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Debatte um Ehe für alle
Bericht: Merkel persönlich gegen Ehe-Öffnung

Bundeskanzlerin Angela Merkel gestern bei einem Bürgerdialog
- 02. Juni 2015 5 Min.
Laut der "Welt" sieht die Bundeskanzlerin einen "Unterschied" zwischen hetero- und homosexuellen Paaren. Der LSVD fordert einen Einsatz vom Bundesrat.
Von Norbert Blech
Die Chancen auf eine schnelle Ehe-Öffnung für schwule und lesbische Paare in Deutschland sinken. Einem Bericht der "Welt" zufolge habe das CDU-Präsidium am Montag in Berlin fast eineinhalb Stunden über diese Frage diskutiert, bevor Generalsekretär Peter Tauber danach der Presse verkündete, dass man nicht mehr als den Koalitionsvertrag umsetzen wolle (queer.de berichtete).
Volker Kauder habe sich dem Bericht zufolge klar gegen die Ehe-Öffnung ausgesprochen, auch Armin Laschet habe Bedenken angemeldet. Julia Klöckner, Volker Bouffier und Thomas Strobl hätten auch Argumente für eine Gleichstellung gebracht. "Gleichzeitig wird angemerkt, man dürfte sich nicht 'nur noch' mit Minderheiten beschäftigten", fasst die "Welt" die Sitzung zusammen. "Der Kita-Streik interessiere die Wähler im Zweifelsfall mehr."
Laut übereinstimmenden Teilnehmerberichten habe sich auch Bundeskanzlerin Angela Merkel selbst zu Wort gemeldet und dargelegt, dass es "einen Unterschied" gebe "zwischen einer Ehe, die zwischen Mann und Frau geschlossen wird, und einer Lebenspartnerschaft zwischen zwei Menschen gleichen Geschlechts", so die Zeitung. "Diesen Unterschied zu benennen, sei noch keine Diskriminierung."
Zwang durch Karlsruhe als Strategie

Dieses noch immer aktuelle LSVD-Motiv ist inzwischen 14 Jahre alt – zur Debatte um die Einführung von Lebenspartnerschaften hatte Merkel damals gesagt: Es "widerspricht der Verfassung, gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften rechtlich auf eine Stufe mit der Familie zu stellen"
"Merkel hat bisher gute Erfahrung gemacht, sich Stück für Stück zur Gleichstellung zwingen zu lassen – und scheint bei dieser Strategie bleiben zu wollen", fasst die "Welt" zusammen. In der Tat hatte sich Merkel, wenn sie mal gefragt wurde, immer gegen mehr Rechte für schwule und lesbische Paare gestellt.
Der Öffentlichkeit wurde das spätestens im September 2013 bewusst, als Merkel in der ARD-"Wahlarena" sagte, dass sie sich "schwer tue mit der völligen Gleichstellung" (queer.de berichtete): "Ich persönlich (…) werde jedenfalls selber nicht einen Gesetzentwurf einbringen für eine komplette Gleichstellung, für die Adoption. Ich weiß, dass das für viele gleichgeschlechtliche Paare schwer ist, aber ich bin mir einfach da nicht ganz sicher."
Im August 2012 hatte sich Merkel in einem TV-Interview gegen ein Ehegattensplitting für Lebenspartnerschaften ausgesprochen (queer.de berichtete): Ehe und Familie, "mit gutem Grund" vom Grundgesetz geschützt, sollten "deutlich bessergestellt" sein als eine Lebenspartnerschaft. "Ich glaube, dass wir an dieser Stelle gut daran tun, doch die Rechtsprechung noch einmal abzuwarten". Schon damals war abzusehen, dass das Bundesverfassungsgericht das anders sehen würde – ein entsprechendes Urteil kam zehn Monate später.
Im Sommer zuvor hatte Merkel zu mehreren Entscheidungen zur Gleichstellung von Lebenspartnerschaften aus Karlsruhe gesagt, das Gericht habe einen Weg genommen, "der über das, was ich persönlich entschieden hätte, hinausgeht" (queer.de berichtete). Eine weitere Gleichstellung werde sie "aus eigenem Antrieb politisch nicht machen".
Initiative aus dem Bundesrat
Derweil machte am Dienstag über Agenturen die Meldung die Runde, Rot-Grün wolle über den "Bundesrat die Homosexuellen-Ehe durchsetzen". Einen entsprechenden Einsatz forderte am Dienstag auch der LSVD: "Wenn die Bundesregierung kläglich versagt und am diskriminierenden Eheverbot festhält, sind jetzt andere Verfassungsorgane gefragt", heißt es in einer Pressemitteilung. Der LSVD verweist darauf, dass die Länderkammer 2013 schon einmal einen Gesetzesantrag zur Ehe-Öffnung beschlossen hatte.
In der Tat planen einige Bundesländer bereits eine entsprechende Initiative, entscheiden muss aber weiter der Bundestag (queer.de berichtete). Dort dürfte der Antrag – wie Oppositionsanträge zur weiteren Gleichstellung oder Ehe-Öffnung – wie so häufig scheitern. Peter Tauber hatte gestern erneut festgestellt, dass er keinen Grund sieht, den Fraktionszwang aufzuheben.
Äußerungen von SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi legen nahe, dass kein großer Einsatz der SPD in dieser Frage zu erwarten ist: (queer.de berichtete). Das Nein der Union zu einer Gleichstellung sei "eine Tatsache, die wir zur Kenntnis zu nehmen haben", sagte sie gestern. (queer.de berichtete). Angela Merkel hatte übrigens bereits vor Aufnahme der Koalitionsgespräche gesagt, dass eine Ehe-Öffnung für Schwule und Lesben "am Veto der Union scheitern" werde (queer.de berichtete).
Spahn: Debatte, aber nicht verletzend

