In der Heimat Polen schlugen Interviews wie dieses am Freitag Abend wie eine Bombe ein, am Samstag folgten Interviews und eine Pressekonferenz in Italien - und bereits die Ankündigung seiner Entlassung
Der aus Polen stammende Krzysztof Charamsa ist Theologie-Professor an der wichtigsten päpstlichen Uni und Funktionär der Kongregation für die Glaubenslehre.
Von Norbert Blech, mit Updates am Ende des Artikels
Es ist wohl das bisher ranghöchste Coming-out in der katholischen Kirche – und eine Herausforderung für den Vatikan: In mehreren gezielten Interviews hat sich am Freitagabend der einflussreiche polnische Theologe und Priester Krzysztof Olaf Charamsa als schwul geoutet. Die Liebe zu seinem Partner Eduard habe ihm die Kraft dazu gegeben.
Der 43-Jährige aus der polnischen Hafenstadt Gdynia studierte Theologie in Pelplin, Lugano und an der Päpstlichen Universität Gregoriana in Rom, wo er 2002 seinen Doktor machte. Ab 2009 unterrichtete Charamsa, der 1997 zum Priester geweiht wurde, selbst dort Theologie – an der wichtigsten Uni päpstlichen Rechts der Welt. Bereits seit 2004 lehrte er Theologie an der ebenfalls päpstlichen Hochschule Athenaeum Regina Apostolorum in Rom.
Seit 2011 dient Charamsa dem Vatikan zudem als stellvertretender Sekretär der Internationalen Theologischen Kommission – sie ist bei der Kongregation für die Glaubenslehre angesiedelt.
Liebe zum Partner ermunterte zur Offenheit
"Mein Name ist Krzysztof Charamsa, Monsignore Krzysztof Charamsa. Ich bin ein Funktionär der Kongregation für die Glaubenslehre, zweiter Sekretär der Internationalen Theologischen Kommission, Theologe, Lehrer (…) Ich bin schwul." Mit diesen kraftvollen Worten begann nur eines der Interviews Charamsas, die am Freitagabend in polnischen Medien veröffentlicht wurden.
"Ich verlange von der Kirche, dass sie uns (Homosexuelle) ernst nimmt, dass sie uns in die Augen schaut", sagte er der "Gazeta Wyborcza". Die Stigmatisierung und schlechte Behandlung Homosexueller müsse ein Ende haben. "Ich glaube, dass ich auch deswegen Priester bin, um für diese Rechte einzustehen".
Er sei froh und stolz, ein schwuler Priester zu sein, sagte Charamsa weiter. "Meine Freude und meine Freiheit verdanke ich dem Mann, den ich liebe: Eduard, mein Partner, konnte die besten Energien aus mir herausholen und Reste von Angst in die Stärke unserer Liebe umwandeln."
Er sei ein Pharisäer, sollte er weiter zu seiner Homosexualität schweigen, sagte Charamsa gegenüber der polnischen "Newsweek". In der katholischen Kirche seien sehr viele Priester schwul – das heimliche Leben ermutige zur offenen Homophobie.
Pressekonferenz im Vatikan angekündigt
Charamsa hatte bereits vor einigen Tagen mit einem Magazinbeitrag unter dem Titel "Theologie und Gewalt" für Aufmerksamkeit in Polen gesorgt
Die Interviews sind dabei wohl nur der erste Schritt. Für Samstag hat Charamsa zu einer Pressekonferenz in den Vatikan geladen, bei der er ein Manifest zum korrekten Umgang mit Homosexuellen vorstellen will. Es müsse Schluss sein mit der "weit verbreiteten und blinden Homophobie", wie sie die Glaubenskongregation vertrete, meint Charamsa. Zahlreiche Dokumente seien zu verändern, darunter der Katechismus, der eine "homosexuelle Neigung" als "objektiv ungeordnet" bezeichnet.
Am Mittwoch hatte der Theologe in dem katholischen polnischen Magazin "Tygodnik Powszechny" bereits die Kritik einiger Theologen an der "Gender-Ideologie" zurückgewiesen. Die Kirche gehe unwissenschaftlich vor und sei mit einer Sprache der Gewalt am Werk, die an Bücherverbrennung, Dschihad und Kreuzzüge erinnere. Die darauf erhaltenen teils positiven wie teils heftigst negativen Reaktionen hätten ihm zu dem Coming-out ermutigt.
Mit Spannung darf nun erwartet werden, wie der Vatikan, die Glaubenskongregration und der Papst selbst auf das Coming-out reagieren werden – so kurz vor Beginn der Familiensynode, die am Sonntag mit einer Messe eröffnet wird und bei der es u.a. um den Umgang der Kirche mit Homosexualität geht (queer.de berichtete).
Update 3.10., 10.35h: Medienwelle erreicht Italien

