Nach über zweieinhalb Jahren seit seinem letzten Album "Born Villain" meldet sich der queere Gothic-Rocker Marilyn Manson mit einem neuen Album zurück (Bild: Cooking Vinyl)
Die Rockband mit dem gleichnamigen Frontmann hat mit "The Pale Emperor" ihr neuntes Studioalbum veröffentlicht – nach über 25 Jahren im Geschäft.
Von Michael Thiele
Der sogenannte Islamische Staat zieht folternd, vergewaltigend und enthauptend durch die arabischen Länder. Lady Gaga hat in nur wenigen Jahren so ziemlich alles mit Pop gemacht, was man mit Pop machen kann, und hat sowohl für sich als auch für andere Künstler verbrannte Erde hinterlassen. Sam Smith ist der erfolgreichste internationale Newcomer des vergangenen Jahres, dass er offen schwul lebt, mit seinem Freund öffentlich im Urlaub posiert, schadet seiner Karriere nicht.
Terror, Sex, Pop, Religion, Nicht-Heteronormativität – in gewisser Weise sind das die Eckpunkte von Marilyn Manson. Die Band mit dem gleichnamigen Frontmann veröffentlicht dieser Tage mit "The Pale Emperor" ihr neues Studiowerk, es ist das bisher neunte nach über 25 Jahren im Geschäft. Und es stellt sich die Frage: Was hat uns Marilyn Manson im Jahr 2015 noch zu sagen? Welche Relevanz haben die Kunstfigur und ihre Musik angesichts unserer einigermaßen verrückten Gegenwart? Oder etwas zugespitzt: Wer hat eigentlich noch Angst vor Marilyn Manson?
Songs von Höllenvögeln und Besäufnissen
Das Album "The Pale Emperor" erscheint am 16. Januar 2015 bei Vertigo Berlin (Universal)
Vielleicht übersetzt man erst mal den Titel der Platte und die der Songs. "The Pale Emperor", also "Der bleiche Kaiser", will mit zehn Liedern becircen, die heißen "Cupid Carries A Gun" ("Amor hat ein Gewehr dabei"), "Birds Of Hell Awaiting" ("Die Höllenvögel warten schon") oder "Third Day Of A Seven Day Binge" ("Der dritte Tag eines siebentägigen Besäufnisses"). Wer Marilyn mag, ruft: Hurra, der Meister ist ganz in seinem Element! Wer ihn nicht mag, winkt nur müde ab: Was für ein Klischee!
So oder so, Marilyn Manson alias Brian Hugh Warner bewegt sich auf vertrauten Pfaden, zumindest lyrisch. Denn hinter den immerhin mittel-schockierenden Titeln steckt oft leider nicht mehr als ein laues Höllenlüftchen. Die mit zehn Titeln ohnehin schlanke Songliste weist musikalisch betrachtet kaum Höhepunkte auf. Zwar ist handwerklich alles auf einem hohen Niveau – wie man es übrigens nach einem Vierteljahrhundert Erfahrung auch erwarten können sollte -, aber es fehlen die zündenden Songideen. Vieles wirkt schal, substanzlos.
"Killing Strangers" ist zunächst ein dankbarer Opener mit seinen Clapping Hands sowie den tief und verzögert stürzenden Drums. Etwas überraschend ist der Sound: Bluesig, rockig und vergleichsweise zahm erinnert er an das jüngste Material von Depeche Mode oder an Rammstein.
Eigentliche Industrial-Klänge hört man zum ersten Mal im Intro zu Song Nummer fünf, "Warship My Wreck". Weiter changiert "The Pale Emperor" zwischen druckvoll harten Liedern ("Slave Only Dreams To Be King"), einer Portion Pop ("The Devil Beneath My Feet") und empfiehlt sich zuletzt dank mysteriösen Knarzgeräuschen als Abspannmusik für einen Horrorfilm ("Odds Of Even").
Keiner dieser Songs kommt aber auch nur annähernd an die großartige Vorab-Single "Deep Six" heran. Allein hier hat man den Eindruck, der 46-Jährige hat sich wirklich Mühe gegeben. Getrieben von aufpeitschenden Gitarren, zwingt Manson seine unverwechselbare Stimme zum Flüstern und Schreien, er singt gequält, dann wieder spricht er leiernd und atmet zum Schluss erlöst aus. "Deep Six" steht ganz in der Tradition seiner Neunziger-Jahre-Hits.
Um wirklich Angst vor Marilyn Manson zu haben, genügt das jedoch nicht.
Direktlink | Offizielles Video zur Vorab-Single "Deep Six"
danke für den anlass, da mal wieder reinzuhören.