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Kunstsammler Charles W. Leslie in seinem gutausgestatteten Wohnzimmer. Zusammen mit J. Frederic "Fritz" Lohman gründete er die Leslie-Lohman Gay Art Foundation, die das gleichnamige queere Kunstmuseum in New York City betreibt (Bild: Alex Geana)

  • 10. Mai 2015 15 5 Min.

Kevin Clarkes Bildband "The Art of Looking" folgt dem bewegten Leben des Kunstsammlers Charles Leslie und zeigt eine Auswahl aus dessen Kollektion schwuler Kunst.

Von Carsten Moll

Gleich auf den ersten Seiten begrüßt die Detailaufnahme einer Erektion – vom Fotografen Matthias Herrmann kunstvoll in Szene gesetzt – die Leser dieses biografischen Bildbands. Als blanke Pornografie taugt der in blaues Licht gehüllte Ständer dabei aber kaum. Die unnatürliche Farbgebung sowie die harten Schatten machen aus dem Organ stattdessen ein faszinerend-fremdartiges Artefakt, das zum schamlosen, aber nicht unbedingt erregten Hinschauen einlädt.

Der neugierige, nicht von Geilheit bestimmte Blick auf das männliche Genital ist es auch, der im Vorwort gefordert wird: In einem Essay, der bereits 2012 in der "Zeit" erschienen ist, verklärt die Journalistin Elisabeth Raether das Anschauen des Penis nämlich zum emanzipatorischen Akt, der nicht bloß das gute Stück an sich von schädlichen Mythen um Macht und Größe befreien soll, sondern gleich die gesamte Gesellschaft mit.

Wirklich überzeugen mag Raethers Plädoyer für einen entspannteren und zugleich offensiveren Umgang mit männlicher Nacktheit allerdings nicht – neben einer entschieden heteronormativen Position kosten zahlreiche Übertreibungen, Verallgemeinerungen und Ungenauigkeiten Raethers Text seine Überzeugungskraft.

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Zwischen Antike und Beefcake


Nur eine Kostprobe aus der Sammlung von Charles Leslie: Diese Zeichnung ohne Titel stammt vom japanischen Künstler Go Hirano

Dem Leben und Werk des Kunstsammlers Charles Leslie, das Autor Kevin Clarke in "The Art of Looking" in Wort und Bild ausbreitet, gelingt es hingegen weitaus glaubwürdiger, den Penis bzw. dessen unverblümte Darstellung lustvoll als Maßstab für Emanzipation sowie gesellschaftlichen Fortschritt begreifbar zu machen.

Leslie wurde 1933 in der Kleinstadt Deadwood im US-Bundesstaat South Dakota geboren und begann schon früh sein erotisches Interesse am männlichen Geschlecht zu entdecken. Während es in früher Kindheit noch die Abbildungen von antiken Statuen in der "Encyclopædia Britannica" waren, die den Jungen in ihren Bann schlugen, blätterte sich der jugendliche Charles später aufmerksam durch Beefcake-Magazine, die unter dem Deckmantel einer Bodybuilding-Zeitschrift homerotisches Bildmaterial für ein schwules Publikum bereitstellten.

Mit 17 Jahren dann, gleich einen Tag nach seinem Highschool-Abschluss, kehrte Charles Leslie dem Leben in der piefigen Provinz mit all seiner verklemmten Heimlichkeit den Rücken und zog nach Los Angeles. Die kalifornische Metropole war schwules Paradies und Hölle zugleich: Während hier unzählige Männer aus ganz Amerika zusammenkamen und Sex jederzeit verfügbar war, war an eine starke Community nicht zu denken. Homo­sexuelle sahen sich zudem oft schutzlos polizeilicher Willkür sowie alltäglicher Diskriminierung ausgesetzt.

Stimmungsvolles Patchwork und ein roter Faden

Für Leslie sollte L.A. nur eine erste Station bleiben, später trieb es ihn von Heidelberg über Amsterdam bis nach Paris, Reisen durch Asien und Afrika folgten, bis der Kunstsammler schließlich den New Yorker Stadtteil SoHo zu seiner Heimat erkor. In einem lockeren Ton berichtet Clarke aus dieser bewegten Biografie, seine Erzählstimme und Zitate Charles Leslies verknüpfen sich in "The Art of Looking" zu einem stimmungsvollen Patchwork.

Begleitet wird der Text von zahlreiche Abbildungen von Kunstwerken aus Leslies Sammlung: Die Zeichnungen und Gemälde stammen von einer bunten Mischung an Künstlern wie Wilhelm von Gloeden, Anneke van Brussel, Rolf Koppel, Tom of Finland, Marion Pinto oder Go Hirano. Gemein ist vielen Werken jedoch, dass sie explizit schwulen Sex darstellen – der Penis zieht sich so als roter Faden durch den gesamten Bildband.

