Mario Testino spielt mit Maskulinität und Femininität: "Josh Hartnett, New York, V Man, 2005" (Bild: © Mario Testino)
Trotz plumpen Busen-Marketings zeigt die große Berliner Mario-Testino-Werkschau "In Your Face" auch zahreiche Inszenierungen von Geschlecht und Sexualität.
Von Stephanie Kuhnen
Die Stimmung in der Ausstellung ist sakral. In vier ganz in schwarz gehaltenen Räumen des Berliner Kulturforums erwarten das Publikum 125 überlebensgroße Fotografien des peruanischen Fotografen Mario Testino. Ausgestrahlt wie Heiligenbilder, aber lässig auf Brusthöhe an die Wände gelehnt, offenbart sich die hochglänzende Welt der Schönen, Reichen und Berühmten in sattem Farbenrausch wie man ihn aus italienischen Kirchen mit üppigen Fresken kennt.
Konsequent fällt den Besucherinnen und Besuchern der ersten großen Werkschau Testinos in Europa auch das Bild Madonnas ins Auge, das weltbekannt durch seine Verwendung als Covermotiv ihres Albums "Ray of Light" wurde. Ohne die Schriftzüge meint man nicht nur die Handschrift des Fotografen, sondern auch des Renaissance-Malers Sandro Botticelli zu erkennen. Oder das Make-up eines Kopfporträts von Kate Moss verrät eindeutig die Inspiration: Andy Warhols Diptych von Marilyn Monroe.
Verneigungen vor Helmut Newton und Cecil Beaton
Das Berliner Kulturforum wirbt mit Bildern wie diesem für die Ausstellung: "Claudia Schiffer, Paris, Vogue Deutschland, 2008" (Bild: © Mario Testino)
Gleich mehrmals verneigt sich Mario Testino vor dem Großmeister Helmut Newton, etwa wenn er Selma Hayek im Abendkleid mit einem Rudel angeleinter Dobermänner an einem Pool spazieren gehen lässt. Aber auch vor Pin-ups in Playboy-Ästhetik, die gleichberechtigt neben Schwarzweiß-Porträts in der zeitlos klassischen Eleganz eines Cecil Beaton stehen, macht er nicht Halt.
Testino ist kein großer Innovator der Modefotografie. Daraus macht er auch kein Geheimnis. Er ist eben auch ein zuverlässiger Handwerker, der seine Auftraggeber wie die Modemagazine "Vogue", "V", "Vanity Fair" nach deren Zielgruppengusto bedient. Wenn er die großen Fotografen und Maler zitiert, dann geschieht das nicht aus eigener Ideenlosigkeit, sondern auch aus dem Bewusstsein heraus, dass diese ebenfalls Handwerker waren.
Modefotografie, die lange im Ruch des rein kommerziellen Gebrauchsbildes stand und im elitären Kunstbetrieb eher belächelt wurde, bietet jedoch viele Freiräume. Und Testino weiß diese zu nutzen, indem er sich selbstbewusst zwischen Kommerz und Kunst, Konvention und Grenzüberschreitung positioniert.
Die Freiräume der Modefotografie

Auch wenn der Fokus des Marketings von "In Your Face" auf den erwartbaren Superstar-Bildern von Claudia Schiffer, Naomi Campbell, Lady Gaga, Heidi Klum und anderen vor allem weiblichen Ikonen liegt (schließlich locken das Bekannte und Erotik eher in ein Museum als das Unbekannte und Intellektuelle), beeindruckt die Auswahl der Bilder durch ihre diversen Inszenierungen von Geschlecht und Sexualität.
Dem 60-jährigen Testino, der auf die Frage, ob er schwul sei, beharrlich antwortet, dass ihm Label nicht wichtig seien, kann man in seinen Arbeiten durchaus glauben, dass ihm Grenzen zwischen Maskulinität und Femininität wenig an Herausforderung zu bieten haben.
Entsprechende Highlights der Ausstellung sind neben den reinen Celebrity-Porträts eben auch die Vielzahl an queeren Inszenierungen: Josh Hartnett trägt knallroten Lippenstift zum Bart, das lesbische Supermodel Freja Beha Erichsen posiert androgyn in der Berliner U-Bahn, Robbie Williams trägt Bikini, die barbusige Yasmin Warsame umarmt unverhohlen sexuell ein anderes Model, junge Männer vergnügen sich in nassen weißen Unterhosen in einer Gemeinschaftsdusche, weibliche Models tragen Männerkleider und umgekehrt.
Sinnliches Seherlebnis voll queerem Glamour

Als queer oder mit dem altbackenen Begriff "homoerotisch" kann man "In Your Face" nicht bezeichnen. Der Besuch gleicht eher einem umfassend sinnlichen Seherlebnis voll unberührbarem Glamour und erhabener Künstlichkeit.
Wenn man nach dieser Märchenwelt aus dem Dunklen wieder ins Tageslicht der Realität tritt, dann scheint das Leben in der Zweigeschlechtlichkeit mit vereinfachten Begehrensformen und glanzloser Alltäglichkeit eher profan und unterkomplex.
Youtube | Video von der Ausstellungseröffnung im Januar
Infos zur Ausstellung
Mario Testino: In Your Face. Noch bis zum 26. Juli 2015 im Kulturforum Berlin, Matthäikirchplatz, Berlin-Mitte. Öffnungszeiten: Di-Mi 10-18 Uhr, Do 10-20 Uhr, Fr 10-18 Uhr, Sa+So 11-18 Uhr, Mo geschlossen