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Beginn eines Dialogs
Für den Moschee-Chef heißt Toleranz "Ertragen"
- 25. November 2014 5 Min.

Ender Çetin, Vorsitzender der Şehitlik-Moschee in Berlin, bekennt gleich zu Beginn der Veranstaltung: "Ich bin der Schuldige" (Bild: rbb)
Nach dem zweifach abgesagten Moschee-Besuch von Lesben und Schwulen wurde nun am Montag in einer Berliner Kirche über Islam und Homosexualität diskutiert.
Von Philip Eicker
Wenn Homos und Muslime nicht in der Moschee diskutieren dürfen, dann tun sie es eben in einer evangelischen Kirche. Da leisten die Gläubigen keinen Widerstand – es gibt nämlich keine. Die Jerusalemkirche in Berlin-Kreuzberg dient nur noch als Konferenzraum. Am Montagabend war das Ex-Gotteshaus Ausweichquartier für die von viel Medieninteresse begleitete Diskussionsrunde zu "Islam und Homosexualität" (queer.de berichtete).
Gut 100 Menschen sitzen erwartungsvoll in dem schlichten Zweckbau aus den Sechzigerjahren und wollen hören, wie es der Islam mit den Homos hält. Nach einem Grußwort von Berlins Integrationssenatorin Dilek Kolat (SPD) und einem Live-Song von Donato Plögert (Schlager) hat Ender Çetin das Wort. "Ich bin der Schuldige", bekennt der Vorsitzende der Şehitlik-Moschee in Berlin-Neukölln und lächelt. "Eigentlich wären wir heute bei uns in der Moschee gewesen."
Dorthin hatte der Verein Leadership Berlin die LGBT-Community zu einer Führung eingeladen. Eine Woche vorher sagte die Gemeinde ab. "Nun stehe ich als derjenige da, der die Türe zugemacht hat", sagt Çetin. "Das müssen wir wieder gutmachen. Aber der Prozess ist gestartet, und er wird – so Gott will – gut ausgehen. Ich versprechen Ihnen, dass wir weiterkämpfen werden, auch bei Themen, die sensibel sind."
Der Moschee-Vorsitzende hat seine Frau mitgebracht

