Die Debatte ist für 16.10 Uhr angesetzt (Bild: heipei / flickr / by-sa 2.0)
Ein neues Gesetz zu Hasskriminalität richtet sich gegen Taten aufgrund "rassistischer, fremdenfeindlicher oder sonstiger menschenverachtender" Beweggründe.
Von Norbert Blech
Der Bundestag wird am Donnerstag in zweiter und dritter Lesung einen Gesetzentwurf beschließen, der als Lehre aus den jahrelang von den Behörden unbemerkten Taten des "Nationalsozialistischen Untergrunds" (NSU) Zuständigkeiten neu regelt und zu einer stärkeren Bestrafung von Taten führen soll, die aufgrund von Hass auf Menschen aufgrund der Zugehörigkeit zu einer besonderen Gruppe begangen werden.
Zu diesem wichtigen Schritt zur Verstärkung des Vorgehens gegen Hassverbrechen ist am Nachmittag eine 45-minütige Debatte vorgesehen – was immerhin 15 Minuten mehr sind als bei später am Abend angesetzen Debatten zum Thema "Männliche Küken leben lassen" oder zum "Agrar- und Fischereifonds-Informationen-Gesetz".
Auch ansonsten ist der Gesetzentwurf aus dem Haus von Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) nicht das große gesellschaftliche Zeichen, das er hätte sein können. Nach rund einem Jahr öffentlicher Debatte benennt das zukünftige Gesetz nur Rassismus und Fremdenfeindlichkeit ausdrücklich als Merkmale einer Hasskriminalität (queer.de berichtete). Alle anderen Gruppen müssen sich mit einem Zusatz über "sonstige menschenverachtende Beweggründe" begnügen.
Sonstiges
Erst in der Begründung des Gesetzes (PDF) wird näher auf diese "sonstigen" Beweggründe eingegangen, etwa mit einem Verweis auf einen Rahmenbeschluss des Europarats aus dem Jahr 2008, in dem es um Straftaten geht, "die sich gegen eine nach den Kriterien der Rasse, Hautfarbe, Religion, Abstammung oder nationale oder ethnische Herkunft definierte Gruppe von Personen oder gegen ein Mitglied einer solchen Gruppe richten".
Letztlich taucht dann auch das Merkmal "sexuelle Orientierung" und als Unterpunkt das Merkmal "sexuelle Identät" auf – mit Verweis auf das entsprechende Merkmal bei der polizeilichen Erfassung politisch motivierter Kriminalität (PMK). Zu "Begrifflichkeit" und "Bedeutung" der Merkmale verweist die Gesetzesbegründung in Klammern auf andere Drucksachen des Bundestages.
Kritik von LSVD und Opposition
Der Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD) hat dieses Vorgehen der Regierung am Donnerstag erneut kritisiert. "Ein Gesetz zu Hasskriminalität, das Gewalt aufgrund von Homo- und Transphobie ignoriert, ist vollkommen unzureichend", sagte Manfred Bruns. "Es ist zu begrüßen, dass rassistische Motive ausdrücklich genannt werden. Warum jedoch Motive wie etwa Homophobie und Transphobie im Gesetzestext ausgespart bleiben, ist nicht nachzuvollziehen."
Die Erfahrung des LSVD zeige: "Was im Gesetz nicht ausdrücklich aufgeführt wird, fällt in der Praxis der polizeilichen Ermittlungen und strafrechtlichen Bewertung in der Regel unter den Tisch", so Bruns. "So wird alltägliche Hassgewalt gegen Lesben, Schwule und Transgender von der Bundesregierung tabuisiert und verharmlost."
Bruns kritisierte, dass die Regierung "alle Einwände von Experten ignoriert und am ursprünglichen Entwurf festgehalten" habe. "Homo- und Transphobie klar zu benennen und zu verurteilen, hätte in den Behörden zu mehr Sensibilisierung und Unterstützung für die Betroffenen geführt." Indem die Bundesregierung "einzelne Kriminalitätsformen herausgreift, signalisiert sie vielmehr, dass sie die anderen Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit für nicht so gravierend hält. Gerade in Anbetracht einer neuen Welle homo- und transphober Mobilisierung, in der wieder verstärkt gegen die Akzeptanz von Lesben, Schwulen und Transgender agitiert und auf die Straße gegangen wird, ist das gedankenlos und das falsche Signal."
