Eine missglückte Werbung, viel Archiv-Material und ein Talk mit Matthias Matussek – die ARD zeigt, dass sie von Toleranz nichts versteht.
Von Norbert Blech
Es ist schon bemerkenswert, wie die ARD derzeit ihre Themenwoche "Toleranz" ("Anders als Du denkst") bewirbt, die am Samstag startet. Gezeigt wird ein schwules Paar mit der Headline "Normal? – oder – Nicht normal".

Auch andere "Andere" müssen sich in der Werbung in Frage stellen lassen:

In anderen Ländern würde so etwas schnell zu einem "Fail"-Shitstorm führen, als freundlichste Reaktion. In Deutschland ist das leider immer so mit dem Fernsehen: Da wird eine Sendung zum Bildungsplan mit "Droht die moralische Umerziehung?" betitelt, Frank Plasberg fragt: "Homo-Ehe ohne Grenzen?" und N24 blendet zu einem entsprechenden Talk gleich ein: "Schwule: normal oder pervers?"
Man könnte das Spiel mit dem Vorurteil zunächst als Masche ansehen, um die Quote zu steigern. Das könnte man noch akzeptieren, wenn die Sendungen dann Aufklärung und Haltung liefern würden – was bei besagten Talkshows nicht der Fall war. Wenn man nun aber sogar eine Woche zur "Toleranz" allgemein mit einer Mischung aus toleranten und intoleranten Aussagen bewirbt, offenbart sich dahinter eine konsequent falsche Denkweise: Toleranz ist, wenn man "darüber" redet. Bzw. darüber reden lässt.
Eine echte Toleranz, gar Akzeptanz oder Inklusion ist das nicht. "Toleriert" werden Schwule und Lesben ebenso wie Homophobe, die ihnen die Toleranz verweigern. Zahlreiche Talkshows, in denen Homo-Hasser wie Gabriele Kuby oder Birgit Kelle mehr Gewicht bekamen, als sie in der Realität haben, und in denen sie von Moderatoren unwidersprochen homophobe und menschenfeindliche Äußerungen von sich geben durften, sprechen für sich.
Und auch in der ARD-Themenwoche wird es wieder einen dieser Talks geben, vielleicht auch zwei. Über einen liegen noch zu wenig Informationen vor, aber eine Podiumsdiskussion "über sexuelle Orientierung" – also nicht über etwas spezifisches wie etwa Diskriminierung oder Intoleranz – lässt Schlimmes erwarten.

Bereits am Samstag lädt der Hessische Rundfunk ausgerechnet den homophoben Großkotz Matthias Matussek zum Talk zu dem Thema "Was müssen wir uns gefallen lassen – was nicht? Der Tanz um die Toleranz."

