Mit diesem Profil war unser Autor auf Planetromeo unterwegs
Als "Fickerboy18" chattete unser Autor mit 100 anderen jungen Männern auf den "Blauen Seiten" – das Thema Safer Sex interessierte die große Mehrheit nicht.
Marc ist 18, schlank und blond. Er ist ungeoutet und unerfahren. Das soll sich ändern. Jetzt sollen endliche sexuelle Erfahrungen her. Das Bild seines jungenhaften Oberkörpers geschnappt, bei Gayromeo hochgeladen und ein Profil erstellt: Eindeutiger Nickname, eindeutige Stats und drei Zeilen Text.
Innerhalb kürzester Zeit häufen sich die Nachrichten. Jungs und Männer zwischen 18 und 50 schreiben. Sie alle wollen Marc im Bett haben. Das Problem: Marc gibt es nicht. Er ist das Pseudonym unseres Autors, der sich die Frage gestellt hat, wie die jungen Schwulen sich tatsächlich in Sachen Safer Sex verhalten.
Eigentlich sollte man denken, das Thema sei nach 30 Jahren Aids-Aufklärung bis zum Letzten durchgedrungen, und fast niemand praktiziert mit Unbekannten unsafen Sex. Gleichzeitig geht die Zahl der Neuinfektionen mit HIV in Deutschland nicht zurück, das Robert-Koch-Institut klagt insbesondere über die Sorglosigkeit junger Erwachsener.
1.177 Profilaufrufe und 159 Nachrichten innerhalb von drei Tagen
Nur ein Chat von vielen: "Geil. Dann kannst tief reinspritzen"
"Marc" wird innerhalb von drei Tagen insgesamt 14 Stunden online bei Gayromeo verbringen. In dieser Zeit rufen 1.177 User sein Profil auf, 159 davon schicken eine Message. Davon fallen genau 59 außerhalb des Suchrasters: Sie sind zu alt, um für die Fragestellung interessant zu sein. 32 von ihnen bieten dem jungen "Gymnasiasten" Taschengeld für sexuelle Dienstleistungen.
Mit genau 100 Jungs zwischen 18 und 32 (laut Profilangaben) beginnt unser Autor unterschiedlich lange Gespräche. Darunter finden sich diverse Charaktere, Biografien und Vorlieben. Vom devoten Masochisten bis zum Jungen von nebenan ist alles dabei. Die Jungs kommen aus Deutschland, der Schweiz und Dänemark, haben Migrationsintergrund und haben keinen: Kurz, sie sind ein bunter Ausschnitt aus dem Userkreis der Datingplattform.
Es gibt diejenigen, die sich sofort treffen wollen, und die, die erst ihr halbes Leben zu erzählen haben. Einige wenige verdächtigen "Marc", ein Faker zu sein. Bis auf einen einzigen allerdings kann unser Autor mit Ausreden nach Art "Ich bin erst so kurz da und konnte noch kein zweites Facepic hochladen" alle Skeptiker vollkommen zufrieden stellen.
Die abgewandelte Gretchenfrage "Wie hältst du es mit Safer Sex?" kommt bei allen 100 Gesprächspartnern früher oder später, direkter oder subtiler auf den Tisch. Manchmal durch "Marc" selbst, der sich aber oft unerfahren gibt. Er berichtet von nur drei sexuellen Zufallserfahrungen und ist interessiert daran, vor allem die aktive Rolle einzunehmen. Oft nimmt er eine eher uninformierte und unsichere Haltung in Sachen Kondom ein, stellt etwa einfach die Gegenfrage "Wie willst es denn du?" oder will naiv wissen "Bist du gesund?"
79 von 100 Chat-Partnern würden auf ein Kondom verzichten
Das Ergebnis ist so eindeutig, dass es unserem Autoren mehr als einmal die Sprache verschlägt: Ganze 79 User sind bereit bzw. wünschen es sogar, von Marc ohne Kondom anal befriedigt zu werden. Sie schwärmen von "Spermaladungen im Hintern" und dem "echteren Gefühl", tun Unsicherheitseinwände mit dem Hinweis ab, dass schon nix passieren werde und wenn, dann sei das ja behandelbar. Nur ein einziger rät "Marc", er wolle zwar gerne bare mit ihm Sex haben, aber "Marc" solle sich lieber einen Partner suchen und nur in einer vertrauensvollen Beziehung auf Kondome verzichten.
Obwohl "Marc" deutlich macht, er habe noch nie einen Test gemacht und – da er ungeoutet sei – auch keinen machen werde, wollen alle 79 der 100 potenziellen Sexpartner unsafen Sex mit ihm ausüben. Zumindest im erotisch aufgeheizten Chat waren sie bereit, für ein sexuelles Abenteuer ihre eigene Gesundheit aufs Spiel zu setzen.
Natürlich kann man vermuten, dass einige der Jungs und Männer bei einem realen Treffen dann doch auf Safer Sex bestanden hätten – wo die Vernunft die Oberhand über die Phantasien gewinnt. Möglicherweise hat er auch mit ein paar HIV-Positiven gechattet, die aufgrund einer funktionierenden Kombinationstherapie niemanden anstecken könnten.
Trotzdem: Der ingesamt sorglose und sehr oberflächliche Umgang im Chat mit der Gefahr einer HIV-Infektion überrascht. Übrigens nicht nur bei den 79 Gayromeo-Usern, die von einer heißen Session mit "Marc" träumten, sondern auch bei unserem fiktiven Teenager selbst. Im Internet können sich selbst unerfahrene 18-Jährige leicht und anonym über Lust und Gefahren beim schwulen Sex informieren – eine Verantwortung tragen immer beide Partner. (az)
Stichwort: Safer Sex
Beim Ficken immer Kondome benutzen und kein Sperma in den Mund gelangen lassen – das sind die wichtigsten Safer-Sex-Regeln. Sie gelten vor allem, wenn man nicht sicher sein kann, ob der Partner HIV-positiv oder -negativ ist, also etwa beim One-Night-Stand oder bei anonymen Kontakten auf Gayromeo & Co.
In einer festen und vertrauensvollen Beziehung gibt es weitere Möglichkeiten, das Risiko einer HIV-Infektion zu reduzieren: Sind beide HIV-negativ und haben keinen Sex oder nur geschützten Sex mit anderen, können sie auf Kondome verzichten.
Auch beim Sex mit einem HIV-positiven Partner kann der Verzicht auf das Gummi safe sein – vorausgesetzt, er nimmt eine gut funktionierende Kombinationstherapie, hält sich strikt an die Einnahme der Medikamente und hat seit über einem halben Jahr eine Viruslast unter der Nachweisgrenze.
Dennoch gibt es gute Gründe dafür, auch dann ein Kondom zu verwenden: Gummis reduzieren das Risiko auch für andere sexuell übertragbare Infektionen wie Syphilis, Tripper und Hepatitis C. (mize)