Am Morgen hat auch die Mailänder Tageszeitung "Corriere della Sera" in ihrer Print-Ausgabe ein vorab geführtes Interview mit Charamsa veröffentlicht (engl. Fassung). Darin sagt er, er werde Papst Franziskus und die Leiter der Universitäten, an denen er unterrichtet, persönlich in einem Brief über seine Identität berichten. "Zu meinem großen Leid ist es wahrscheinlich, dass ich nicht mehr in einer katholischen Einrichtung unterrichten werden kann", sagte er.
Die Zeit sei gekommen, "dass die Kirche ihre Augen vor gläubigen Schwulen öffnet und begreift, dass die Lösung, die sie vorschlägt – die totale Abstinenz vom Liebesleben – unmenschlich ist", sagte Charamsa weiter.
Update 12.30h: Vatikansprecher: Charamsa wird nicht weiter arbeiten können
Vatikansprecher Federico Lombardi hat gegenüber italienischen Medien gesagt, dass Charamsa für seine Äußerungen zwar Respekt verdiene, es erscheine aber "sehr ernst" und "unverantwortlich", ein solch "sensationelle Erklärung am Vorabend der Eröffnung der Synode" abzugeben und diese damit "ungerechtfertigtem Mediendruck" auszusetzen.
"Mit Sicherheit kann Monsignore Charamsa seine früheren Tätigkeiten bei der Glaubenskongregration und an den päpstlichen Universitäten nicht fortsetzen", so Lombardi weiter. Über weitere Aspekte seiner Situation hätte das Bistum zu entscheiden, in dem er geweiht wurde.
Update 13.50h: Manifest auf Deutsch
Die zehn Thesen Charamsas zu einem korrekten, zeitgemäßen Umgang der katholischen Kirche mit Schwulen und Lesben haben wir hier übersetzt.
Update 15h: Charamsa stellt auf Pressekonferenz sich und Partner vor

Charamsa hat am Mittag wie angekündigt in Rom seine Pressekonferenz abgehalten; weil das als "Provokation" missverstanden werden könne nicht wie geplant an der Pforte zum Vatikan, sondern in einem Restaurant an der Piazza del Popolo. Dabei wiederholte er mit einem sehr emotionalen Touch viele seiner Interview-Aussagen der letzten Stunden und freute sich: "Ich bin jetzt ein befreiter Mann."
Der Theologe kritisierte eine "unmenschliche, unterdrückende Kirche" und widmete die Pressekonferenz "allen fantastischen LGBT", die sich den "Unterdrückern unserer Würde" engegen stellen – "in allen Teilen der Welt, selbst in denen, in denen blinder Hass noch immer stärker wird wie in meinem Heimatland Polen".
Charamsa wiederholte den Gedanken, dass der Klerus "größtenteils homosexuell und homophob" sei und "gelähmt durch einen Mangel an Anerkennung der eigenen sexuellen Orientierung". Auch Priester sollten das Recht haben, ihre Homosexualität zu entdecken und auszuleben: "Als ich mich in einen Mann verliebte, hatte ich das Gefühl, ein besserer Priester zu werden."
Bei der Pressekonferenz stellte er auch seinen Partner Eduardo vor, einen Katalanen, der kurz die spanische Bischofskonferenz kritisierte – weil sie Unabhängigkeitsbestrebungen ignoriere.
Update 17.35h: Lob von David Berger
Der schwule Theologe David Berger, dem nach seinem Coming-out 2010 vom Erzbistum Köln die Lehrerlaubnis entzogen wurde, hat Charamsa zu seinem Schritt beglückwünscht. Auf Facebook schrieb er: "Ich kenne Krysztoph noch aus meiner Zeit im Vatikan. Wir hatten vieles gemeinsam: beide konservative Theologen und beide strenge Thomisten. Ich denke: Beides hat uns jenes Rückgrat verliehen, dass man für ein solches Outing braucht."
Update 18.10h: Extreme Reaktionen
Auch die "kreuz.net"-Ecken der katholischen Kirche haben das Coming-out bemerkt.



Update 19.10h: Heimat-Bistum ermahnt Charamsa
Während der Vatikan am Mittag angekündigt hatte, dass Charamsa seine Tätigkeiten vor Ort aufgeben werden müsse, beginnt in Polen die Eskalation um die Frage seiner Priesterschaft.
Hierfür zuständig ist das Bistum, in dem er geweiht wurde: Pelplin im Norden des Landes. Bischof Richard Kasyny sagte, die Erklärung des Priesters stehe "konträr zu den Schriften und Lehren der Katholischen Kirche". Er habe Charamsa ermahnt, zum Weg der Priesterschaft zurückzufinden, und Priester und Gläubige gebeten, für diese Intention zu beten.