Moderatorin Nicole Selmer mit zwei von acht Podiumsgästen: Patrick Gasser, Senior CSR Manager UEFA, und Thomas Hitzlsperger, ehemaliger deutscher Nationalspieler (Bild: FARE)
In der Berliner Ver.di-Zentrale wurde am Freitag mal wieder über Homophobie im Fußball diskutiert – mit Thomas Hitzslperger als einsamen Stargast.
Von Peter Fuchs
Wie er sich als "the only gay in the village" fühle, wird ihn ein Zuschauer beim Q&A-Teil der Diskussion fragen. Zuerst Lachen, na klar. Dann: Er sei zufrieden, hatte aber auch keine Erwartungen. Er erinnere sich an Spekulationen in Vorgesprächen, dass sich nach ihm sofort zehn weitere Spieler outen. Oder keiner. Letzteres ist der Fall. Enttäuscht sei er darüber nicht, denn es läge ja nicht in seiner Hand. Thomas Hitzlsperger, dessen Charme jedes Herz im Sturm erdribbelt, wirkt dabei glaubwürdig.
Draußen tobt der Sommer, in der Berliner Ver.di-Zentrale kühlt die Klimaanlage alles auf Wohlfühltemperatur herunter, Gesprächsbeiträge inklusive. Das Netzwerk Football Against Racism in Europe (FARE) hat mit Unterstützung des Lesben- und Schwulenverbands Berlin-Brandenburg (LSVD) zur Diskussion über Homophobie im Fußball geladen. Darüber lässt sich hitzig streiten – sind sich jedoch alle einig, dass Diskriminierung gar nicht geht, wird es rasch kuschelig.
Den meisten Widerspruch bekommt ein Kollege von der UEFA. Patrick Gasser, verantwortlich für Corporate Social Responsibility beim europäischen Fußballverband, formuliert ehrenhafte Statements, ideal für Sonntagsreden. Die UEFA sei gegen jegliche Form der Diskriminierung und dabei sei Homophobie eindeutig mitgemeint. Das Aber folgt auf dem Fuß. Weil es "verschiedene Facetten" von Diskriminierungen gibt, "ist es für uns einfach nicht möglich, jedes Thema von spezifischen Gruppen wie gewünscht in den Vordergrund zu rücken. Das ist ein Ding der Unmöglichkeit."
Die Hierarchie von Diskriminierung im Fußball
Kein Wunder, dass Personen, die auf Plätzen, in den Kabinen und Kurven tägliche Antidiskriminierungsarbeit leisten, bei solchen Äußerungen Ungeduld an den Tag legen. Die ehemalige Bundesligaspielerin Tanja Walther-Ahrens stellt fest, dass die "Mechanismen der Diskriminierung immer dieselben sind, egal warum jemand diskriminiert wird." Auch sieht sie eine klare Hierarchie von Diskriminierung. Antisemitismus sei ein No-go, Rassismus würde auch immer mehr geächtet. Die Diskriminierung von LGBT und Frauen allgemein ginge aber durch.
Gerade bei "Bist du schwul, oder was?" oder "Stell dich nicht so an wie ein Mädchen" wiegeln viele ab, weil es die diskriminierende Person ja gar nicht so gemeint haben will. Walther-Ahrens sieht den DFB in der Pflicht, vor allem die Trainer der E- oder F-Jugend nicht nur für die Vermittlung der Viererkette auszubilden, sondern auch "zum Umgang mit Menschen" abseits vorgefertigter Rollenbilder zu qualifizieren.
Thomas Hitzlsperger wiederum will im direkten Gespräch Vorurteile aus dem Weg zu räumen. Beschreibt der ehemalige Nationalmannschaftskollege Thomas Müller etwa in einem Interview eine schlechte Leistung als "Mädchenfußball", müsse man ihn darüber aufklären, wie wichtig die Wortwahl sei, wie sie auf einzelne Personen wirke. Und wenn er es gar nicht so gemeint haben will, dann müsse man ihm auch sagen: "Wenn du etwas nicht so meinst, dann sag es nicht so".
Die komplette Stimmung in der Fußballwelt lässt sich damit zwar nicht auf einen Schlag ändern, aber Hitzlsperger verliert nicht die Hoffnung. Seine Haltung ist entgegenkommend, aber bestimmt. Ein wichtiger Aspekt sei für ihn auch die Unterstützung durch heterosexuelle Spieler. "Man kann das nicht hoch genug einschätzen, wenn es zwar keine schwulen Fußballer in den Topligen gibt, aber dafür heterosexuelle, die sich für die Belange der Schwulen einsetzen."
Pro und Kontra Coming-out im Profifußball
Ob er einem schwulen Bundesligaspieler ein Coming-out empfehle? Da gibt sich Hitzlsperger diplomatisch. "50 Prozent empfehlen es nicht, die andere Hälfte schon. Erstere fühlen scheinbar ein homophobes Umfeld, letztere kennen Spieler, die sagen, bei uns wäre das kein Problem. Daher sollte jeder selbst entscheiden, ob es für ihn eine gute Idee ist oder nicht."
Deutlicher schon seine Antwort auf die Frage, was er als schwuler Mann von den WM-Vergaben nach Russland und Katar halte. "Ich war entsetzt, aber wir haben das große Glück, dass sich in den letzten Tagen sehr viel getan hat bei der FIFA. Gehen wir mal davon aus, dass sich in den nächsten Wochen noch sehr viel verändert."
Am Ende hat die Podiumsdiskussion den Bogen "von Kreuzberg bis Katar" gespannt, wie Moderatorin Nicole Selmer von Fußballmagazin "ballesterer" treffend zusammenfasst. Eine Distanz, die aber leider auch ein wenig zu groß ist für ein einzelnes Event. Details von der Trainerausbildung in Belgien über den "Zufall", dass die Fußball-WM der Frauen am Tag des Champions-League-Finale der Männer startet, bis zu den Bemühungen bei Werder Bremen sind am Freitag leider nur gestreift worden.
Thomas Hitzlsperger steht nach der Veranstaltung allein vor der Berliner Ver.di-Zentrale und checkt sein Smartphone. Es ist zu wünschen, dass er bald nicht mehr allein ist – als Identifikationsfigur für aktuelle und zukünftige Fußballer, die schwul sind.