Demo am Freitag vor dem Bundesrat: Die Enthaltung Berlins bei der Abstimmung über die Ehe für alle sorgt weiter für Streit (Bild: LSVD)
Während sich SPD und CDU auf ihren Landesparteitagen weiter bekriegen, stellen Aktivisten die CSD-Eröffnung durch den Regierenden Bürgermeister infrage.
Von Micha Schulze
Es ist schon absurd: Tausende Lesben und Schwule flüchten jedes Jahr aus ihren piefigen Dörfern in Thüringen oder Baden-Württemberg nach Berlin – doch wenn es drauf ankommt, stimmt ausgerechnet die Provinz für gleiche Rechte, während ihnen die ach so tolerante Metropole in den Rücken fällt.
Die Enthaltung des rot-schwarzen Senats am Freitag im Bundesrat bei der Abstimmung über die Ehe für alle hat nicht nur die Gräben zwischen SPD und CDU weiter vertieft, sondern auch die zwischen Regierung und den queeren Regierten. Und das ausgerechnet kurz vor dem schwul-lesbischen Stadtfest und dem CSD…
SPD-Chef Stöß wettert gegen die "Provinzpolitiker" der CDU
Berlins SPD-Chef Jan Stöß warf Eheöffnungs-Gegnern eine "Argumentation aus der Buddelkiste" vor (Bild: SPD Berlin)
Zunächst zur Großen Koalition, die kaum die nächste Wahl, die in 15 Monaten ansteht, überstehen dürfte: Mit heftigen Angriffen auf die CDU eröffnete der SPD-Landesvorsitzende Jan Stöß am Samstag den Landesparteitag der Berliner Sozis im Hotel Intercontinental. Die SPD sei erfolgreich und selbstbewußt, meinte der schwule Politiker – und fügte hinzu: "Wir haben allerdings einen Koalitionspartner."
Stöß ging in seiner Rede direkt auf die umstrittene Enthaltung Berlins in der Länderkammer ein: "Berlin hätte gestern gerne im Bundesrat mit Ja gestimmt zur Ehe für alle", sagte der SPD-Landeschef laut "Berliner Morgenpost". "Mit welcher Ernsthaftigkeit, Entschlossenheit und Engagement unser Regierender Bürgermeister dafür gekämpft hat, dass es ein Ja geben kann, dafür haben wir großen Respekt."
Jan Stöß warf der CDU aufgrund ihres Vetos vor, keine Großstadtpartei zu sein. Die Auffassung mancher Unions-Politiker, die Ehe sei weniger wert, wenn sie für homosexuelle Paare geöffnet werde, nannte er eine "Argumentation aus der Buddelkiste". Und unter Beifall der Delegierten fügte er hinzu: "Schwule und Lesben wollen sich von diesen Provinzpolitikern nicht mehr beleidigen lassen."
Dass die Berliner CDU ihre Mitglieder zur Ehe-Öffnung befragt, sei zumindest ein Erfolg, meinte der Parteichef. "Die Mitgliederbefragung würde es nicht geben, wenn die SPD nicht so einen Druck gemacht hätte." Sollte es eine Mehrheit für die Ehe für alle geben, erwarte er von den Berliner CDU-Abgeordneten, dass sie im Bundestag auch entsprechend agieren. Damit diese Aussage kein Eigentor wird, verabschiedeten die SPD-Delegierten einstimmig einen Initiativantrag, der eine Abstimmung ohne Fraktionszwang über die Ehe für alle im Bundestag forderte.
Bemerkenswert war, dass auch Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier als Gastredner auf die Debatte um die Ehe-Öffnung einging – während die übrige SPD-Spitze zum Thema bekanntlich kaum etwas zu sagen hat. Er habe in der CDU lange keinen solchen Widerstand mehr erlebt wie jetzt, sagte Steinmeier. "Nicht alle haben begriffen, dass sich die Gesellschaft nach vorne bewegt."