Froh, dass der Dialogfaden nicht abgerissen ist: Initiator Daniel Worat, Vorstand bei Leadership Berlin und im Völklinger Kreis (Bild: rbb)
Homosexualität gehört jedenfalls zu den sehr sensiblen Themen – das wird schnell klar bei der folgenden Diskussion. Auf dem Podium mit dabei: die legendäre frühere Berliner Ausländerbeauftragte Barbara John (CDU), die lesbische Unternehmerin Sabine Werth sowie vom Veranstalter Leadership Berlin Geschäftsführer Bernhard Heider und Daniel Worat. Nur zwei von sieben Teilnehmern sind muslimisch: Ender Çetin wird von seiner Frau Pinar unterstützt. Sie leitet die Şehitlik-Frauengruppe. Moderatorin ist Winfriede Schreiber, bis 2013 Verfassungsschutzchefin in Brandenburg.
Ender Çetin redet sanft, spart den Konflikt aber nicht aus: Laut der meisten Auslegungen des Koran sei Homo-Sex verboten, so wie auch Sex vor der Ehe. "Toleranz heißt Ertragen", sagt Çetin. "Ich muss nicht toll finden, wie Daniel lebt – aber ich muss ihn als Mensch wahrnehmen, respektieren und gegen Angriffe schützen. Genauso wie er respektieren muss, dass ich religiös lebe." Der angesprochene Daniel Worat, der den Termin vorbereitet hat, stellt klar: "Nach der Absage der Führung kann ich natürlich nicht zufrieden ins Bett. Aber ich bin froh, dass wir hier sind und der Dialogfaden nicht abgerissen ist." Ein Hinweis auf die Konflikte im Vorfeld: Der LSVD wollte bereits nach der ersten Absage nicht mehr an der Diskussion teilnehmen.
"Wir wollen die Älteren nicht verletzen, sondern mitnehmen."
"Wir haben uns überrollt gefühlt von dem großen Medieninteresse an der Führung", sagt Ender Çetin und erklärt die Absage auch mit der Überforderung des ehrenamtlich organisierten Moscheevorstands. Der sei derzeit ganz mit einer Fachtagung beschäftigt und zwar zu einem weiteren Aufregerthema – der Radikalisierung junger Muslime. Aber auch die internen Differenzen kommen zur Sprache. Die Vorbehalte gegen Homosexuelle seien in der Generation der Eltern noch größer, erklärt Çetin. "Ich würde tatsächlich nicht jedem Onkel vorher sagen: Guck mal, das ist ein Schwuler, das ist eine Lesbe, die bekommen jetzt eine Führung durch die Moschee", sagt Çetin. "Wir wollen die Älteren nicht verletzen, sondern mitnehmen."
Die Çetins erhalten viel Lob für ihre Vermittlungsbemühungen. "Woher nehmen Sie beide die Kraft und Mut dafür?", fragt die Moderatorin das türkischstämmige Ehepaar. Unternehmerin Sabine Werth erkennt Gemeinsamkeiten mit Pinar Çetin, die ihr Kopftuch als Jugendliche gegen den Willen ihrer Eltern getragen hat: "Mir war es als junge Frau auch sehr wichtig, als Lesbe erkannt zu werden. Heute bin ich da gelassener. Im Laufe ihres Lebens sei sie schon mit einer Muslima, einer Jüdin und nun mit einer Protestantin zusammen. "Ich habe das kulturelle Erbe einmal durch", sagt Werth lachend. Es bleibt aber eine saubere Grenze zwischen den heterosexuellen Muslimen auf der einen Seite und den säkularen Homos auf der anderen.
Am Ende entladen sich die Emotionen des Publikums
Fast zwei Stunden dauert die Podiumsdiskussion schon, der freundliche Applaus wird matter. Doch als das Publikum Fragen stellen darf, schlagen angestaute Emotionen hoch. Ein Statement nach dem anderen wird in den Saal gerufen. Ein Mann im grünen Anzug erzählt mit bebender Stimme von seiner Kindheit in einem streng katholischen Elternhaus. "Es war ein langer Kampf für mich, damit ich kein Leben in der Lüge führen muss, heterosexuell zu sein", sagt er. "Wir haben noch nicht darüber gesprochen, wie wir schwulen Muslimen helfen können. Denn solche Lebenslügen sind der Grund für Homophobie."
Auch Gilles Duhem mischt sich ein: "Die Veranstaltung war viel zu brav", kritisiert der bekannte Sozialarbeiter aus Neukölln. "Eine entscheidende Sache wurde gar nicht gesagt: Religion ist Macht! Und sie wird von weißen, heterosexuellen Männern benutzt, um andere Menschen zu unterdrücken. Der Islam braucht eine sexuelle Revolution!" Lauter Beifall brandet auf.
Da hält es eine Zuhörerin hinter Duhem nicht länger auf dem Sitz. Sie springt auf und stellt sich als "Volljuristin" vor. "Es ist unerträglich, wie heute Abend den Muslimen wieder alle Phobien in den Mund gelegt werden. Ich fand den Vortrag von Ender Çetin unendlich gut, vielen Dank dafür!"
Die Podiumsgäste bemühen sich, die emotionalen Statements so gut es geht zu beantworten. Doch die große Anspannung nach fast drei Stunden zeigt: Die Debatte hat gerade erst begonnen.

Aha. Wir laufen denen also trotz der zwei Absagen weiter hinterher, um uns dann belehren zu lassen, dass Toleranz gegenüber Schwulen, Lesben, Bi- und Transsexuellen bedeutet, dass man uns "ertragen" muss...
Und das sind die liberaleren Kräfte?