Am Freitag hatte die Petition noch 100.000 Unterschriften als Ziel, als die Zielmarke überschritten wurde, passte man das Ziel an
Ein Report über die Lage von Mädchen enthält Empfehlungen zur Bildungspolitik – nun macht u.a. die "Initiative Familienschutz" Front gegen den "Gender-Wahn".
Von Norbert Blech
Die EU hat mal wieder "Gender" gesagt und damit den Hass von fundamentalistischen Christen und ihren rechten Politiknetzwerken auf sich gezogen. Anlass ist diesmal ein Bericht der sozialistischen Abgeordneten Liliana Rodrigues über die "Stärkung von Mädchen durch Bildung in der Europäischen Union" (Volltext), über den am nächsten Dienstag abgestimmt werden soll.
Der Bericht empfiehlt den Mitgliedsstaaten – unverbindlich! – zahlreiche Maßnahmen, um Mädchen zu stärken, darunter eine "altersgerechte und wissenschaftlich fundierte Sexualerziehung" als "ein wesentliches Instrument zur Stärkung von Mädchen und Jungen". Eine Teilnahme sollte für Schüler der Primar- und Sekundarstufe verpflichtend sein.
In dem Bericht wird auch die Kommission aufgefordert, "Diskriminierung aufgrund von sexueller Orientierung und Geschlechtsidentität in Bildungseinrichtungen zu bekämpfen". Die Komission solle "die Aufnahme objektiver Informationen zu LGBTI-Themen in die Lehrpläne" fördern und das "Peer-Learning zwischen den Mitgliedstaaten bei der Bekämpfung des Mobbings und der Belästigung Homosexueller und Transsexueller" erleichtern.
"Gender-Wahn im Europaparlament"
So bewirbt CitizenGo seine Petition bei Facebook
Soweit, so harmlos. EU-Parlamentarier sehen existierende Probleme wie die Diskriminierung von Schwulen und Lesben, sie machen einen entsprechenden Handlungsbedarf aus und sie geben Empfehlungen ab. Das ist ihre Aufgabe. Rechtskonservative Netzwerke empören sich inzwischen allerdings bereits bei der sanften Erwähnung vermeintlicher "Gender Mainstreaming"-Themen – und das leider zunehmend erfolgreich.
So entrüstet sich die "Initiative Familienschutz" aus dem Haus der AfD-Europaabgeordneten Beatrix von Storch in einem Blogbeitrag, die EU forciere mit dem Rodrigues-Bericht "die Einschränkung des Erziehungsrechtes der Eltern und die Ausweitung der Gender-Ideologie im Schulunterricht ab der ersten Klasse". Der Blogbeitrag steht unter der Überschrift "Gender-Wahn im Europaparlament: Gender-Ideologie soll EU-weit in alle Schulen".
Die Organisation hinter der homophoben "Demo für alle" beklagt auch, dass LGBTI-Themen in die Lehrpläne aufgenommen werden sollen, und ruft dazu auf, durch E-Mails an EU-Abgeordnete "die zunehmende Durchdringung der EU-Politik durch die Gender-Ideologie zu stoppen und ein starkes Zeichen für Leben, Familie und Freiheit zu setzen".
Auf dem von-Storch-Portal "Freie Welt" wird gar ein "neuer Vorstoß der LGBT-Lobby im EU-Parlament" ausgemacht und die Abgeordnete mit den Worten zitiert, das Papier hauche den "Geist der Gleichmacherei und der tabulosen Sexualisierung von Kindern".
Das in Deutschland mit der "Initiative Familienschutz" verbundene europaweite Petitionsportal CitizenGo aus Spanien bewirbt eine europaweite Kampagne gegen den Rodrigues-Bericht sogar auf Facebook. "Stoppen wir diesen Angriff auf die natürliche Familie sowie auf die Rechte der Kinder", heißt es in einem gesponserten Post.
Die dazugehörige mehrsprachige Petition, die inzwischen von über 113.000 Menschen unterschrieben wurde und an alle EU-Parlamentarierer weitergeleitet wird, beklagt ernsthaft, die EU wolle "Schulen Gender-Ideologie aufzwingen" und verstoße damit gegen alle möglichen Grundrechte und Vereinbarungen, darunter die Kinderrechtskonvention.