"Ist sich das knutschende schwule Paar in der U-Bahn eigentlich bewusst, wie viel Toleranz sie [sic] ihren Mitreisenden abverlangt?", fragt die Sendungsankündigung, was eine Unverschämtheit ist (und ein wenig an Markus Lanz erinnert, der am Samstag bei "Wetten Dass" zu Conchita Wurst meinte: "Du stellst Toleranz auf die Probe. Aber mit dir kann man das sehr angenehm aushalten"). Es hagelt weitere Fragen wie "Nehmen sich die Muslime zu viel heraus?" Und die Aussage: "Toleranz ist etwas, was die Mehrheit der Minderheit gewährt".
Das ist ein Gedanke, der durch viele Sendungen der Themenwoche geistert: Wieviel Toleranz wollen "wir" (=Mehrheit) wirklich geben? Womit sind "wir" bei "den Anderen" überfordert? Haben "die" überhaupt Toleranz verdient? Das ist nicht gerade ein überzeugendes Plädoyer für Toleranz, es ist nicht: Wie können wir Toleranz erzeugen und stärken, wie Intoleranz bekämpfen, das als gemeinsame Aufgabe begreifen? Wäre die ARD-"Themenwoche" ein Bildungsplan, gäbe es keinen Aufschrei über eine vermeintliche Ideologisierung. Und keine schlaueren Kinder.
Matusseks Gegenüber ist übrigens Ellen Ueberschär, Generalsekretärin des Evangelischen Kirchentages. Auch das ist typisch für "Toleranz"-Diskussionen im öffentlich-rechtlichen Fernsehen: Die intoleranten Kirchen diskutieren immer mit. In einer dicken Pressebroschüre zur Themenwoche wird auf einer Seite auf eine Regenbogenfamilien-Doku hingewiesen – und je eine Seite bekommen ein evangelischer und ein katholischer Bischof eingeräumt, um über Toleranz zu schwafeln. Kardinal Reinhard Marx meint dann auch, Toleranz habe "die eigene Überzeugung als Fundament" und endet, wo sie sie in Wahrheit "Gleichgültigkeit" sei.
Lustigerweise ist es die ARD, der man den Vorwurf der Gleichgültigkeit machen muss: Sie stellt in der Themenwoche diskriminierte Bevölkerungsgruppen, die ohne ihr eigenes Zutun "anders" sind, in eine Reihe mit Charakteren, die "anders" sein wollen, und sei das noch so beliebig. So versteckt sich hinter dem SWR-Talk "Nachtcafé" mit dem Titel "Krass, grell, schrill – anders als die Anderen" kein weiterer homophober Knaller, sondern eine Sendung über Menschen mit Piercings.
Was bietet die Themenwoche sonst noch zum Thema LGBT? Vor allem das, was das Archiv hergibt. Es wird hauptsächlich in Nebenkanälen versendet: Eine Doku über Intersexualität, einige über das Coming-out, ein zwölf Jahre alter Fernsehfilm, ein drei Jahre alter Fernsehfilm über einen "Transpapa", der Film "Tomboy", der Film "Schwule Mütter ohne Nerven". Sachen, die nicht nur in Themenwochen öfters zu sehen sein sollten.
Einen neu produzierten Film oder etwas vergleichbares sucht man vergebens. Man könnte auf den bösen Gedanken kommen, diese lustlos vorbereitete Themenwoche diene vor allem der Vergewisserung, manche Themen überhaupt mal behandelt zu haben (dass LGBT selbstbewusster Teil eines vielfältigen Hauptprogramms werden, darf man ohnehin nicht erwarten, solange man noch klären muss, ob Schwulsein "normal" ist).
Eine Förderung von Toleranz ist die Themenwoche wohl kaum; man hat nicht mal den Eindruck, sie sei Ausdruck von gelebter Toleranz.
Update 18.30h: Reaktionen der ARD
Auf Twitter haben am Nachmittag Verantwortliche der Kampagne auf Kritik reagiert:


Das Portal Buzzfeed machte sich derweil über die ARD lustig.
Update 12.11., 12.20h: Weitere Entwicklungen
In Stellungnahmen haben am Dienstag der BR und der Hessische Rundfunk reagiert – letzterer unter der weiterhin unveränderten Programmankündigung für die Sendung "Horizonte" am Samstag.
Bei der im obigen Text angesprochenen zweiten Talkshow, die am 18. November um 21.45 Uhr auf ARD Alpha ausgestrahlt werden soll, handelt es sich übrigens um eine mitgefilmte Radiosendung, die schon im Oktober aufgezeichnet wurde. Zu Gast sind: Albert Kehrer, Vorstand von Proud at Work, der CDU-Bundestagsabgeordnete Stefan Kaufmann und Constanze Körner vom Regenbogenfamilienzentrum des LSVD. Es geht also tatsächlich auch anders.
Wirklich zum Kotzen, was uns vom öffentlich-rechtlichen Hetero-Sender als 'Toleranz' verkauft werden soll. Leider kann man bei dem großen Einfluss der Gehirnwäschesekten durch ihre 'Beteiligung' beim Fernsehrat auch nur homophoben Mist deklariert als scheinbare Toleranz erwarten...