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Saarlands Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer am Freitag in der Saarbrücker Congresshalle. Der LSVD platzierte die CDU-Politikerin vor einem Poster mit einer Regenbogenfamilie (Bild: Robert Hecklau)
- 19. September 2015, 09:59h 8 Min.
Im Juni warnte Ministerpräsidentin Kramp-Karrenbauer im Falle einer Ehe-Öffnung vor Inzest und Polygamie – am Freitag stellte sie sich der Diskussion.
Von Robert Hecklau
"Ich sollte eigentlich neutral sein, aber ich bin es nicht", räumt Günter Dworek gleich zu Beginn ein. Seit Jahrzehnten gehört er zum LSVD-Bundesvorstand, ist eigens aus Berlin angereist, um die Diskussion in Saarbrücken zu moderieren. Das Thema ist ihm wichtig. Deshalb sei er ganz und gar nicht neutral, könne das auch gar nicht sein. Trotzdem werde er maximal fair sein, fügt er lächelnd hinzu.
Die Ministerpräsidentin blickt skeptisch, fühlt sich auf dieser Bühne noch nicht richtig wohl. Eingerahmt wird die CDU-Politikerin Annegret Kramp-Karrenbauer von zwei Regenbogenfamilien, deren Bilder auf dieser Bühne in der Saarbrücker Congresshalle fast wie eine Provokation wirken. Es ist für die konservative Politikerin kein leichter Auftritt – auf ungewohntem Terrain, vor kritischem Publikum.
Nur wenige Parteifreunde sind anwesend. Dafür fast 200 Lesben und Schwule, die diese Ministerpräsidentin ganz offensichtlich nicht in ihr Amt gewählt haben. Einige haben ihre Kinder dabei. Die Halle ist gut gefüllt, die Bühne in rosa Licht getaucht.
AKK in der Minderheitenposition
Annegret Kramp-Karrenbauer sitzt konzentriert auf ihrem Stuhl, vermeidet direkten Blickkontakt zu ihren Gesprächspartnern. Es zeugt durchaus von Mut, dass sie sich dieser Diskussion stellt. Ihr gegenüber sitzt LSVD-Urgestein Manfred Bruns. Der ehemalige Bundesanwalt kämpft seit über 30 Jahren für die Rechte von schwulen und lesbischen Paaren, hat selbst entscheidend zur Abschaffung des Paragrafen 175 beigetragen. "Und nun möchte ich die Öffnung der Ehe in unserem Land auch noch erleben", sagt der 80-jährige Bruns.
Einen Wunsch, den AKK ihm nicht erfüllen will. Sie begründet das nicht rational, es ist ein Gefühl. "Selbst unsere rationale Kanzlerin hat dabei ein Bauchgefühl", sagt sie. "Es geht hier um Emotionen, die tief verwurzelt sind. Das ist schwierig, darüber muss man reden."
"Darüber geredet" haben Bruns und Dworek schon viel. Das merkt man. Sie kennen die Argumente. Dworek gibt sich versöhnlich, scherzt: "Unsere Podiumsbesetzung spiegelt ja ganz gut die Bevölkerung wider: Zwei Drittel sind dafür, ein Drittel ist dagegen. Wir können einen Versuch starten, wie wir nun fair mit (ihrer) Minderheitenposition umgehen." Gelächter aus dem Publikum – ein eisiger Blick von Kramp-Karrenbauer.
Schnell wird klar: Leicht werden es Bruns und Dworek ihr nicht machen. In der Großregion, die für Saarland sehr wichtig ist, hat das kleine Bundesland den Anschluss längst verloren. Alle umliegenden Länder – Luxemburg, Frankreich, selbst Belgien – haben die Ehe geöffnet. Da wünschen sich viele eine "Landesmutter", die ebenfalls für eine Öffnung der Ehe eintritt.
Kramp-Karrenbauer brüskiert Regenbogenfamilien

Neue Argumente aber liefert Kramp-Karrenbauer in dieser Diskussion nicht. Das merkt auch Manfred Bruns recht schnell. "Eigentlich gibt es kaum noch Unterschiede, die Rechtsfolgen der Eingetragenen Lebenspartnerschaft und der Ehe sind praktisch gleich. Es wäre leichter, es einfach "Ehe" zu nennen. Derzeit ist es schlicht Unsinn, so wie es ist."
Einen Unterschied zwischen EP und der Ehe aber sieht Kramp-Karrenbauer doch: Die Ehe hätte den Grundgedanken, Nachwuchs zu erzeugen. Dies sei ihre Grundvorstellung dessen, was unsere Gesellschaft ausmache. Diese potentielle Möglichkeit aber fehle der Eingetragenen Partnerschaft. Empörte Gesichter in den Publikumsreihen, in denen viele Eltern sitzen.
