Sieht Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) in der Pflicht: Hessens Justizministerin Eva Kühne-Hörmann (CDU) (Bild: HMdJ)
Die hessische Justizministerin Eva Kühne-Hörmann (CDU) fordert den Abschluss der verfassungrechtlichen Prüfung einer Aufhebung der Urteile. Der Landtag verliert sich indes im Parteienstreit.
Von Micha Schulze
Im September 2012 hatte sich der Hessische Landtag noch einstimmig bei den rund 50.000 Nachkriegsopfern des Paragrafen 175 entschuldigt und von der Bundesregierung eine Rehabilitierung gefordert (queer.de berichtete). Daran erinnerten am Donnerstag sämtliche Redner im Wiesbadener Parlament – und schoben sich gegenseitig die Schuld in die Schuhe, dass es gut zwei Jahre und einen Regierungswechsel später mit der großen Einigkeit vorbei ist.
Eine ungewöhnliche "Koalition in der Opposition" aus SPD, Linken und FDP war – offensichtlich entgegen früherer Absprachen – mit einem gemeinsamen "Antrag betreffend Aufarbeitung der strafrechtlichen Verfolgung und Unterdrückung Homosexueller auch nach 1949" (PDF) vorgeprescht, die Regierungsfraktionen von CDU und Grünen schoben eilig einen eigenen, etwas vorsichtiger formulierten "Dringlichen Entschließungsantrag" hinterher. Die größten Streitpunkte zwischen Regierung und Opposition waren die Frage der Rehabilitierung sowie der Umgang mit Diskriminierung von Lesben und Schwulen heutzutage.
Die SPD bläst zum Generalangriff auf Schwarz-Grün
Eine gute Dreiviertelstunde wurde am Donnerstagmorgen im Hessischen Landtag über eine Rehabilitierung der Nachkriegsopfer des Paragrafen 175 diskutiert (Bild: dierkschaefer / flickr / by 2.0)
Was das Unrecht der Vergangenheit betrifft, waren sich alle Fraktionen weitgehend einig. "Tausende Menschen wurden von der NS-Zeit bis zum Jahre 1994 nur deshalb verfolgt, stigmatisiert, unterdrückt und verurteilt, weil sie sich liebten", erinnerte die stellvertretende Vorsitzende der SPD-Landtagsfraktion Heike Hoffmann an das Schicksal der Opfer. Die Rehabilitierung der Verurteilten sei deshalb die richtige Antwort: "Wie sollen die Geschädigten anders eine Entschädigung für ergangenes Unrecht erhalten?"
Hoffmann nutzte die Debatte allerdings auch zu einer Generalabrechnung mit der schwarz-grünen Landesregierung und setzte damit als Eröffnungsrednerin den Ton. Der Union warf sie vor, eine Gleichstellung von Lesben und Schwulen zu torpedieren, die Grünen seien in diesem Zusammenhang nur eine "billige Braut der CDU". Auch in der Aufarbeitung des Unrechts sah Hoffmann Handlungsbedarf: "Wir begrüßen zwar, dass die Magnus-Hirschfeld-Stiftung die Schicksale dieser Opfer aufarbeiten und dokumentieren will. Jedoch ist die Forschungslage zu diesen Tatbeständen äußerst dürftig", so die SPD-Politikerin. Die Forschung zu dieser Vergangenheit müsse in Angriff genommen werden, solange noch Akten gesichtet und Zeitzeugen befragt werden können.
Der Paragraf 175 habe "das Leben einer gesamten Generation schwuler Männer massiv eingeschränkt und bedroht", sagte der schwule Grünen-Landeschef Kai Klose in der Debatte. "Sie wurden ihrer Menschenwürde beraubt, in der freien Entfaltung ihrer Persönlichkeit beeinträchtigt und in ihrer Ehre verletzt." Viel zu spät habe ein Umdenken eingesetzt, so Klose. Noch 1957 habe das Bundesverfassungsgericht den Paragraf 175 als grundgesetzkonform erklärt, was nun das größte Hindernis für eine Aufhebung der Urteile sei. Der Grünen-Abgeordnete begrüßte die von Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) im Mai angekündigte verfassungsrechtliche Prüfung (queer.de berichtete).
