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- 13. Januar 2005 4 Min.
PRO: Die Grünen sind Garant für eine liberale Gesellschaft
Von Norbert Blech, queer.de
Auch wenn es einiges an ihnen zu kritisieren gibt, sind die Grünen ein wichtiger, verlässlicher Partner für Schwule und Lesben. In der Homo-Politik hat die Partei viel geleistet. Wer kritisiert, man habe Schwule und Lesben nur in das Korsett einer konservativen Spießer-Ehe gesteckt, der verkennt, dass es eine Menge Paare gibt, für die die Ehe das Ideal ist und deren zuvor abgelehnter Heiratswunsch eine deutliche, umfassende Diskriminierung darstellt. Wer kritisiert, die in vielen Teilen noch nicht zur Ehe gleichgestellte Lebenspartnerschaft sei ein diskriminierendes Sondergesetz, der verkennt die wahren Verantwortlichen. Und wer denkt, die Homo-Ehe sei nicht sein Ideal und folglich der Kampf darum nur für wenige wichtig, der verkennt, welche Signalwirkung mit dieser ersten staatlichen Anerkennung von Schwulen und Lesben außerhalb des Strafrechts an Politiker, an Behörden, Verwaltungen, Firmen und an die Gesellschaft geht. Die Gegner schwul-lesbischer Bürgerrechtspolitik haben diese Signalwirkung oftmals besser erkannt als die Szene selbst.
Es ist ein Mitverdienst der Grünen, dass sich Szene und Rest-Gesellschaft aneinander annähern. Das muss keine Aufgabe von Positionen an den Mainstream darstellen, es bedeutet vielmehr den Anfang von Toleranz und Respekt und den langsamen Niedergang von Vorurteilen und Homophobie.
Natürlich gibt es kritikbedürftige Tendenzen, etwa, wenn der größte Homopolitiker von allen sinnige Stiftungen scheitern lässt und Einschränkungen bei geplanten Gesetzen mit der angeblich noch nicht so weiten Gesellschaft begründet, und nicht etwa mit dem noch nicht so weiten Koalitionspartner.
Doch auch wenn man sich die Grünen manchmal radikaler wünschen würde, so sind sie halt tatsächlich in der Regierungsverantwortung der kleinere Partner, der sich in der Homopolitik nicht immer gegen die SPD durchsetzen kann. Vieles ist deshalb noch unerledigt. Um bei der Gleichstellung von Schwulen und Lesben voranzukommen, werden die Grünen weiterhin gebraucht.
Solange es Leute wie Günter Beckstein und Norbert Geis gibt, sollte man zu schätzen wissen, was man an Volker Beck hat. Solange die FDP nur für Homorechte eintritt, solange sie (wie beim Antidiskriminierungsgesetz) nicht die eigene Klientel einschränken, solange sind die Grünen der einzige Garant für eine liberale Gesellschaft. Ein wenig mehr Druck von linken Parteien und Homo-Medien bleibt trotzdem notwendig.
KONTRA: Die Grünen haben ihre Aufgabe erfüllt
Von Micha Schulze, queer.de
Die Verdienste der Grünen sind unbestritten. Ohne die Partei würde es keine Homo-Ehe geben, ihre Regierungsbeteiligung hat Deutschland zu einem toleranteren Land gemacht, in dem es sich als Schwuler oder Lesbe wieder zu leben lohnt. Volker Beck, dem grünen Ober-Schwulen, gebührt dafür mehr Dank und Anerkennung, als ihm in der Szene zuteil wird.
Doch die Grünen veränderten sich ebenfalls. Die Alternativen von damals haben sich in 25 Jahren zu einer ganz normalen Partei entwickelt, in der Machtfragen wichtiger sind als inhaltliche Forderungen. Eine emanzipatorische Politik für Schwule und Lesben gehört längst nicht mehr zu ihren Essentials, wie der Fall Antje Vollmer zeigt: Gegen das Adoptionsrecht für Homopaare zog ausgerechnet die grüne Bundestagsvizepräsidentin an vorderster Front zu Felde. Die Mehrheit der Parteimitglieder hat mittlerweile das Gefühl, für die Homos habe man doch schon so viel getan, jetzt sei es erst mal gut...
Die Grünen haben in der Regierungskoalition mit der SPD ihre historische Aufgabe erfüllt, neue Impulse sind von ihnen nicht zu erwarten. Dazu haben sie weder die Kraft noch das visionäre Potenzial.
So tragisch es klingt: Gerade in der Schwulen- und Lesbenpolitik haben sich die Grünen selbst überflüssig gemacht. Ohne ihre offensive Homopolitik von einst würden Politiker wie Klaus Wowereit wahrscheinlich noch immer im Schrank hocken. Doch im Jahr 2005 heißt der einzig offen schwule Parteivorsitzende in Deutschland Guido Westerwelle, und nur Edmund Stoiber regt sich noch ein bisschen darüber auf.
Westerwelle und seine FDP werden es wohl auch sein, die eines Tages mehr Rechte für Eingetragene Lebenspartnerschaften durchsetzen werden - den Grünen sei dank.
13. Januar 2005