Manfred Bruns startet einen weiteren Versuch, bezieht sich wieder auf die Nachbarländer: Hier gebe es keinerlei Erkenntnisse darüber, dass sich die Öffnung der Ehe nachteilig auf die traditionelle Ehe ausgewirkt habe. "Kein Ehemann hat je gesagt: Ich verlasse meine Frau, weil Lesben und Schwule heiraten dürfen." Die Ministerpräsidentin antwortet knapp: "Es kann sein, dass meine Meinung vielleicht auch in der Partei bald keine Mehrheitsposition mehr ist. Aber es ist meine Meinung – und so sehe ich das auch."
Dann lässt der LSVD Saar Regenbogenkinder selbst zu Wort kommen. In einem eingespielten Interview äußert sich der 14-jährige Minh Kai, der selbst zwei Väter hat: "Es ist totaler Schwachsinn, dass Kindern mit zwei Vätern etwas fehlt. Ich habe alles, was ich brauche, habe eine gute Erziehung genossen und genieße sie immer noch."
"Mit Ihren Argumenten wäre ich in der Schule durchgefallen"

Dann kommt Malte Czarnetzki auf die Bühne. Er ist 21 Jahre alt und hat zwei Mütter. Bundesweit bekannt wurde er durch einen Talkshow-Auftritt bei Anne Will, in dem er mit Familien-"Beschützerin" Hedwig von Beverfoerde diskutierte. Malte forderte die Ministerpräsidentin auf, zwischen "Meinung" und "Bauchgefühl" zu unterscheiden: "Wenn ich mit Ihrer Argumentation in der Schule einen Aufsatz in Gesellschaftskunde geschrieben hätte, wäre ich damit durchgefallen."
Kramp-Karrenbauer beglückwünscht Malte zu seiner liebevollen Familie. Stabilität sei einer der wichtigsten Faktoren für Kinder, aber: Sie selbst führe eine sehr traditionelle Ehe, mit "vertauschten" Rollen. Dabei habe sie gemerkt, dass es bei ihren Kindern trotzdem immer wieder Themen gebe, wo diese eher zu ihrem Vater oder zu ihrer Mutter gingen. Das spiele auch eine Rolle in dieser Diskussion.
Manfred Bruns antwortet fast ein bisschen verzweifelt: "Sie sagen, Sie würden diese Debatte gerne führen – wir führen sie seit 20, 30 Jahren. Alle Studien kommen immer wieder zu dem Ergebnis: Es kommt auf die Qualität der Elternbeziehung an, nicht auf die Sexualität der Eltern." Ein Forscher habe mal gesagt: Kinder brauchen keine heterosexuellen Eltern, keine homosexuellen Eltern – sie brauchen liebende Eltern. Dafür gibt es langen Applaus.
Dann fragt Günter Dworek Malte, ob er manchmal das Gefühl habe, mit seinen Müttern nicht über alles sprechen zu können. Der überlegt kurz. "Ja, das ist wohl so", räumt er ein, "aber dann spreche ich eben mit anderen Menschen." Zur Ministerpräsidentin sagt er: "Auch Ihre Kinder reden sicherlich nicht über alles mit Ihnen." Kramp-Karrenbauer nickt.
"Schwieriges Gefühl" statt echte Argumente

Letztlich bringt es Manfred Bruns in der ihm eigenen Art auf den Punkt: "Ich will nicht bestreiten, dass Sie Ihre Argumente sehr ernsthaft vorgebracht haben. Aber es sind eigentlich keine richtigen Argumente." Dafür gibt es Gelächter und großen Applaus im Publikum. Malte fügt hinzu: "Ihre Argumente laufen immer auf den Punkt der 'Meinung' zu. Es läuft immer auf 'schwieriges Gefühl' hinaus. Sie haben da einen sehr dogmatischen Ansatz."
Schließlich stellt sich Kramp-Karrenbauer den Fragen des Publikums. Ein Mikrofon in der Mitte des Raumes ist offen für jeden, der etwas sagen möchte. Beeindruckend die Ansprache von Joachim Schulte vom QueerNet Rheinland Pfalz. Mit leiser Stimme spricht er zur Ministerpräsidentin: "Ich bin heute mit der Hoffnung gekommen, ein Argument von Ihnen zu hören. Ich habe keines gehört. Es geht auch um meine Lebenszeit. Wir diskutieren schon sehr lange."
