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Nachdenken über Sex und Liebe
Plädoyer für asexuelle Sichtbarkeit
- 02. März 2015 4 Min.

Asexuelle Aktivisten beim Gay Pride (Bild: nouspique / flickr / by-sa 2.0)
Die asexuelle Community ermöglicht auch Lesben und Schwulen eine neue Sicht auf Gefühle und Beziehungen und räumt mit angeblich allgemeingültigen Wahrheiten auf.
Von Irina Brüning
"Warum müssen Sie sich outen, warum 'sichtbar' sein?" Diese Frage wurde vor einigen Monaten als Kommentar zu einem Artikel über Asexualität in der "Brigitte" veröffentlicht. Eine andere Person erklärte: "Das Outen und Aufklärenwollen halte ich für exhibitionistisch" und eine dritte fand zumindest ein originelles Bild, um auszudrücken, wie befremdlich die Präsenz von Asexuellen beim CSD für sie sei: "Als würde ein Kahlkopf zum Frisurenwettbewerb antreten".
Diese Aussagen sind beispielhaft für eine Frage, mit der sich die etwa ein Prozent der Bevölkerung ausmachende Gruppe der asexuellen Menschen, die sich von keinem Geschlecht sexuell angezogen fühlen, immer wieder konfrontiert sieht: Wozu ist die Sichtbarmachung dieser Orientierung notwendig? Wen interessiert das, für wen ist das wichtig?
In meinen Augen ist asexuelle Sichtbarkeit in der Öffentlichkeit aus drei Gründen bzw. für drei Personengruppen wichtig, was ich im Folgenden näher erläutern möchte.
1. Sichtbarkeit von Asexualität ist für asexuelle Menschen wichtig.

Unsere Autorin Irina Brüning, Jahrgang 1985, hat Romanistik und Indogermanistik studiert und ist hauptberuflich als freie Übersetzerin tätig (Bild: privat)
Wer selbst nicht asexuell ist, kann sich meist nur schwer vorstellen, wie es ist, eine sexuelle Orientierung zu haben, von deren Existenz man nichts weiß, Dinge zu empfinden, die man nicht einordnen kann, für die man keinen Namen hat. Viele asexuelle Menschen glauben, die Einzigen zu sein, die kein Verlangen nach sexueller Betätigung mit anderen haben, manche halten sich für gestört.
Wenn sich neue Mitglieder in Internet-Foren für Asexualität vorstellen, liest man immer wieder von Freude und Erleichterung nach Jahren des Zweifelns. Wer ein Wort für die eigene Orientierung hat und weiß, dass es sich um eine Orientierung handelt, kann sich mit anderen Asexuellen austauschen, nach Informationen und Rat suchen und sich, wenn gewünscht, bei Menschen im eigenen Umfeld outen.
2. Sichtbarkeit von Asexualität ist für Angehörige, vor allem Partner, wichtig.
Wenn ihnen ein Familienmitglied oder ein enger Freund von seiner asexuellen Orientierung erzählt, sind viele Menschen erst einmal verwirrt, wissen mit dem Begriff nichts anzufangen, verstehen das Gehörte falsch und machen sich unberechtigte Sorgen ("Habe ich meinem Kind etwas Falsches vermittelt, wenn es sich von Sex so abgestoßen fühlt? Wird es nun sein Leben lang einsam sein müssen?") Menschen in einer solchen Situation müssen Möglichkeiten haben, sich über das Neue, mit dem sie da konfrontiert werden, zu informieren.
In noch viel stärkerem Maße gilt dies für Partner von Asexuellen. Zu spüren, dass man von der Person, mit der man in einer Beziehung lebt, nicht begehrt wird, kann sehr schmerzlich sein; wer diese Erfahrung macht, fühlt sich häufig persönlich abgelehnt, zweifelt an der eigenen Attraktivität und an den Gefühlen des Anderen, gibt sich aber auch falschen Hoffnungen hin ("Wir sind jetzt schon fünf Jahre zusammen, aber irgendwann wird ihm der Sex mit mir sicher Spaß machen".)
Wer (bestenfalls schon zu Beginn der Beziehung) weiß, dass das geliebte Gegenüber ganz einfach asexuell ist, kann sich Selbstzweifel und die vergebliche Suche nach Gründen für das Desinteresse des Anderen sparen. Stattdessen ist der Weg frei für Gespräche über mögliche Kompromisse, Wünsche, Grenzen etc. Unterschiedliche Wünsche und Grenzen haben nicht nur Asexuelle und nicht Asexuelle, sondern Menschen generell.
3. Sichtbarkeit von Asexualität ist für jeden wichtig.

Kuchen-Schild des Vereins AktivistA beim transgenialen CSD im Jahr 2013 in Berlin-Kreuzberg (Bild: AktivistA)
Die asexuelle Community hat die Sprache und das Denken um einige interessante Begriffe reicher gemacht. Wusstest du zum Beispiel, was mit der romantischen Orientierung eines Menschen gemeint ist? Nein? Sie verrät, in welches Geschlecht oder welche Geschlechter sich dieser Mensch verliebt, mit wem er sich eine Liebesbeziehung vorstellen kann.
Die sexuelle und die romantische Orientierung einer Person können sich decken, müssen es aber nicht. Ein Mann, der sich in Ermangelung eines passenderen Wortes als schwul bezeichnet und sich wundert, dass er sich ab und zu auch in Frauen verliebt, die ihn aber sexuell nicht interessieren, fände die Bezeichnung "homosexuell und biromantisch" für sich möglicherweise passender.
Die asexuelle Community ermöglicht eine neue Sicht auf Gefühle und Beziehungen und räumt mit angeblich allgemeingültigen Wahrheiten (Sex und Liebe treten immer zusammen auf, Sex macht den Unterschied zwischen einer Freundschaft und einer Liebesbeziehung etc.) auf. Zu Themen wie Treue, Exklusivität und Konsens ist schon alles gesagt? Von wegen! Aus einem asexuellen Blickwinkel sehen die Dinge noch einmal ganz anders aus und ganz neue Aspekte ziehen die Aufmerksamkeit auf sich.
Warum müssen Asexuelle sich outen und um Sichtbarkeit bemühen? Müssen tun sie gar nicht, aber sie können. Und wenn sie es tun, tun sie es unter anderem auch für dich.
Links zum Thema:
» Webseiten über Asexualität















Wenn sich Asexuelle outen, kommt von vielen Menschen, vor allem aber auch von den -ach so toleranten- Schwulen und Lesben, ein gewisser Widerstand. Man will nicht glauben, was einem erzählt wird und wenn Asexuelle gut aussehen, geht das Anbaggern trotz allem weiter. Das ist etwa vergleichbar mit dem Verhältnis von Heteromännern zu Lesben. Auch die wollen nicht akzeptieren, dass die sexuelle Orientierung keine freie Willensentscheidung ist. Schwule Männer können bei asexuellen Männern erleben, dass ein ganz entspanntes Verhältnis zwischen schwulen und asexuellen Männern möglich ist - ohne dass Sexualität im Raum steht.