Jens Spahn: "Wir müssen als CDU herausarbeiten und endlich erkennen, worum es eigentlich geht. Das ist doch eine Pro-Ehe-Diskussion! Was früher als urkonservative Institution von linker Seite angefeindet wurde, erfreut sich plötzlich ungeahnter Beliebtheit"
Das schwule CDU-Präsidiumsmitglied Jens Spahn hat derweil am Dienstag in einem Interview mit der "Welt" versucht, die Wogen zu glätten, und die Union vor verletzenden Worten gewarnt: "Wenn wir diese Debatte mit mangelnder Aufrichtigkeit und verletzend führen, dann stoßen wir nicht nur Schwule und Lesben vor den Kopf, sondern auch ihre Familien und Freunde". Dabei könnte man die Ehe-Öffnung als konservatives Projekt begreifen und "mutig und selbstbewusst" eine "Wertedebatte" führen.
Das Interview enthält zugleich Seitenhiebe gegen linke Politik und ein Schönreden homophober Haltungen: "Wenn jemand die Ehe als Verbindung von Mann und Frau ansieht, dann ist das nicht zwangsläufig bösartig und diskriminierend. Auch mein Vater zögert bei dem Gedanken, dass zwei Männer Kinder großziehen. Deshalb ist er nicht homophob. Man muss den Zweiflern positive Beispiele vorleben. Die verbalen Keulen auf beiden Seiten müssen wir wegpacken."
Einer Frage nach einer Aufhebung des Fraktionszwangs wich Spahn aus ("ich will es gar nicht so weit kommen lassen, sondern meine Partei überzeugen"). Zwar betonte er: "Wir werden nicht auf den Letzten warten können." Einer Forderung der Fraktions-Vizevorsitzenden Nadine Schön, über die Ehe-Öffnung auf dem nächsten Parteitag zu diskutieren, wich er allerdings ebenfalls aus: "Ich würde erst einmal abwarten, wie die Debatte weitergeht. Aber der Bundesparteitag ist nicht allein entscheidend. Wichtig sind die Diskussionen vor Ort."
Auf den Vorwurf der "Welt", die Union sende das klare Signal, dass die Ehe in Deutschland "zu" bleibe, meinte Spahn: "Entscheidend ist für mich, dass darüber offen diskutiert wird."

Es sei denn man ist ein deutscher Herrenmensch in alter Entrechtungs- und Vernichtungstradition.