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Falsche Pädophilie-Vorwürfe
"Ich bin weiterhin stolzer Träger des Felix-Rexhausen-Preises"

Jobst Knigge hat seit 2007 diverse Filme für ZDF, ARD und Arte gedreht. Für seine Doku "Der Aidskrieg" über die Aidskrise in den 1980er Jahren wurde er 2012 u.a. mit dem Felix-Rexhausen-Preis ausgezeichnet (Bild: Axel Bach)
- 24. Mai 2015 4 Min.
Der Berliner Journalist und Filmemacher Jobst Knigge schaltet sich in die Debatte um das Buch "Berührungen" ein – und kritisiert neue Angriffe von David Berger.
Von Jobst Knigge
Ich bin Träger des Felix-Rexhausen-Preises 2012. Die Auszeichnung wurde mir für meinen Film "Der Aidskrieg" über die Aidskrise in den 1980er Jahren verliehen.
Seit einigen Wochen liegt nun ein Schatten über dem Namensgeber Felix Rexhausen. Der Journalist habe in seinen Schriften die Pädophilie verharmlost, heißt es. Es ginge in seinem Buch vom "tragischem Bagatellisieren bis zum Verherrlichen von Sex mit Kindern und Jugendlichen", kritisierte David Berger in der Huffington Post. Rexhausen sei es nicht wert, einen Preis nach ihm zu benennen oder, wie in Köln geplant, einen Platz.
Voller Schreck habe ich das getan, was ich natürlich schon vor der Annahme des Preises hätte tun müssen: Ich habe Felix Rexhausens in die Kritik geratenes Buch "Berührungen" gelesen. Manche Passagen dieser Geschichten haben mich erschreckt, andere berührt.
Den Sex mit Kindern lehnt der Autor explizit ab

Das Cover der Männerschwarm-Ausgabe von "Berührungen" in der "Bibliothek rosa Winkel"
Rexhausen hat sein Buch in den 1960er Jahren unter einem Pseudonym veröffentlich, bei der Lektüre weiß man warum. Es geht sehr explizit, bunt und anschaulich um schwulen Sex. Um den Sex, der damals unter Strafe verboten war. In ganz wenigen Passagen dabei auch um Kinder und Jugendliche. Um Sex in Parks und Klappen, mit "Negern" (wie es immer wieder heißt) und "blonden Bübchen".
Den Sex mit Kindern lehnt der Autor explizit ab, bei Jugendlichen ab 15 Jahren sei das jedoch anders. Sicherlich würde man heute einen Text nicht mehr so schreiben. Aber macht das Rexhausen schon zu einem "Verherrlicher" der Pädophilie?
Noch immer wird von vielen Kritikern und Homophoben Homosexualität und Pädophilie gleichgestellt. Mit meinem heutigen Wissen kann ich es nicht verstehen, aus der Zeit heraus aber nachvollziehen, dass Homo-Aktivisten in früheren Zeiten eine Solidarität mit Pädophilen empfanden. Beide "Gruppen" waren nicht nur rechtliche, sondern auch moralische und gesellschaftliche Outsider. Beiden drohte Haft und die gesellschaftliche Ächtung. Wer für Gleichheit und Freiheit kämpft, überschreitet manchmal Grenzen. Das scheint damals passiert zu sein.
David Berger zieht in seiner Kritik an Rexhausen eine direkte Linie zu Grünen und AL in den 1980er Jahren, ja zur Linken allgemein. Das ist wohlfeil – es ist so leicht, mit heutigem Wissen Dinge zu verurteilen. Als Kenner der Katholischen Kirche wird Berger wissen, dass die unbestreitbaren und grausamen Übergriffe von Pädophilen in früheren Zeiten in ihrer Dramatik für die Kinder so nicht erkannt wurden. Das ist sicher fahrlässig und erschreckend, aber es ist nun mal so.
Kindesmissbrauch gab und gibt es in den Kirchen, an Schulen, auch an eher linken wie der Odenwaldschule, in Familien und nun eben auch bei den Grünen. Die Fälle aufzuklären hat Jahrzehnte gedauert. Pädophilie in den 1960er bis 1980er Jahren (wahrscheinlich auch davor und danach) scheint mir kein linkes oder rechtes, christliches oder auch homosexuelles Problem zu sein, sondern ein gesellschaftliches. Eine ganze Gesellschaft hat sich schuldig gemacht. So hart das auch sein mag, für jeden, der damals in Verantwortung stand.
Linke und "Gender-Ideologien" so schlimm wie Pädos?

David Berger nutzte den letzte Woche vorgestellten "Pädo-Bericht" der Berliner Grünen am Freitag zu einer Generalabrechnung mit Linken und "Gender-Ideologien"
"Die enge Bindung der LGBT Community an Linke und Gender-Ideologien wird man später einmal so bereuen, wie man sich heute für die Zusammenarbeit von Homo-Aktivisten und Pädos in den 70er und 80er Jahren schämt", schreibt David Berger auf seiner Facebook-Seite. Ich schäme mich nicht für die Homo-Aktivisten. Sie haben Fehler gemacht, aber sie haben auch sehr viel Gutes erreicht. Meine Freiheit haben sie erkämpft, dafür bin ich ihnen dankbar!
Und was heißt eine Nähe zur Linken? Wenn der Kampf für Freiheit und Gleichheit links ist, dann bin auch ich ein stolzer Linker. Und was sind "Gender-Ideologien"? Auch hier wieder: Wenn das heißt jeder ist gleich, ob Mann oder Frau, Schwuler, Lesbe oder Transsexueller, dann bin ich aus voller Überzeugung "Gender-Ideologe".
Die Schauspielerin Kerry Washington hat in diesem Jahr den Vanguard Award der amerikanischen LGBT Organisation GLAAD gewonnen. In ihrer wundervollen Dankesrede sagte sie: "Wir müssen Verbündete sein. So lange es Menschen gibt, die als weniger gelten, steht unsere Definition der Menschlichkeit auf dem Spiel, und wir sind alle verwundbar."
Ich sehe meine Verantwortung als schwuler Mann darin, ein Verbündeter zu sein. Auch für die, die ich nicht immer verstehe. Offen zu sein für andere. Nach meiner Überzeugung macht mich das nicht zu einem Linken, sondern zu einem Menschen.
Darf nach Felix Rexhausen ein Preis benannt werden? Oder ein Platz? Ich habe auch Rexhausens Buch "Lavendelschwert – Dokumente einer homosexuellen Revolution" gelesen. Ich finde, der Autor dieser Satire hat es verdient, geehrt zu werden. Ich bin weiterhin ein stolzer Träger des Felix-Rexhausen-Preises.

Links zum Thema:
» Homepage von Jobst Knigge
» Mehr Infos zum Buch "Berührungen" und Bestellmöglichkeit bei Amazon
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» Das steht wirklich in Felix Rexhausens Roman! (11.05.2015)
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Jemand der in der kreuz.net-Affäre so eine unrühmliche Rolle eingenommen hat (zusammen mit dem Bruno-Gmünder-Verlag), sollte lieber mal ganz schnell den Mund halten. Denn von einer moralischen Instanz o.ä. ist Herr Berger meilenweit entfernt.