Für die FDP ist die sexuelle Orientierung "Privatsache"
Eine eher schwache Rede hielt FDP-Fraktionschef Florian Rentsch. Mehrfach wies er darauf hin, dass die sexuelle Orientierung eines Menschen "reine Privatsache" sei, die den Rechtsstaat nichts anginge. Die Verurteilungen nach dem Paragrafen 175 seien deshalb nicht nur eine "persönliche Bürde", sondern "öffentliches Unrecht", das beseitigt werden müsse. Zugleich verbreitete Rentsch eine abenteuerliche These, warum die DDR ihren Homo-Paragrafen 151 früher strich als die Bundesrepublik: "Die DDR hat mit ihren Diktatoren den 151 abgeschafft, weil es ja keine Homosexuellen in der DDR gab, insofern brauchte man ja auch keinen Straftatbestand dafür."
Ulrich Wilken, rechtspolitischer Sprecher der Linksfraktion, gab sich in seinem Redebeitrag versöhnlich: "Wenn die USA mit Kuba diplomatische Beziehungen aufnimmt, dann könnte es doch auch sein, dass fünf Fraktionen einen gemeinsamen Antrag stellen." Mit dem Argument, dass das Recht "lebt" und nicht unabhängig vom kulturellen Wandel sei, forderte er seine Parlamentskollegen auf, "mit aller gemeinsamen Kraft" auf eine Rehabilitierung der rund 50.000 bundesdeutschen Opfer des Paragrafen 175 hinzuwirken.
CDU: Der Paragraf 175 war "falsch"
"Die strafrechtliche Verfolgung von Homosexuellen war falsch und dazu stehen wir auch heute noch", sagte der rechtspolitische Sprecher der CDU-Fraktion Hartmut Honka in der Debatte. Der SPD warf er vor, sich in Hessen als "große Partei der Aufarbeitung" aufzuführen, während sie in der Bundesregierung ihren Aufgaben nicht nachkomme.
Zum Ende der Aussprache ergriff auch Hessens Justizministerin Eva Kühne-Hörmann das Wort – und traf den richtigen Ton: "Die Diskriminierung homosexueller Menschen in unserem Land über viele Jahrzehnte hinweg ist ein Sachverhalt, der unerträglich ist und mich fassungslos macht", sagte die CDU-Politikerin. Die Forderung nach einer Aufhebung der Urteile nach dem Paragraf 175 sei "völlig nachvollziehbar", allerdings stellten sich "schwierige verfassungsrechtliche Fragen". Hier sei Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) in der Pflicht, so Kühne-Hörmann: "Ich würde mir wünschen, dass diese Prüfung, die jetzt schon eine ganze Weile andauert bei Herrn Maas, endlich mal zum Abschluss kommen würde." Erst mit dem Ergebnis könne der Bundestag gesetzgeberisch tätig werden, sagte die hessische Justizministerin.
Die beiden Anträge von Opposition und Regierung wurden in den Rechtsausschuss überwiesen. Vielleicht finden sie ja dort doch noch zusammen.
Selten habe ich so einen gelesen: die Abschaffung des § 151 in der DDR erfolgte dort zeitgleich mit der Einführung eines Ausländerwahlrechts, und zwar zu jener Zeit, in der hier in der BRD diskutiert wurde, ob man auf kommunaler Ebene Ausländern erlauben sollte zu wählen. Kurz: auch die DDR hat diesen Straftatbestand nicht etwa wegen eines evtl. Unrechtsbewusstseins gegenüber Homosexuellen abgeschafft. Vielmehr dürfte der Ehrgeiz ausschlaggebend gewesen sein zu beweisen, dass man "der bessere Deutsche Staat" sei.