Die späte Mobilisierung gegen den Bericht zieht dabei weite Kreise: Auf vielen christlichen und reaktionären Portalen finden sich Aufforderungen zur Unterzeichnung der Petition, natürlich untermauert mit Fehlinformationen und Übertreibungen. Selbst die CSU Schliersee fordert zur Unterzeichnung auf.
Youtube | In einem Video warnt die AfD-Europaabgeordnete Beatrix von Storch vor der "Manipulation von heranwachsenden Jugendlichen" durch das EU-Parlament, besonders zu "LGBTTIQ-Lebensweisen"
Massiver Druck auf EU-Parlamentarier
Die reaktionär-homophoben Netzwerke haben durchaus Einfluss auf die Politik des Europaparlaments (Bild: Wiki Commons / Edelseider / CC-BY-2.0)
In dem völlig überzogenen Kampf wird aus einer Empfehlung ein Zwang, aus begründbaren Maßnahmen eine "Ideologie". Dass "religiöse Rechte und ihre unheiligen Allianzen", wie die Konrad-Adenauer-Stiftung kürzlich die europaweiten reaktionären Netzwerke definierte, auf die EU-Politik Einfluss nehmen wollen, hat dabei vor allem praktische Gründe: Es lassen sich mehr Leute mobilisieren als in einzelnen Ländern, zudem interessieren sich die wenigsten "Mainstream"-Medien für irgendwelche EU-Berichte und den Widerstand gegen sie.
So lässt sich Druck aufbauen, ohne dass der mediale und praktische Widerstand allzugroß ausfällt – zumal es eine so oft beklagte "Homo-Lobby", die quasi ebenfalls Unterschriften zur Unterstützung all der angeblichen "Gender"-Themen sammeln würde, einfach nicht gibt.
Man muss das durchaus ernst nehmen: Immer wieder machten in den letzten Jahren rechte Netzwerke gegen EU-Berichte Front, die LGBT-Rechte oder den anderen großen Streitpunkt Abtreibung thematisierten, und sei es nur in Nebensätzen. Auch aufgrund der Stimmungsmache scheiterte wohl 2013, kurz vor Beginn der Anti-Bildungsplan-Bewegung in Deutschland, der sogenannte Estrela-Bericht mit Empfehlungen zur Schulaufklärung über Sexualität.
Andere von den Netzwerken angegriffene EU-Maßnahmen wie der Lunacek-Bericht zur Bekämpfung von Homophobie erhielten zwar die Zustimmung im Parlament, viele Konservative ließen sich aber von einer regelrechten Bombardierung durch eMails gegen den Bericht beeindrucken. So hatte etwa der Vorsitzende der CSU-Europagruppe, Markus Ferber, gegenüber der "Initiative Familienschutz" erklärt, er werde sich mit ganzer "Kraft dafür einsetzen", seine "Kollegen davon zu überzeugen, diesen Bericht abzulehnen", da er "eine massive Verletzung des Subsidiaritätsprinzips" darstelle.
Damit hatten Teile der Union, ohnehin eher selten Befürworter von LGBT-Themen auf EU-Ebene (queer.de berichtete), einfach eine Argumentationslinie der homophoben Netzwerke übernommen, wonach Empfehlungen zum Kampf gegen Homophobie nicht etwa sinnvolle EU-Politik wären, sondern eine unzulässige Einmischung in die Politik der jeweiligen Länder. Das Argument der angeblichen Verletzung des Subsidiaritätsprinzips setzen die Homo-Gegner dabei auch im Kampf gegen den neusten Bericht ein.
"Ein kurzes selbstformuliertes Schreiben in moderatem Ton ist erfahrungsgemäß am wirkungsvollsten", rät die "Initiative Familienschutz" dazu noch ihren Anhängern. Organisatorin Hedwig von Beverfoerde hatte kürzlich erst beim Kongress "Freude im Glauben" in Fulda davon berichtet, wie erfolgreich man in Deutschland mit Schreiben an Zeitungs- und TV-Redaktionen sei (queer.de berichtete).
Die Wahrheit, erst recht wenn sie wissenschaftlich fundiert ist, ist solchen totalitären Leuten immer ein Dorn im Auge, weil es ihren Allmachtsanspruch gefährdet.