephen Beresford und Regisseur Matthew Warchus zwei extrem unterschiedliche Gruppen aufeinander los lassen. Auf der einen Seite die arg grummeligen Bergarbeiter und ihre patenten Ehefrauen, die – man beachte Hefina mit ihren unzähligen Kleidern aus robusten, schrill gemusterten Stoffen oder die wuchtige Sian mit ihrem verrückten Vokuhila – einigen Mut zur Hässlichkeit beweisen. Auf der anderen Seite die hippe, queere Großstadt-Clique um den schönen und auch etwas eingebildeten Anführer Mark.
Und das Schönste ist: Es funktioniert. Das rigorose Thatcher-Regime bringt sie zusammen, es entsteht eine kämpferische Gemeinschaft, in der es keine Rolle spielt, ob man alt oder jung, homo oder hetero, Großstädter oder Provinzler, Mann oder Frau, Arbeiter oder Künstler ist. Nicht umsonst gehörte Südwales und damit auch Onllwyn kurz vor Streik-Ende im März 1985 zu den Regionen mit den meisten Teilnehmern – immer noch weigerten sich 93 Prozent der Männer, wieder hinab in die Gruben zu steigen, die bald schließen sollen.
"Pride" bringt nach einigen Berührungsängsten auf beiden Seiten, dem unerwarteten Coming-out eines Walisers und etlichen durchfeierten Nächten alle zusammen und ist dabei so kraftvoll und inspirierend, so warmherzig und mit Verstand gemacht, so lebensbejahend und zu Tränen rührend. Die Pointen sitzen, die Charaktere sind stimmig, der Disco-Soundtrack mit Bronski Beat, Culture Club, Death Or Alive, Sylvester und Soft Cell liefert die perfekte zeitliche Folie.
"Pride", dessen erste von hoffentlich noch vielen kommenden Auszeichnungen die Queere Palme in Cannes war, hat das Potential zum Kultfilm. Ähnlich wie "Priscilla", "I Killed My Mother" oder "Beautiful Thing" strahlt die britische Komödie eine Stärke und Souveränität aus, die es so noch nicht gegeben hat im queeren Film.
Pride. Komödie. Großbritannien 2014. Regie: Matthew Warchus. Darsteller: Dominic West, George MacKay, Ben Schnetzer, Andrew Scott, Bill Nighy, Imelda Staunton, Paddy Considine. Laufzeit: 120 Minuten. Deutsche Synchronfassung. FSK 6. Verleih: Senator. Bundesweiter Kinostart: 30. Oktober 2014
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