Auch die Opposition hatte den Gesetzentwurf immer wieder entsprechend kritisiert (queer.de berichtete). Die Grünen haben einen eigenen Entwurf (PDF) vorgelegt, "Hasskriminalität wirkungsvoll statt symbolisch (zu) verfolgen". Er geht klar auf die unterschiedlichen Motive von Menschenhass ein und fordert, die Richtlinien für Straf- und Bußgeldverfahren sowie den Volksverhetzungsparagrafen entsprechend anzupassen und Mitarbeiter von Bundespolizei, Bundeskriminalamt, Generalbundesanwaltschaft und Bundesgerichten ensprechend zu schulen.
Der zuständige Bundestagsausschuss für Recht und Verbraucherschutz hat mit der Mehrheit aus Union und SPD empfohlen, den Regierungsantrag anzunehmen und den der Grünen abzulehnen. Das neue Gesetz schafft übrigens keinen Automatismus einer Strafverschärfung beim Vorliegen eines Hassverbrechens. Stattdessen hebt es hervor, dass ein Gericht bei der Strafzumessung nach Paragraf 46 des Strafgesetzbuches diese Punkte angemessen zu berücksichtigen hat. Bereits jetzt sind laut StGB "die Beweggründe und die Ziele des Täters" ebenso abzuwägen wie "die Gesinnung, die aus der Tat spricht".
Update 17.30h: Abstimmung im Parlament
Der Deutsche Bundestag hat am Donnerstag das Gesetz in der beschriebenen Form angenommen. Die große Koalition stimmte dafür, Linke und Grüne enthielten sich. Union und SPD folgten auch der Empfehlung, den Antrag der Grünen abzulehnen.
»Auf dem Maidan in Kiew waren Rauchschwaden für die Presse Zeichen der Freiheitsbewegung«, erinnerte die linke Bundestagsabgeordnete Heike Hänsel am Mittwoch mittag über den Internetdienst Twitter an die Berichterstattung der meisten deutschen Medien. Mit ihrem Kurzkommentar reagierte sie auf die »Stimmungsmache der Presse gegen Blockupy«. In den Stunden zuvor hatten Tausende Menschen zumeist friedlich gegen die offizielle Eröffnung des neuen Gebäudes der Europäischen Zentralbank (EZB) protestiert. So beteiligten sich an einem Demonstrationszug des DGB zum Römer am frühen Nachmittag etwa 2.000 Menschen. In praktisch allen Fernsehsendern und den Onlineausgaben der Tageszeitungen war jedoch nur die Rede von brennenden Polizeiautos, eingeschlagenen Fensterscheiben und »88 verletzten Polizisten«.
Demnach sollen acht der Beamten durch Steinwürfe und 80 durch Reizgas geschädigt worden sein. Das legt die Vermutung nahe, dass die meisten Uniformierten Opfer ihrer eigenen Kollegen geworden sind, denn durch den massiven Einsatz von Pfefferspray gegen die Protestierenden wurden nach Angaben von Sanitätern auch etwa 80 Demonstranten verletzt. Weitere 13 erlitten allein am Vormittag Blessuren durch Schlagstockattacken der Polizei. Der Hamburger Bürgerschaftsabgeordnete Martin Dolzer (Die Linke) berichtete gegenüber junge Welt, dass Protestierende brutal zusammengeschlagen worden seien, und sprach von zahlreichen Rechtsverstößen durch die Polizei. So sei Tränengas anlasslos in die Menschenmenge geschossen worden. Auch Christoph Kleine vom »Blockupy«-Bündnis unterstrich: »Wenn wir über Gewalt sprechen, müssen wir zuallererst über die tödliche, existentielle Gewalt gegenüber den Menschen in Griechenland sprechen. Und wir müssen über die Gewalt der Polizei sprechen, über den massiven Einsatz von Tränengasgranaten und Wasserwerfern..."
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»Wer das Demonstrationsrecht missbraucht, wird die ganze Härte des Gesetzes spüren«, erklärte Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD).
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