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Evangelischer Kirchentag

Eine Mischung aus CSD und Bibelstunde


Regenbogenfahne statt Kreuz: NDR-Reporter Christan Deker referiert auf dem Stuttgarter Kirchentag über evangelikale "Homoheiler" (Bild: Andreas Zinßer)

  • 8. Juni 2015, 16:41h 88 7 Min.

Fast 100 Veranstaltungen zu queeren und Gender-Themen gab es auf dem Evangelischen Kirchentag in Stuttgart. Unser Autor hat sich unter die Besucher gemischt.

Von Andreas Zinßer

Kirchentag in der Stadt. "Achtung Stuttgarter, die Religioten kommen", postet ein Freund. Beim Blättern durch das 540-seitige Programmheft stellt sich die Frage, worüber zu berichten wäre. Gehe ich zu umstrittenen Veranstaltungen wie dem "Pietistischen Christustag", der irgendwie gar nicht so richtig zum Programm gehört? Lokale Medien haben das getan und dort getreu dem biblischen Motto "Wer suchet, der findet" auch schön viel Homophobie und Menschenfeindlichkeit gefunden.

Viel spannender fand ich die Frage, ob es nicht auch im kirchlichen Leben ernsthafte und sachliche Versuche gibt, gemäß der christlichen Grundhaltung "Gott liebt uns alle" wertschätzend mit allen Lebensformen umzugehen. Und tatsächlich weist das Programm fast 100 Veranstaltungen zu queeren und Gender-Themen auf. Ich mache mich auf den Weg – "damit ich klug werde" (so das Motto des Kirchentags).

Fernab vom Schuss liegt das "Zentrum Regenbogen"

Der erste Eindruck ist verhalten. Das "Zentrum Regenbogen" befindet sich im Gemeindezentrum St. Michael im Stadtteil Wangen. Selbst langjährige Stuttgarter müssen überlegen, wo der ist. Eine halbe Stunde braucht man dorthin von den großen Veranstaltungsplätzen des Kirchentags in der Innenstadt und auf dem Cannstatter Wasen. Unbehaglich frage ich mich, ob das Absicht der Kirchentagsleitung ist.

Umso überraschender dann die große Menge an Besuchern, die am ersten Tag um 10 Uhr schon versammelt ist. Das Kleinhalten ging damit gleich von Anfang an kräftig daneben, das Zentrum wird am Ende auch zu den bestbesuchten des Kirchentags zählen.

Die "Homoheiler" diskutieren nicht mit

Heute Morgen steht ein kontroverses Thema auf dem Programm: "Da kann man doch was machen?! Umpolungsversuche an Schwulen und Lesben und deren Folgen". Das Podium ist mit Menschen besetzt, die dazu tatsächlich etwas zu sagen haben: Pia Voss-Höges, Psychologin; der NDR-Reporter Christan Deker, der mit seinen beiden Filmen "Die Schwulenheiler" kräftig für Furore sorgte, und Günter Baum, Gründer der Ex-Gay-Organisation "Wüstenstrom", der sich heute davon distanziert und mit seinem "Zwischenraum" versucht, Evangelikale und Homosexuelle an einen Tisch zu bringen.

Der Gemeindesaal ist bis auf den letzten Platz besetzt und es herrscht angespannte Konzentration. Es ist nicht angenehm, was Deker und Baum referieren. Umpolungsversuche, so wird schnell klar, haben auch einige Besucher hinter sich. Sie führen zu Angststörungen, Depressionen und Suizid. Voss-Höges bringt es auf den Punkt: "Da kann man doch was machen?! Nein, da kann man nichts machen und nein, da muss man auch nichts machen." Kritische Fragen richten sich vor allem an Baum, der dann auch verneinen muss, als er gefragt wird, ob es eine offizielle Aufarbeitung der durch "Wüstenstrom" Geschädigten gibt.

Ich frage Mirjam, 17, aus NRW, nach ihren Erfahrungen: "Ich bin jetzt ein Jahr geoutet und habe noch nie Homophobie erlebt." Darum beneidet sie Tizian, 18, aus Braunschweig, der nicht glaubt, dass Homophobie so schnell ausstirbt.

