Szene aus dem Film: Die zeitgenössische russische Liedermacherin Elena Frolowa lässt die Poesie der Dichterin Marina Zwetajewa durch ihre Musik lebendig werden
Der Film "Patriotinnen" nähert sich der Poetin Marina Zwetajewa ab, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts offen lesbisch lebte. Chansonsängerin Elena Frolowa sieht in ihr noch heute ein Vorbild.
Von Elke Koepping
Marina Zwetajewa gilt als bedeutendste europäische Lyrikerin des 20. Jahrhunderts. Sie teilte das Schicksal vieler russischer Intellektueller der Revolutionszeit, die den politischen Säuberungen der Stalin-Ära zum Opfer fielen, wie Anna Achmatowa oder Joseph Brodskij: Publikationsverbot, Exil und spätere Deportation nach Sibirien.
Überwiegend lebte die 1892 in Moskau geborene Dichterin das klassische Rollenbild der Ehefrau und Mutter. Doch gab es zwei Jahre, von 1914 bis 1916, die von einer leidenschaftlichen und öffentlich bekannten Liebesbeziehung zu einer Frau geprägt waren, die selbst offen lesbisch lebte – der Übersetzerin und Dichterin Sophia Parnok.
Drei Frauenbiografien aus 100 Jahren
Marina Iwanowna Zwetajewa (1892-1941) gehört zu den bedeutendsten russischen Dichtern im 20. Jahrhundert
Der im September 2014 in Berlin uraufgeführte Dokumentarfilm "Patriotinnen" von Irina Roerig nähert sich Zwetajewas Leben und Werk durch die Augen der zeitgenössischen russischen Liedermacherin Elena Frolowa. "Mein wichtigster Reiseführer, mein Dantescher Vergil, war und bleibt immer Zwetajewa. Sie führt mich, seit ich 15 bin", sagt Frolowa zu Beginn des Films. Über sechzig Gedichte von Zwetajewa hat sie vertont, einen Großteil auf Tonträgern veröffentlicht, die auch im Film Gehör finden.
Regisseurin Irina Roerig verschränkt darin im Grunde drei Frauenbiografien über die Dauer einer rund einhundertjährigen Zeitspanne. Elena Frolowa ist der Katalysator, sie lässt Zwetajewas Poesie durch ihre Musik lebendig werden, ihr Leben und ihre künstlerische Arbeit dienen als Anker für Rückblenden in die Biografie Zwetajewas.
"In meinem Leben gab es einige Begegnungen, die mir geholfen haben, ich selbst zu bleiben. Marina Zwetajewa war eine solche Begegnung", sagt sie. Neben historischen Dokumenten werden kurze Spielsequenzen gezeigt – Iris Berben leiht darin Zwetajewa ihre Stimme, eine überraschend passende Besetzung. Aber auch die Mutter Frolowas als Teil der älteren Generation, die Krieg und Kommunismus durchlebt haben, kommt zu Wort.
"Ich hasse mein Jahrhundert"
Poster zum Film: "Patriotinnen" ist vom 1. bis 4. Februar in Köln zu sehen, am 8. März in Potsdam (siehe Infokasten unten)
"Die Welt schreitet voran. Ich aber will nicht. Das passt mir nicht. Ich habe das Recht, nicht mein Zeitgenosse zu sein. … Ich hasse mein Jahrhundert", schrieb Zwetajewa einst. Das Gefühl, aus ihrer Zeit gefallen zu sein, war geprägt von den extremen Erfahrungen in Revolution und Krieg. Wie viele Künstlerinnen und Künstler hielt sie die beruflichen Einschränkungen, den ständigen Hunger und den Kampf ums Überleben am Ende nicht mehr aus: Im Jahr 1941, dem Jahr, in dem ihre Tochter in Haft geriet und ihr Ehemann hingerichtet wurde, wählte sie den Freitod.
Wohl wissend, dass es für sie und ihre Familie den Untergang bedeutet, hatte Zwetajewa 1939 ihre 17 Jahre andauernde Emigration beendet (u.a. lebte sie in Berlin, Prag, zuletzt in Paris) und war in ihre Heimat zurückgekehrt. Und so gibt es an den Heimatbegriff im Film "Patriotinnen", wie schon der Titel andeutet, eine ungewöhnliche Annäherung, jenseits politisch rechter Gesinnungen. Denn auch Elena und ihre Mutter Maja Stepanowna Frolowa, die aus Lettland stammen, das seit 1991 nicht mehr Teil der Sowjetunion ist, treibt die Frage nach der Heimat um.
Mutter und Tochter erzählen von einem Russland der Legenden und Märchen, das durch die Poesie lebendig gehalten wird. Und so gelingt Irina Roerig nicht nur eine außergewöhnliche Annäherung an das Werk Zwetajewas, sondern auch an die Schönheit eines Landes, das in den letzten Jahren eher durch unrühmliche politische Entscheidungen und gewalttätige gesellschaftliche Ausgrenzung aufgefallen ist.
Russland ist wie jedes Land geprägt durch seine Geschichte und Literatur, aber auch die Summe der Erfahrung aller Menschen, die dort lebten und heute leben. Und ein Teil von ihnen dort ist oder war auch schon immer schwul oder lesbisch (bzw. bi-, trans*).
Youtube | Offizieller Trailer zum Film
Infos zum Film
Patriotinnen. Dokumentation. Deutschland 2014. Regie: Irina Roerig. Darstellerinnen: Elena Frolowa, Maja Stepanowna Frolowa, Tanja Kuprianowa. Srrecherinnen: Katharina Spiering, Ursula Karusseit, Carmen-Maja Antoni, Iris Berben. Laufzeit: 84 Minuten. Sprachen: Deutsch, Russisch (mit deutschen Untertiteln. Axel-Brandt-Filmproduktion. Nächste Termine: Köln (01.02. 15h Filmforum im Museum Ludwig; 02.-04.02. jeweils 17.30h Filmpalette), Potsdam (08.03. Thalia)