Unser Ziel kann nicht sein, alle Homophoben auf Hartz IV zu setzen
Warum "Enough is Enough" diesmal zu weit gegangen ist. Ein Kommentar.
Von Micha Schulze
Über 3.600 Likes gibt es bereits für die große "Erfolgsmeldung" auf der "Enough is Enough"-Facebookseite: Sara K. hat ihren Job verloren.
Ein Pflegedienst in Heilbronn setzte am Dienstag die Auszubildende fristlos vor die Tür, weil sie sie in einer öffentlichen Gruppe des Netzwerks geschrieben hatte: "Homosexuelle Menschen gehören getötet. Ist ja widerlich". Die Aktivisten von "Enough is Enough" hatten Sara bei Facebook gemeldet, bei der Polizei angezeigt und auch den Arbeitgeber informiert (queer.de berichtete).
Mein Like hat diese Nachricht nicht bekommen. Aus meiner Sicht hat "Enough is Enough" diesmal eine Grenze überschritten, die dem Kampf gegen Homophobie nicht dienlich ist. Um nicht missverstanden zu werden: Äußerungen wie "Homosexuelle Menschen gehören getötet" sind völlig inakzeptabel und übelste Volksverhetzung. Sie gehören angezeigt und entsprechend bestraft.
Aber die Verurteilung und Bestrafung muss in einem demokratischen Rechtsstaat die Aufgabe der Justiz sein, nicht die einer Gruppe von Aktivisten. "Enough is Enough" hätte es bei der sehr richtigen Strafanzeige belassen sollen.
Denunziation darf kein Mittel im Kampf gegen Homophobie sein
Im Fall Sara K. hat sich ein Online-Aktionismus verselbstständigt, der den wichtigen Kampf gegen Homophobie über alles zu stellen scheint und dabei die Verletzung von Persönlichkeitsrechten, Anschwärzungen und die Zerstörung menschlicher Existenzen billigend in Kauf nimmt. Im Mittelpunkt der Kampagne standen doch nicht homophobe Rädelsführer wie Birgit Kelle oder Beatrix von Storch, sondern zwei jugendliche Dummbatzen, denen mal eine Lektion in Demokratie und im Umgang mit Minderheiten erteilt werden muss. Von ihnen gibt es nicht wenige.
Dass Saras und Max' Fotos von "Enough is Enough" nicht verpixelt, ihre Nachnamen nicht anonymisiert wurden, ist ebenso unnötig wie unverantwortlich. Gerade wir Schwulen und Lesben, über die einst Rosa Listen geführt wurden, sollten uns hüten vor Eingriffen in den Lebens- und Freiheitsbereich anderer Menschen. Bereits das Vorgehen von "Enough is Enough" gegen einen homophoben DJ wenige Tage zuvor verletzte Grenzen, als in einem Blogpost Gerüchte über seine Motivation oder über seine finanziellen Verhältnisse und gar die seiner Freundin verbreitet wurden.
Ich kann zwar die Wut und auch den Wunsch nach Selbstjustiz verstehen in einem Land, das Hetze gegen LGBT noch immer nicht wirklich ernst nimmt. Aber nur in einer freiheitlichen Gesellschaft, die auch die Grundrechte unserer Gegner akzeptiert, werden wir letztlich unser Ziel erreichen können.
Eine Entlassung macht Sara nicht homofreundlicher
Berufsverbote, die sich nicht aus der direkten Arbeit ergeben, haben sich mit einer Demokratie noch nie gut vertragen. Im konkreten Fall übrigens mit fragwürdigen Folgen: Sara K., die wir nur anhand ihrer Facebook-Posts "kennen", von der wir rein gar nichts wissen, schon gar nicht, wie sie sich in ihrem Job gegenüber Pflegebedürftigen verhielt, dürfte nach dem Verlust ihres Ausbildungsplatzes kaum LGBT-freundlicher werden – im Gegenteil. Besteht nicht die Gefahr, dass sich ihr offensichtlicher Hass sogar noch radikalisiert?
Und wurde sie von ihrem Arbeitgeber wirklich aus Einsicht und nicht nur aus Angst vor dem Shitstorm und seinen negativen Folgen gefeuert? Aus dem Schreiben der Senterra AG an "Enough in Enough" geht vor allem der Wunsch hervor, dass der Name des Unternehmens nicht in die Öffentlichkeit kommt.
"Enough is Enough" hat die Community in den vergangenen Monaten aufgewirbelt, teils hervorragend mobilisiert und auch politisiert. Eine Bereicherung und ein großer, wichtiger Erfolg! Und doch wünsche ich mir zwischen dem täglichen Pranger und Shitstorm mehr Reflektion über Sinn und Folgen des Aktionismus, mehr Hinterfragen statt Zuspitzen, mehr Fokus auf komplexe Inhalte und nicht allein auf Likes und Empörung.
Homophobe Menschen wird es immer geben
Menschen, die ein Problem mit Homosexualität haben, wird es leider immer geben. Unser Ziel kann nicht sein, sie alle einzusperren oder auf Hartz IV zu setzen, sondern durch Aufklärung und Bildung, in manchen Fällen auch durch Begegnungs- und Aussteigerprogramme dafür zu sorgen, dass es möglichst wenige sind und dass sich die Mehrheitsgesellschaft klar von ihnen distanziert. Wer Lesben und Schwule diskriminiert, wer offen gegen sie hetzt, kommt mit dem Gesetz in Konflikt und muss dafür vom Staat konsequenter als bislang zur Rechenschaft gezogen werden.
Unüberlegte Shitstorms gegen offensichtlich unreife, völlig unbedeutende Personen sind eine Vergeudung unserer Energie und Ressourcen, sie haben in der Vergangenheit von "Enough is Enough" auch schon mal aufgrund falscher Informationen Unschuldige getroffen. Viel wichtiger ist es doch, die wahren Verursacher und Verantwortlichen von Homophobie noch stärker ins Visier zu nehmen. Also jene Parteien und Politiker, Religionsvertreter, Publizisten und Bewegungen, die uns noch immer gleiche Rechte, einen wirksamen Schutz vor Diskriminierung und Aufklärung über sexuelle Vielfalt an den Schulen verweigern.
Hier hat "Enough is Enough" bereits Hervorragendes geleistet – mit breiter Unterstützung weit über die Community hinaus. Hier wünsche ich mir den Schwerpunkt dieser Gruppe. Und ich wünsche mir mehr Fingerspitzengefühl bei kaum noch zu kontrollierenden Shitstorms, bevor sie überhaupt entstehen. Bei über 60.000 Followern hat man nicht nur Macht, sondern auch Verantwortung.
Mit Berufsverbot hat das nichts zu tun, die jeweiligen Unternehmen wurden informiert was ihre Angestellten da so ÖFFENTLICH von sich geben und konnten dann zusammen mit dem Betriebsrat entscheiden. Meiner Meinung nach demokratisch genug.
Klar tun die Firmen das nur aus Sorge um ihr Image, und klar ändert das nicht die Meinung dieser Idioten.
Die öffentliche Hetze im Internet muss aber langsam mal wieder zurückgefahren werden.