Dreistündiger Workshop "Mit der Bibel gegen Homophobie"

Gerade erst habe ich mir gedacht, dass es sich hier eigentlich auch um Veranstaltungen der CSD-Kulturwoche handeln könnte: Es wird sachlich informiert, diskutiert und mit der Vernunft argumentiert. Doch dann beginnt der Workshop "Mit der Bibel gegen Homophobie", und ich bin mitten im christlichen Geschehen. Zwei Theologen nehmen die üblicherweise gegen LGBT verwendeten Bibelstellen aufs Korn und auseinander. Der Workshop dauert drei Stunden, bei rund 500 Teilnehmern und 30 Grad im Raum. Hinterher weiß ich immerhin, dass es eigentlich nur eine einzige Sünde gibt: Sich selbst ab- oder über zu bewerten, also Gott zu spielen.

Auch am Freitag ist es heiß. Mir fehlt jegliche Lust auf anstrengende Workshops. Lieber zum "Markt der Möglichkeiten"! Dort findet sich homophobes Gerede am Stand der "christlichen Jugendoffensive", die trotz verschleierter Homoheilungs-Ansichten vollwertiges Mitglied der Diakonie ist. Andererseits treffe ich auf die Stände des Lesbennetzwerks, der Gruppe Homosexuelle und Kirche sowie der Elternverbands BEFAH. Sie sind stark frequentiert. Hier hört man ausschließlich inhaltliche Fragen zur Arbeit dieser Organisationen.

Überhaupt fällt auf, wie offen und freundlich die Kirchentagsbesucher untereinander sind. Überall gerät man blitzschnell in Gespräche – dass ich mit meinem Presseausweis als Journalist geoutet bin, stört niemanden.

Beifall für Minister Andreas Stoch im "Zentrum Gender"



Auch das "Zentrum Gender" liegt weitab vom Schuss, genauer gesagt nicht mal in Stuttgart, sondern im Nachbarort Fellbach. Dort gibt es am Samstagmorgen eine Podiumsdiskussion u.a. mit dem baden-württembergischen Kultusminister Andreas Stoch und dem Oberkirchenrat Werner Baur unter dem Titel "Wir wollen nicht erduldet werden!".

Hier wird endlich gestritten. Der Minister möchte eine offene Gesellschaft und fordert darum vehement, dass alle Lebensformen in den Bildungsplänen verankert werden. Er ist genervt von jenen Ewiggestrigen, die auch nach der tausendsten Erklärung immer noch mit "Kein Pornounterricht im Kindergarten"-Schildern demonstrieren: "Das hat mit Ängsten dann gar nichts zu tun. Die wollen einfach nicht."

Oberkirchenrat Baur übernimmt den Gegenpart: Im Sinne der Einheit der Kirche könne die Kirchenleitung gar nichts gegen Homophobie in ihren Reihen tun, meint er, kann jedoch die Mehrheit des Publikums nicht überzeigen. Immerhin gibt sich Baur persönlich geläutert und sagt: "Die am Mittwoch beim Gedenken dargestellten Schicksale werden wir in den Bildungsplänen zum Religionsunterricht verankern."

Resolution für Gleichstellung homosexueller Paare scheitert am Quorum

Und dann wird eine historische Chance bereits zum zweiten Mal vergeben: Wie auch beim letzten Kirchentag in Hamburg soll eine Resolution verabschiedet werden, welche die Evangelische Kirche in Deutschland dazu zwingt, in Sachen akzeptierendem Umgang mit Homosexuellen und Öffnung der Ehe den Staat vor sich herzutreiben. Das Reglement sieht vor, dass dafür 500 Personen anwesend sein müssen, damit gültig abgestimmt werden kann. Es fehlen 54.

Die Enttäuschung ist den Menschen anzusehen, zumal eine Mehrheit sicher gewesen wäre. Tim, 44, aus Nürnberg meint dazu: "Es ist echt bitter – zumal ja viele Leute während der Diskussion gegangen sind, es anfangs also sicher genügend waren."

Offenheit trifft auf Engstirnigkeit



Viel Zeit zur Traurigkeit bleibt nicht, denn der nächste Workshop wartet: In "Sexualität. Lustvoll, männlich, weiblich und mehr" geht es auch um Intersexualität und den erschreckenden Fakt, dass eines von 500 Neugeborenen zwangskastriert wird. 90 Prozent der intersexuellen Babys werden dabei zu Mädchen gemacht. "Es ist eben leichter ein Loch gebohrt als ein Pfahl errichtet", verurteilt Kinderarzt Dr. Jörg Woweries diese Praxis.

