Ausschnitt aus dem Deckblatt des vorzeitig an die Öffentlichkeit gelangten Unterrichtmaterials
In Grundschulen sollen u.a. Regenbogenfamilien zum Thema werden. Jetzt regt sich Empörung über die Materialien – die "Kieler Nachrichten" warnen gar vor "Werbung" für Homosexualität.
Von Norbert Blech
Auch in Schleswig-Holstein gibt es nun Aufregung über Schulaufklärung über Homo- und Transsexualität. Nachdem ihnen offenbar von interessierter Seite unfertige Unterrichtsmaterialien zugespielt wurden, thematisierten "Schleswig-Holsteinische Zeitung" und "Kieler Nachrichten" am Dienstag die Pläne für den Grundschulunterricht mit kritischen Untertönen.
Das ganze erinnert an den Streit um den Bildungsplan in Baden-Württemberg, der sich ebenfalls an internen wie unfertigen Arbeitspapieren entwickelt hatte. Im Kieler Fall konzentriert sich die Aufregung auf einen Vorabentwurf von Unterrichtsmaterialien, der in Auszügen bei einer Pressekonferenz im November letzten Jahres auslag.
Während sich die regionalen Medien dafür zunächst nicht interessierten, wurden diese Auszüge von der "Initiative Familienschutz", Betreiberin der "Demos für Alle", bereits damals im Internet veröffentlicht. Die üblichen reaktionären Portale kritisierten daraufhin die Materialien. Doch nun scheint die Debatte plötzlich in den Mainstream zu wandern.
"Traditionelle" Familie als "Randerscheinung"?
Unter anderem ein Diktat zu Patchwork- und Regenbogenfamilien geht nach Ansicht der Kritiker zu wenig auf die Ehe zwischen Mann und Frau ein
Der "Methodenschatz" mit dem Titel "Echte Vielfalt unter dem Regenbogen" wird derzeit vom Petze-Institut für Gewaltprävention in Zusammenarbeit mit dem LSVD Schleswig-Holstein entwickelt, als Teil des "Aktionsplans für Akzeptanz vielfältiger sexueller Identitäten", der im letzten Jahr vom Kieler Landtag beschlossen worden war.
Die Materialien sind für dritte und vierte Klassen gedacht; geboten werden u.a. ein Kreuzworträtsel ("Eine Frau, die in eine Frau verliebt ist, ist …"), Aufgaben, in der Personen zu verschiedenen Formen einer Regenbogenfamilie zugeordet werden sollen, und sogar ein Lied, "Du bist ein Regenbogenkind", samt Noten.
Dass es in einem Diktattext, "Familien sind verschieden", an einer Stelle über Familienkonstellationen heißt: "Hin und wieder gibt es einen Papa und eine Mama" und ansonsten alle möglichen Konstellationen vorgestellt werden, löste nun den Zorn der Zeitungen aus.
Die "Kieler Nachrichten" betitelte ihren (online nur gegen Bezahlung verfügbaren) Artikel mit "Regenbogenfamilie als Standard". Die "Schleswig-Holsteinische Zeitung" kritisierte in ihrem Artikel, "Familien aus Vater und Mutter und Kind" würden als "Randerscheinung" dargestellt, auch gehe es in den Materialien unter anderem um Polygamie (was wohl eine bewertende Fehldeutung einer Patchworkfamilie ist).
Beim LSVD wundert man sich über die plötzliche Empörung. "Der Entwurf ist zwei Monate alt und rudimentär", sagte Vorständin Agnes Witte gegenüber queer.de. "Wir arbeiten an Materialien, mit denen alle Akteure einverstanden sind. Der Sache tut man keinen Gefallen damit, Zwischenergebnisse zu veröffentlichen." Die mit dem Schulministerium abgestimmten Pläne sollen im Frühjahr vorgestellt werden, es habe bereits etliche Änderungen gegeben.
"Kieler Nachrichten": Heteros werden diskriminiert
Einem besorgten Redakteur der "Kieler Nachrichten" gehen die Pläne "weit über das Ziel hinaus"
Ob das den aufkeimenden Streit noch beruhigen kann, scheint fraglich. Die "Schleswig-Holsteinische Zeitung" feierte sich in ihrem Artikel geradezu als Anwalt der kleinen Leute bzw. von besorgten Eltern, als sie den Sprecher des zuständigen Solziaministeriums kritisch befragte.
Den Vogel schoss aber ein Kommentar der "Kieler Nachrichten" ab: "In dem Lehrmaterial wird der Eindruck erweckt, als sei eine wie auch immer geartete Regenbogenfamilie die Regel. Das ist sie nicht", kritisierte Ulf B. Christen unter Verweis auf einen "Blick in die Grundschulen".
Der Kommentar trägt den Titel "Weit über das Ziel hinaus" und betont, die Themen könnten "im Extremfall" durchaus im Unterricht aufgegriffen werden. "Etwa bei Hetzparolen gegen Homosexuelle oder Konflikten im Klassenzimmer um Kinder, die zwei Mütter oder zwei Väter haben." An den Materialien hatte Christen allerdings noch mehr zu bemängeln: "Noch schlimmer als die Umkehr von Mehr- und Minderheit ist die unverhohlene Werbung für eine Regenbogenlösung", so Christen. "Dieser Ansatz dürfte viele Grundschüler nachhaltig verunsichern, und er diskriminiert heterosexuelle Beziehungen."
Offen bleibt die Frage, wer die Zeitungen gezielt mit Halbwissen gegen die Pläne in Stellung gebracht hat. Die "Initiative Familienschutz" berichtet heute auf ihrer Internetseite gleich mit mehreren Artikeln über den neuen Streit.
Zugleich kommt in beiden Zeitungen Kritik auch von der Union. "Für mich gehören die Themen Inter- und Transsexualität noch nicht in die Grundschule", sagte die Bildungspolitikerin Heike Franzen, man dürfe Kinder nicht "überfordern". Schulministerin Britta Ernst (SPD) solle sich in die Debatte einschalten, forderte Franzen in den "Kieler Nachrichten": "Immerhin werden von diesem Thema Zehntausende Familien betroffen sein." Das könne man nicht im Schnellverfahren als "geheime Kommandosache" abhandeln.
Zur Erinnerung: Nur 0,1 % aller Schwulen leben in einer Eingetragenen Lebenspartnerschaft.
Der Anteil der Regenbogenfamilien lässt sich kaum in Prozentsätzen ausdrück.
Wir Schwule und Lesben sollten mit den Füßen auf dem Boden bleiben, sonst schlägt die Mehrheitsgesellschaft irgendwann zurück.