Für ihr Lebenswerk wurde Karla Etschenberg vor zwei Jahren von der Deutschen Gesellschaft für Sozialwissenschaftliche Sexualforschung, deren Vizepräsidentin sie ist, die Magnus Hirschfeld Medaille verliehen (Bild: DGSS)
Nach der rechten "Jungen Freiheit" hat Karla Etschenberg, Bildungsplan-Kritikerin und umstrittene Fachbeirätin der Hirschfeld-Stiftung, nun der linken "taz" ein Interview gegeben.
Von Micha Schulze
Wer nach allen Seiten offen ist, ist nicht ganz dicht, heißt ein altes Polit-Sprichwort. Ob dies auch auf Karla Etschenberg, die Vizepräsidentin der Deutschen Gesellschaft für Sozialwissenschaftliche Sexualforschung (DGSS), zutrifft, möge jeder selbst entscheiden. Doch der Reihe nach in dieser Posse aus dem Fachbeirat der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld.
Die pensionierte Erziehungswissenschaftlerin Etschenberg gab im November erst der extrem rechten Wochenzeitung "Junge Freiheit" ein Interview, in dem sie gegen Bildungspläne für sexuelle Vielfalt stänkerte und wie die "Besorgten Eltern" vor einer "Umerziehung" und "Sexualisierung" von Kindern und Jugendlichen durch schwul-lesbische "Lobbyisten" warnte. Die Aufregung in der Hirschfeld-Stiftung über das "Kuckucksei" in ihrem Fachbeirat war groß – der geschäftsführende Vorstand Jörg Litwinschuh distanzierte sich öffentlich von der 73-jährigen Professorin (queer.de berichtete).
Gegen "Tunnelblick auf heterosexuelle Normalität"
Eine ganze Seite für Prof. Karla Etschenberg in der "taz" – das "Streitgespräch" mit Redakteur Jan Feddersen kommt jedoch trotz Dildo-Illustration nicht richtig in Fahrt
Nun gab Frau Etschenberg erneut ein Interview, diesmal der links-alternativen "taz", geführt als Streitgespräch mit Redakteur Jan Feddersen, der – was der Text aus der Mittwochsausgabe leider verschweigt – gleichzeitig für die Initiative Queer Nations im Kuratorium der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld sitzt. Gegenüber queer.de hatte sich Feddersen, anders als weitere Community-Vertreter, zuvor gegen eine Abwahl Etschenbergs aus dem Fachbereit ausgesprochen (queer.de berichtete).
In der "taz" lernt man nun eine ganz andere Karla Etschenberg kennen als in der "Jungen Freiheit". Die eremitierte Professorin verzichtet diesmal komplett auf die provozierende Wortwahl der Bildungsplan-Gegner und präsentiert sich gar als Unterstützerin einer Aufklärung über sexuelle Vielfalt. "Seit vielen Jahren setze ich mich öffentlich für eine Sichtweise von Sexualität in der Schule ein, die einem Tunnelblick auf heterosexuelle Normalität entgegenwirkt", sagt Etschenberg in der "taz". Und schiebt fast so etwas wie eine Entschuldigung nach: "Ich bedaure, dass es zu den aktuellen Irritationen gekommen ist."
Etschenbergs Kritik am Bildungsplan bleibt diesmal schwammig, auch wenn sich Feddersen Mühe gibt, die DGSS-Vizechefin aus der Reserve zu locken, und ihr an mehreren Punkten – etwa dass der "Zweck" von Sexualität die Fortpflanzung sei – widerspricht: "Meine Kritik entzündet sich an bestimmten Vorschlägen zur methodischen Umsetzung", sagt die Erziehungswissenschaflerin in der "taz", die damit in erster Linie Kollegenschelte übt. Denn sie macht dafür eine nicht näher spezifizierte "sexualpädagogische Schule" verantwortlich, die in Deutschland vorherrschend sei.
Deutlich wird in der "taz" lediglich Etschenbergs Bauchgefühl, dass eine gleichberechtigte Darstellung von lesbischen, schwulen und transidenten Menschen in der Schule ein Angriff auf die "biologische" Heterosexualität und Zweigeschlechtlichkeit sei: "Schwangerschaft, Geburt und Stillen
sind weiterhin spezifisch für das biologisch weibliche und das Zeugen spezifisch für das biologisch männliche Geschlecht, das kann man nicht wegdiskutieren." Die wichtige Nachfrage, ob Kinder überhaupt zur Homo- oder Transsexualität "umerzogen" werden können, hat Jan Feddersen der Fachbeirätin leider nicht gestellt.
Die "eindeutige Klarstellung" steht nach wie vor aus
Die rechte Wochenzeitung "Junge Freiheit" begann im November eine Kampagne gegen fortschrittliche Bildungspläne – und fuhr dabei die Hirschfeld-Fachbeirätin Karla Etschenberg als Kronzeugin auf
Ist die Etschenberg-Affäre damit beendet? Nun, eine "eindeutige Klarstellung", wie sie unter anderem der SPD-Abgeordnete Johannes Kahrs und Markus Johannes vom Schwulen Netzwerk NRW , beide Kuratoriumsmitglieder der Hirschfeld-Stiftung, gefordert hatten (queer.de berichtete), bietet das "taz"-Interview nicht wirklich – auch wenn Etschenberg sich in Ton und Kritik zurückgenommen hat. Ebenso wenig ergiebig soll ein Treffen zwischen der Erziehungswissenschaftlerin, Stiftungsvorstand Jörg Litwinschuh und Fachbeirat Benjamin Kinkel vom Verein Queere Bildung am 23. November in Köln gewesen sein – Litwinschuh möchte sich dazu öffentlich nicht äußern.
Im Kuratorium der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld – das einzige Gremium, das Etschenberg abberufen könnte – ist das "taz"-Interview heute per Email verteilt worden. Doch zunächst will man dort die nächste Sitzung des Fachbeirats abwarten, der turnusgemäß erst wieder am 31. Januar 2015 zusammentritt. Eine Sondersitzung in diesem Jahr war daran gescheitert, dass sich die 23 Mitglieder nicht auf einen Termin verständigen konnten.
Etschenberg selbst will ihren Sitz im Fachbeirat keinesfalls freiwillig räumen. Auch ihre Positionen sieht sie fest im Einklang mit den Zielen der Hirschfeld-Stiftung: "Aus der Tatsache, dass ich auch konservative Adressaten im Sinne der Akzeptanz sexueller Vielfalt anspreche, kann man mir eigentlich aus Sicht der Stiftungssatzung keinen Vorwurf machen", sagt die 73-Jährige im Gespräch mit der "taz".
"Uns allen liegt daran, dass die wichtige von den Projekten geleistete Aufklärungsarbeit durch Konservative oder Rechtsextreme nicht desavouiert wird", erklärt dagegen die SPD-Bundestagsabgeordnete Mechthild Rawert, die neben Kahrs ihre Fraktion im Kuratorium vertritt, auf Anfrage von queer.de. "Das Geben von Interviews in extrem rechten Zeitungen ist für mich nicht akzeptabel. Ich distanziere mich von den unklaren, homophob zu interpretierenden Äußerungen von Frau Etschenberg."
wer sich von biologistischen argumentationen im bereich von sexualität und gender nicht konsequent trennt, der kann es eben noch so "gut meinen" (was ich etschenberg trotz allem immer noch abnehme), es wird trotzdem nie wirklich emanzipatorisches denken dabei herauskommen.