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"3517 Anno Domini"
Ein Lustdiener mit Fernsteuerung

Ausschnitt aus dem Cover: Der zarte Prinz Ragnar will seinen männlichen Sexsklaven auch ohne technische Hilfe ins Bett bekommen (Bild: Incubus Verlag)
- 14. Mai 2015 4 Min.
Raik Thorstads neuer Roman "3517 Anno Domini – Wir waren Götter" spielt in 1.500 Jahren – Homosexualität ist normal, Demokratie allerdings out.
Von Frank Hebenstreit
Raik Thorstad hat sich im Laufe der Jahre einen Namen gemacht. Eine wahre Fanbase wartet immer gespannt, was der Phantasie des Bigender-Autoren denn nun wohl wieder entsprungen ist.
Aus dieser Tastatur rieseln keine Geschichten einfach so leicht vor sich hin. Nur wenn eine Geschichte spannend, ein Charakter eckig und die Geschehnisse unvorhersehbar sind, dann und nur dann wird Raik sie erzählen. Zumindest scheint es so, denn all das trifft auch auf sein neues Buch "3517 Anno Domini – Wir waren Götter" wieder zu.
Eine Utopie mit uralter Herrscherform

"3517 Anno Domini" ist im Dortmunder Incubus Verlag erschienen
Wir schreiben das Jahr 3517. Die nuklearen Katastrophen haben die Erde, wie wir sie kennen, verändert. Ganze Länder und Kontinente sind unter Wassermassen verschwunden. Festland ist selten geworden in diesen Tagen. Aber nicht nur das Antlitz der Welt haben die Menschen mit ihren Kriegen und der unbeherrschbaren Technik verändert. Durch die massive Begrenzung von Lebensraum, Ressourcen und allem, was zu einem menschenwürdigen Leben dazu gehört, ist eine uralte Regierungsform wieder aufgelebt: die tatsächliche Monarchie.
Im Laufe der Jahre haben sich wieder kleine Adelshäuser formiert, die nun als Herrscher die Geschicke der Welt lenken. Ähnlich wie im Mittelalter herrschen sie immer nur über kleine Flecken oder Festungen. Aber ihre Technik ist moderner denn je. Und genau da liegt eines der Probleme dieser Gesellschaft. Die modernste Technik ist teuer, braucht großen Aufwand. Den echten Nutzen davon haben nur die Herrscher und deren enge Vertraute und Mitarbeiter.
Ob das Herrscherhaus der Merowinger, dem wir im Roman begegnen, wirklich seine Wurzeln in dem geschichtsträchtigen Stammbaum hat, ist völlig egal. Es lebt seinen Machtanspruch absolut aus und hat sich eine Festung aus Stahl und Technik mitten im Ozean erbaut. Hunderte von Meilen im Umkreis gibt es kein Land.
So leben die meisten Menschen in den unteren Bereichen der Feste. Dreckig, kräftezehrend, gefährlich und erniedrigend sind ihre Arbeiten, viele kommen ums Leben. Je höher man in der Festung kommt, desto luxuriöser wird sie. Ganz oben residiert die Herrscherfamilie. Regiert vom Tyrannen Takir erreichen die Herrscher aufgrund bester Medikamente hunderte von Lebensjahren. Sein Sohn Ragnar ist das absolute Bild eines verzogenen und verwöhnten Prinzen. Zierlich, sportlich und immer auf der Suche nach dem Kick.
Ein erotisches Geschenk mit Folgen

Versteht sich als Bi-Gender: Autor Raik Thorstad, Jahrgang 1980, lebt in Dortmund (Bild: Incubus Verlag)
Ganz anders Aiden. Arbeiter auf den Schiffen der Feste, ein prächtiger Kerl. Muskulös, straff, ein Bild von einem Mann. Weil Aidens Vater die horrenden Ansprüche Takirs nicht erfüllen kann, fordert dieser Aiden als Tribut und verschenkt ihn als Lustdiener an seinen Sohn. Gerade noch in stinkender Schiffskluft, findet sich Aiden schnell auf der Krankenstation wieder. Er wird gecheckt und ihm wird ein Chip eingepflanzt, der seine Gesundheit erhält und sein Leben verlängert.
Aber dieser Chip hat eine Besonderheit. Zu ihm gehört auch eine Fernbedienung – und die hat Ragnar. Auf Knopfdruck schaltet der Chip die sexuelle Erregung an und aus, und Aiden bleibt keine Wahl: Wenn er soll, will er einfach nur noch Ragnar zu Diensten sein.
Aber Ragnar und Takir haben die Rechnung ohne den starken Willen Aidens gemacht. Der schafft es immer wieder, sich selbst treu zu bleiben und sich den Befehlen zu widersetzen. Das reizt Ragnar, der nun alles daran setzt, den Diener unabhängig von allen Standesunterschieden für sich zu gewinnen. Takir gefällt dieses Verhalten jedoch gar nicht. Für einen Thronfolger gehört sich nun mal kein Buhlen um den Prachthintern eines Dieners, der nicht weiß, wo sein Platz ist.
Schnell finden sich Ragnar und Aiden in Geschehnissen wieder, die sie beide das Leben kosten könnte. Unter der von Meer, Wind und Salz angefressenen Stahlhaut der Festung brodelt es. Eine Geheimorganisation formiert sich zum Widerstand und zum Schlag gegen die Herrscher. Kurzum: In einer überraschen Wendung finden sich Ragnar und Aiden plötzlich gleichgestellt wieder. Eine Herausforderung, aber auch eine Chance…
Worte, die eine Choreografie für die Geschichte schaffen
Mit geschärfter Tastatur und geschliffener Sprache führt Raik Thorstad den Leser in diese utopisch schreckliche Welt. Schnell wachsen einem Aiden und Ragnar in ihren gegensätzlichen Eigenschaften ans Herz. Das welpenhafte Buhlen des Herrschersohnes um die Aufmerksamkeit des gestandenen Mannes lässt den Leser manchmal liebevoll nachdenklich, manchmal genervt innehalten.
Die Zweifel des gefestigten Mannes, ob ihn nun die eigenen Sehnsüchte oder doch der schnelle Knopfdruck in das Bett des Prinzen treiben, bieten dazu nur eine unangenehme, aber nachvollziehbare Ablenkung. Von der ersten Begegnung seiner Protagonisten an scheint es, als ob diese einer unsichtbaren Choreografie folgen. So schlittern beide von einer Katastrophe in die nächste, nur um sich wieder aufzurappeln und um ihre nächste Chance zu kämpfen.
Thorstads Stärke, einer vielschichtigen Beziehung auch viel Raum zu widmen, tritt auch in "3517 Anno Domini" zu Tage. Dabei bedient er sich natürlich einiger Klischees, die jedoch an unbekannter oder unerwarteter Stelle auftreten, so dass auch hier keine Langeweile aufkommt.
Ein weiteres Buch mit Suchtfaktor, das man erst ausgelesen wirklich beruhigt aus den Händen legt. Mehr davon!
Raik Thorstad: 3517 Anno Domini – Wir waren Götter. Fantasy-Roman. Taschenbuch. 584 Seiten, Incubus Verlag. Dortmund. 2014. 14,95 €. ISBN 978-3-9455690-0-9

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