Die CDU ist sauer über Müllers "fragwürdige Muskelspielchen"
Drohte mit Koalitionsbruch: Berlins alter und neuer CDU-Chef Frank Henkel (Bild: CDU Berlin)
Auf dem parallel stattfindenden Landesparteitag der Berliner CDU im Best Western Hotel in Moabit wurde nicht minder über den Koalitionspartner geschimpft. "Wie die SPD über Tage ihre Verlässlichkeit und Vertragstreue in Frage gestellt hat, wie hier ohne Not eine politische Kraftprobe inszeniert wurde, das sollte in einer Koalition wahrlich nicht allzu oft passieren", empörte sich der Landesvorsitzende und Innensenator Frank Henkel in seiner Rede. Dem Regierenden Bürgerneister Michael Müller warf er "fragwürdige Muskelspielchen" vor.
Mit der Mitgliederbefragung zur Ehe für alle präsentierte sich Henkel den Delegierten als mutiger Vorreiter und Mann des Ausgleichs: "Wir brauchen in dieser Debatte keine Fronten, sondern Brücken." Dass er mit seiner basisdemokratischen Idee durchaus die Bundes-CDU verärgerte, zeigte Gastredner Volker Kauder. Der Fraktionschef der Union im Bundestag sprach das Thema nicht namentlich an, sondern nur genervt von einer "inhaltlichen Sachfrage", "die nichts mit der Stadt konkret zu tun hat".
Der "Tagesspiegel" steuerte am Samstag übrigens noch eine Anekdote aus der Bundesratssitzung bei: Während der Debatte und Abstimmung über die Ehe für alle habe Henkel als "Aufpasser" in der zweiten Reihe direkt hinter dem Regierenden Bürgermeister gesessen. Beide sollen kein Wort miteinander gesprochen haben, nur einmal habe sich Michael Müller kurz umgedreht und grinsend gemeint: "Noch ist Zeit."
Henkels Kurs der großen Unentschiedenheit zahlte sich zumindest innerparteilich aus: Mit 90,9 Prozent wurde der Innensenator als CDU-Chef wiedergewählt – vor zwei Jahren hatte er nur 83,7 Prozent erhalten.
"Enough is Enough" fordert Ausladung Müllers vom CSD
Unterdessen streitet auch die Berliner Community, wie man auf die Enthaltung Berlins im Bundesrat reagieren sollte. "Wir sind fassungslos darüber, dass von den Menschen jetzt erwartet wird, dass sie den Regierenden Bürgermeister Berlins, Michael Müller, bei seiner Eröffnungsrede zum diesjährigen Berliner CSD feiern sollen", schrieb etwa die Initative "Enough is Enough" in einem Facebook-Post. "Als Aktivist*innen, und das sind wir nun mal, zählen für uns hauptsächlich couragierte Taten und weniger wohlklingende Worte und daher können und wollen wir nicht akzeptieren, dass Koalitionsverträge vor das Grundgesetz gestellt werden."
Der Berliner CSD e.V., der es sich unter seinem früheren Vorstand schon einmal mit Klaus Wowereit verscherzt hatte, hält jedoch an der Eröffnungsrede des Regierenden Bürgermeisters am 27. Juni fest. "Wir sind enttäuscht über das Abstimmungsverhalten des Landes Berlin zum Thema 'Ehe für alle' im Bundesrat", heißt es in einer Stellungnahme der CSD-Veranstalter vom Freitag. "Wir finden die Haltung der Berliner CDU erbärmlich."
Die SPD bekommt dagegen trotz der Enthaltung Lob: "Respekt zollen wir jedoch der kämpferischen Rede für LSBTI*-Menschenrechte, die Michael Müller am Donnerstag vor dem Abgeordnetenhaus gehalten hat. Wir empfinden diese Rede als klare Unterstützung unserer Forderungen und freuen uns darauf, die CSD-Demo von einem Regierenden Bürgermeister eröffnen zu lassen, der sich so eindeutig für die vollständige Gleichstellung positioniert." Da das positive Abstimmungergebnis im Bundesrat abzusehen war, sei es "auf die Stimmen der CDU-geplagten Länder nicht angekommen", argumentierte der CSD-Verein.
Egal wie man sich in der Frage positioniert, ob Müller nun ein geeigneter Redner zur Eröffnung des diesjährigen CSDs ist oder nicht, für die Formulierung "CDU-geplagte Länder" hat der Berliner CSD e.V. auf jeden Fall zwölf Punkte verdient!
Youtube | Die Rede von Berlins Regierendem Bürgermeister Michael Müller am Donnerstag im Berliner Abgeordnetenhaus
Die SPD sollte sich in Zukunft genau überlegen mit wem sie koaliert.