Eine Frau sagt: "Ich bin eigentlich mit dem Wunsch hier hergekommen, mich mit meiner Landesmutter auch ein bisschen zu identifizieren, weil ich sie zumindest verstehen wollte. Aber ich muss leider sagen, dass ich das nach dem heutigen Abend nicht kann."
Irene Portugall trägt eindrucksvoll und mit viel Mut einen Appell des LSVD Saar vor. "Nehmen Sie die Gefühle ausgegrenzter Menschen ernst. Lassen Sie die Erfahrungsberichte und Argumente des heutigen Abends auf sich wirken. Bedenken Sie, was Ausgrenzung gerade mit jungen Menschen macht. Die Selbstmordrate unter homosexuellen Jugendlichen ist siebenmal höher als bei heterosexuellen jungen Menschen. Machen Sie als Ministerpräsidentin, als Vorsitzende des CDU-Landesverbandes Saar und als Mitglied des CDU-Bundespräsidiums Ihren Einfluss geltend. Tragen Sie im Saarland und auf Bundesebene mit Ihrem politischen Gewicht und Ihrer christlich-demokratischen Integrität dazu bei, dass Abstimmungen zum Thema sexuelle Identität freigegeben werden. Folgen Sie der Stimme der Integration."
Immer wieder bricht Irene Portugalls Stimme, sie entschuldigt sich: "Das Thema ist mir so wichtig". Danach gibt es lang anhaltenden Applaus. Die Ministerpräsidentin aber schweigt.
Lauwarme Worte statt heißer Debatte

Immerhin: Annegret Kramp-Karrenbauer bleibt deutlich länger als geplant. Nach drei Stunden Diskussionszeit (vorgesehen waren zwei) bleibt sie sogar noch einige Minuten länger im Saal, spricht persönlich mit Lesben und Schwulen, versucht, zu vermitteln. Sie wusste wohl, dass sie hier nicht gewinnen konnte – und trotzdem ist sie gekommen. Eine Aufzeichnung und Veröffentlichung der Diskussion hatte sie im Vorfeld abgelehnt. Es war ihr dennoch wichtig, den Dialog mit den Menschen zu suchen.
Tatsächlich ist die Ministerpräsidentin nicht eindeutig "homophob", wie es ihr an diesem Abend vom Publikum mehrfach entgegen geworfen wird. Die saarländische Landesregierung unterstützt den LSVD Saar seit Jahren – finanziell und materiell. Gerade erst hat der saarländische Landtag den LSVD Saar einstimmig zum offiziellen Ansprechpartner bei homophoben Gewalttaten ernannt. Umso erstaunlicher, dass Kramp-Karrenbauer ihren guten Ruf für ein "Bauchgefühl" aufgibt. Bislang galt die CDU im Saarland als besonders offen, in der Fraktion soll es sogar eine Mehrheit für die Ehe-Öffnung geben.
Kramp-Karrenbauer versucht es dann doch noch einmal versöhnlich, verspricht, diesen Abend als Aufforderung zu betrachten, sich zukünftig sorgfältiger mit den Themen und Argumenten von Schwulen und Lesben auseinander zu setzen, mehr Rücksicht auf Gefühle zu nehmen. Aber dass sie nach diesen Überlegungen zu anderen Ergebnissen komme, das verspreche sie nicht.
Sie sei nicht mit der Erwartung hergekommen, dass sie Anhänger ihrer Argumente finden würde. Es sei nicht nur ein Bauchgefühl, es gebe gute Gründe, die darzulegen ihr wohl mehr schlecht als recht gelungen sei, wenn sie sich das Feedback hier anhöre.
Günter Dworek versucht es dann am Schluss ebenfalls versöhnlich: "Sagen Sie doch einfach 'Ja, vielleicht!'" – aber AKK schweigt.
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Angi ohne Kind und karrieregeil und AKK karrieregeil... wenn die beiden Damen schon über das traditionelle Familienbild fabulieren, dann sollen diese gefälligst ihren angestammten Platz hinter dem Herd einnehmen
Argumente konnte die AKK nicht liefern...aber Argumente brauchte es auch nicht wirklich ...Beispiele waren zuhauf im Publikum und Bühne zu finden, die die Lebenswirklichkeit darstellen! Sie soll endlich Ihre Augen aufmachen und Ihr Lebensmodell nicht anderen aufzwingen!
Und dass sie finanziell den Verbänden unter die Arme greift ist schön und gut...aber kein finanzieller Wert kann je die rechtliche Gleichbehandlung aufwiegen.