Prof. Dr. Peter Dabrock vom Deutschen Ethikrat fordert in seinem Vortrag, dass die Kirche sich der Schuld an den Homosexuellen zu stellen habe und der Umgang mit Homo- und Transphobie die Apartheidsfrage unserer Zeit sei. Mal erinnert der Evangelische Kichentag an den CSD, mal an eine Bibelstunde. Offenheit und Toleranz stoßen in Stuttgart auf Engstirnigkeit und das Festhalten an konservativen Traditionen. Die Impro-Theatergruppe, die zum Thema Heteronormativität auftritt, muss einräumen, dass drei ihrer acht Mitglieder des Themas wegen nicht mitgekommen sind.

Doch in der Regel bleiben die Fraktionen unter sich. Auch ich gehe zum Abschlussfest des "Zentrums Regenbogen". Um meine Lernkurve zu vervollständigen, treffe ich dort zufällig Lea, 22, aus dem Rheinland, die mit einem Trans-Mann zusammen ist. Gefragt, wie sie sich denn definiere, antwortet sie: "Ich liebe, wen ich liebe. Ich hatte Freundinnen, Hetero-Jungs und nun einen Trans-Mann. Wen ich liebe ist egal, Hauptsache es fühlt sich echt und richtig an."

Ein Gefühl von Gemeinschaft

Viereinhalb Tage Kirchentag liegen hinter mir, denn den Abschlussgottesdienst lasse ich sausen. Als kritischer Journalist mit Fragen, die normalerweise ungern von Kirchen beantwortet werden, habe ich ich mich aufgemacht, "klug zu werden". Mir begegneten die unterschiedlichsten Menschen mit vielfältigen Sexualitäten. Niemand war so, wie ich mir Menschen vorstellte, die zum Kirchentag gehen.

Egal ob es Menschen innerhalb oder außerhalb der Kirche hören wollen oder nicht: Die Evangelische Kirche ist bunt! Trotz meiner Skepsis wurde ich also mitgerissen, denn gerade im "Zentrum Regenbogen" wurde mühelos etwas hergestellt, was ich in der Community sehr oft schmerzlich vermisse: Gemeinschaft.

#1 345tmj6u564Anonym
  • 08.06.2015, 17:16h
  • Egal ob katholisch oder evangelisch, Kirchensekten sind was für Realitätsfremde und Loser.

    Auch die evangelische Kirche baut ihre Sekte, wie alle anderen christlichen Sekten auch, auf der Bibel auf, einem Buch, in dem das Fantasiewesen "Gott" unzählige Menschen auf grausame Weise tötet und in dem auch sonst unzählige Grausamkeiten und Unmenschlichkeiten in Überzahl vorkommen.

    Ich lebe seit meinem Kirchenaustritt in meiner Jugend ohne Kirche, und ich kann sagen, dass ich froh bin dieser Sekte nicht mehr anzugehören.

    www.kirchenaustritt.de
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#2 HonestAbeProfil
  • 08.06.2015, 17:31hBonn
  • "Trotz meiner Skepsis wurde ich also mitgerissen, denn gerade im "Zentrum Regenbogen" wurde mühelos etwas hergestellt, was ich in der Community sehr oft schmerzlich vermisse: Gemeinschaft."

    Ist ja prima wenn man sich schön faul ins gemachte Nest setzen kann, doch wie wäre es stattdessen, sich selbst - innerhalb der Community oder gerne auch übergreifend - zu organisieren und dadurch EIGENE Gemeinschaften zu bilden? Du tust ja fast so, als hätte die Kirche ein Patent auf Gemeinschaft! Stattdessen passiert so was außerhalb der Kirchen ständig und nachhaltig. Niemand ist auf eine Kirche angewiesen, um Gemeinschaft erleben zu können. Das wollen sie uns lediglich glauben machen, um ihre Machtbasis zu erhalten. Stattdessen ist auch Kirche heutzutage nichts weiter als ein Alternativangebot unter Tausenden und das ist auch gut so!
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#3 reiserobbyEhemaliges Profil