Monotone Muskelmassen


Der durchweg farbige Bildband "The Art of Looking" ist Anfang Mai im Berliner Bruno Gmünder Verlag erschienen

Diese Fokussierung auf den Penis ist vor dem Hintergrund von Leslies Sozialisierung durchaus nachvollziehbar, lässt sich seine Sammelwut doch als gerechtfertigte Kritik und Aufbegehren gegen einen biederen Zeitgeist und homophobe Normen verstehen. Gleichzeitig aber kann man diesem Dschungel aus Erektionen im Zeitalter von Internetpornos und Homo-Ehe als Leser mit größerer Selbstverständlichkeit und mitunter auch ein wenig gelangweilt entegentreten.

Neben stimulierender Kunst finden sich in Charles Leslies Sammlung nämlich ebenso Massen an Kitsch und Klischees. Zwischen dicht gedrängten Dauerständern und monotonen Muskelmännern noch etwas Herausforderndes zu entdecken, fällt von Seite zu Seite schwerer. Leider gelingt es Kevin Clarke nicht immer, den Blick der Leser tiefer zu lenken und in die Kunst des Hinschauens einzuweisen. Dafür bleibt vieles im Text doch zu sehr der Anekdote verhaftet und an der Oberfläche.

Faszinierende Vergangenheit, verzerrte Gegenwart

Von der Weltreise Leslies erfährt man beispielsweise nicht viel mehr, als dass der Kunstsammler überall, oft und gerne Sex hatte. Ähnlich banal bleiben in ihrer Erkenntnis auch so manche Ausführungen, mit denen Clarke die Geschichte seines Protagonisten ergänzt: Vom Paragraf 175, Stonewall oder der Aids-Krise in den 1980er-Jahren etwa weiß der Autor lediglich Allgemeinplätze und Grundwissen zu vermitteln, wo er doch sonst an vielen Stellen mit Sachverstand und guter Recherche glänzt.

Die eigentlich faszinierende Annäherung an schwule (Kunst-)Geschichte erweckt so stellenweise den Eindruck einer seichten Hagiographie, die Charles Leslie als allzu strahlenden Helden der Schwulenbewegung präsentiert. Dass das eine zu eng gedachte Perspektive ist, die Leslie letztlich nicht gerecht wird, zeigt sich spätestens dann, wenn der Blick auf die Vergangenheit den auf die Gegenwart verzerrt: Für zeitgenössische queere Kunst, die abseits von Leslies egozentrischem Kosmos aus Unterdrückungserfahrungen und ausgestellten Genitalien operiert, hat der Kunstsammler kein gutes Wort übrig.

Dass Leslies Vorstellung vom Schwulsein nicht die einzige Alternative zu einem konservativer werdenden schwulen Mainstream ist und schwule Identität sich nicht per se über ein Verhältnis aus Unterdrückung und Befreiungsschlägen definieren muss, dafür scheinen sowohl Charles Leslie als auch Clarkes Bildband blind zu sein. So irritiert auch das Fazit dieses Buches, das aus seiner eigenen starren Beschränktheit heraus nach weniger Grenzen und Einschränkungen für Sex und Kunst verlangt.

Infos zum Bildband

Kevin Clarke: The Art of Looking – The Life and Treasures of Collector Charles Leslie. Bildband. Hardcover mit Schutzumschlag. 256 Seiten. Text in englischer Sprache. Bruno Gmünder Verlag. Berlin 2015. 49,99 €. ISBN 978-3-86787-763-3

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#1 TheDad
  • 10.05.2015, 17:01hHannover
  • Wow..

    ""Der Penis als Messlatte""..

    Billige Aphorismus, oder dann doch platte Metapher ?

    ""Kunstsammler Charles W. Leslie in seinem gutausgestatteten Wohnzimmer.""..

    Ein Musterbeispiel an Tuntenbarock..
    Überfrachtet mit Krempel..

    ""Mit 17 Jahren dann, gleich einen Tag nach seinem Highschool-Abschluss, kehrte Charles Leslie dem Leben in der piefigen Provinz mit all seiner verklemmten Heimlichkeit den Rücken und zog nach Los Angeles.""..

    Und genau diese "Piefigkeit" der entstammenden Provinz spiegelt sich dann im Tuntenbarock des Wohnzimmers wider..

    Das macht so richtig Lust auf einen Bildband, der mit ""heteronormativen Position, zahlreiche(n) Übertreibungen, Verallgemeinerungen und Ungenauigkeiten"" nur so strotzen soll, und für die Kleinigkeit von 49,99 Euro zu haben ist..

    Naaaaja..
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#3 FinalmSposatoEhemaliges Profil
  • 10.05.2015, 20:28h
  • Antwort auf #1 von TheDad

  • Hätte ich den Artikel nicht gelesen, hätte ich mir bei so einem Wohnzimmer auf Glööcklers Großvater getippt...

    Doch nun denke ich, bei einem solchen Interieur würde jeder sofort das Weite suchen. Außer man wird fürs Bleiben bezahlt... Ist es böse sowas zu denken?
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