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Schulaufklärung über sexuelle Vielfalt
Hannover: Landtag beschließt "Bildungsplan"
- 15. Dezember 2014 4 Min.

Karin Bertholdes-Sandrock (CDU) forderte in der Debatte, dass man nicht als homophob bezeichnet werden sollte, wenn man sich für traditonelle Werte einsetze
Eine Mehrheit aus SPD, Grünen und FDP fordert die Landesregierung auf, LGBT-Themen besser in den Unterricht zu integrieren. Die CDU sorgt sich um Ehe und Familie.
Von Norbert Blech
Der Landtag von Niedersachen hat am Montag einen Entschließungsantrag beschlossen, in dem die Landesregierung aufgefordert wird, die Vielfalt sexueller und geschlechtlicher Identitäten besser im Unterricht zu berücksichtigen.
Für den Antrag stimmten per Handzeichen die Abgeordneten der Regierungsfraktionen aus SPD und Grünen, aber auch die FDP. Die CDU stimmte dagegen und für einen eigenen Antrag, der von den anderen Parteien abgelehnt wurde.
Die rund halbstündige Debatte war von vielen Zwischenrufen begleitet worden, was vor allem an der CDU-Rednerin Karin Bertholdes-Sandrock lag. Sie hatte schon vor zwei Monaten für eine Kritikwelle gesorgt, als sie gefordert hatte, LGBT-Schulaufklärungsprojekte wie SchLAu nicht mit Kindern alleine zu lassen (queer.de berichtete). Schülervertreter hatten danach teilweise gar einen Rücktritt der Bildungsexpertin gefordert (queer.de berichtete).
CDU warnt vor grenzenloser Sexualkunde

Julia Hamburg (Grüne) kritisierte die Äußerungen von Bertholdes-Sandrock, mit der sie sich selbst diskreditiere
In ihrer Rede ging Bertholdes-Sandrock nicht mehr direkt auf ihre Forderung ein, befürchtete aber, dass der rot-grüne Plan Projekte wie SchLAu "harmlos erscheinen lassen". Das Motiv, Diskriminierung abzubauen, sei richtig, die Mittel seien aber falsch. Es gebe in anderen Bundesländern in Schulbüchern "Illustrationen, die Eltern empören", so Bertholdes-Sandrock. Der Antrag der Regierungsfraktionen öffne dafür "Tür und Tor, weil er keine Grenzen setzt".
In einer von vielen Kurzinterventionen fragte Bertholdes-Sandrock später in Anspielung auf eine Aussage der Grünenpolitikerin Julia Hamburg, ob es angesichts von ein bis zwei Prozent Homosexuellen unter den Schülern wirklich ein "Riesenproblem" sei, wenn diese sich nicht outen könnten. Aber das Problem der CDU sei "die Praxis der Sexualerziehung". "Pädagogisch vernünftig geht anders", so die 62-Jährige über den Antrag, man lehne die "Verengung auf das Sexuelle" ab und wolle "Ehe und Familie als bevorzugte Familie nicht preisgeben".
SPD, Grüne und FDP gegen Diskriminierung und Ausgrenzung
Andere Redner betonten, dass es gerade nicht um die von einigen beklagte "Frühsexualisierung" und auch nicht um Sexualkunde gehe, sondern einfach darum, die Lebensvielfalt angemessen abzubilden. Während andere diskriminierte Gruppen in Schulbüchern und im Unterricht angemessen vorkommen, gäbe es bei LGBT noch Nachholbedarf, betonte Hamburg. Der CDU-Antrag sei hingegen "oberflächlich und halbherzig".
Bildungsministern Frauke Heiligenstadt (SPD) kritisierte, dass in der Debatte vieles Falsche behauptet werde und damit selbst "Diskriminierung und Ausgrenzung" geschürt werde. Das berechtigte Anliegen werde geradezu "in die Schmuddelecke gestellt", mit Unwahrheiten werde Stimmung gemacht.

Björn Försterling (FDP) wurde in seiner Rede sehr persönlich
Der FDP-Abgeordnete Björn Försterling betonte, dass es eben doch ein "Riesenproblem" gebe: Mit 13 habe er gewusst, dass er schwul ist, aber sich erst mit 28 Jahren getraut, sich zu outen. Das könnte auch daran gelegen haben, dass es zu seiner Schulzeit keine Coming-outs von Schülern gab und keine Projekte wie SchLAu. Die zahlreichen Schreiben besorgter Eltern nehme man ernst. Wie der 32-Jährige unter großem Applaus erklärte, müsse man ihnen aber antworten, dass es eben "nicht um Frühsexualisierung, nicht um Sexualkunde", auch nicht um "Spermaschlucken und Analverkehr" gehe, sondern einfach um Akzeptanz. Auch mache ein Unterricht mit SchLAu nicht schwul, man könne umgekehrt ja auch nicht Homosexualität aberziehen. Anders als in Baden-Württemberg zeigt die FDP hier also Haltung.
Die Anträge im Detail
Der Antrag von SPD und Grünen (PDF) fordert die Landesregierung auf, dass die "Schule der Vielfalt sexueller und geschlechtlicher Identitäten" gerecht werden müsse. Lehrer seien entsprechend aus- und weiterzubilden, auch müssten die Kerncurricula aller Klassenstufen derart ergänzt werden, "dass die Thematisierung der Existenz und Lebenswirklichkeit von Menschen verschiedener sexueller Identitäten hinreichend Berücksichtigung und angemessene Behandlung finden."
Das sei auch bei der Auswahl von Schulbüchern zu beachten. Schulen sollten zudem Unterstützung erhalten, wenn sie Aufklärungsprojekte wie SchLAu einladen, auch müsse deren Netzwerkarbeit gezielt gefördert werden.
Der CDU-Änderungsantrag (PDF) bezeichnet sexuelle Orientierung als "Lebensstil", zu dem Offenheit und Toleranz gelehrt werden müsse – wie zu vielen anderen Bereichen, die der Antrag mehrfach benennt. Obwohl es beim Antrag der Regierung gerade nicht um Sexualkunde geht, fordert die Union, bei "schulischer Sexualerziehung (…) besonders alters-, kultur- und glaubenssensibel" vorzugehen und Eltern einzubeziehen.
"Verschiedene Formen des Zusammenlebens", darunter auch gleichgeschlechtliche Partnerschaften, könnten im Unterricht thematisiert werden, so der CDU-Antrag weiter, "ohne Ehe und Familie als verfassungsrechtlich geschützter Lebensform der Beliebigkeit preiszugeben." Nebenbei macht der Antrag deutlich, aus der Sicht einer Distanz wahrenden Mehrheit geschrieben zu sein: "Menschen in ihrer Vielfalt zu akzeptieren, ohne selbst ihre Orientierung zu teilen, ist eine Voraussetzung für eine demokratische und freiheitliche Gesellschaft."
Die Initiative von Rot-Grün war bereits im Frühjahr gestartet worden und hatte sich erst im Zuge der Auseinandersetzung um den Bildungsplan in Baden-Württemberg zu einem größeren Streit entwickelt. Eine Petition gegen die Pläne hatte mit homophoben Untertönen fast 16.000 Unterschriften sammen können (queer.de berichtete), zu einer "Demo für alle" versammelten sich Ende November mehrere hundert Gegner der Aufklärung über sexuelle Vielfalt in Hannover. Zugleich hatte die Szene mit einem großen Gegenprotest reagiert (queer.de berichtete).














