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Moderator Constantin Schreiber hat jahrelang aus arabischen Ländern berichtet. Seine Wortwahl in einem Video für nach Deutschland Geflüchtete verwundert umso mehr.

  • 30. Oktober 2015, 05:29h 41 5 Min.

In der viel gelobten "Marhaba"-Reihe wird auf Arabisch ein abwertender Begriff für gleichgeschlechtliche Liebe verwendet.

Von Norbert Blech

Willkommen in Deutschland, wo es das Phänomen gibt, dass Menschen mit abnormaler Sexualität ein Straßenfest für den Heiligen Christophorus begehen. Es sei denn, sie sind Fußballer.

Das ist, etwas zugespitzt, die Zusammenfassung der ungenügenden Informationen zum Thema Homosexualität, die der Sender n-tv derzeit Flüchtlingen auf Arabisch bietet – in einem kurzen Video der Reihe "Marhaba" über Liebe und Sexualität. "Moderator Constantin Schreiber erklärt in der wöchentlichen Sendung auf Arabisch unser Land und uns Deutsche und gibt praktische Informationen zum Leben in der Bundesrepublik", umschreibt der Sender die Reihe, für die zwei Fassungen der Videos mit deutschen und arabischen Untertiteln erstellt werden und die bereits einiges Lob erhielt.



Aber gut gemeint ist nicht gleich gut gemacht: Während in dem neuen Video in den deutschen Untertiteln von "Homosexualität" die Rede ist, nutzt Schreiber in seiner arabischen Moderation mehrfach einen veralteten offiziellen Begriff, der in etwa als "abnormale Sexualität" übersetzt werden kann. Auch die arabischen Untertitel nutzen ihn.

Dieser Begriff sei "abwertend" und werde oft benutzt, um Homosexuelle zu beleidigen, kritisiert der aus Syrien stammende LGBT-Aktivist und Journalist Mahmoud Hassino gegenüber queer.de. Er war aus dem Land geflohen und arbeitet nach seiner Anerkennung in Deutschland inzwischen bei der Schwulenberatung Berlin, wo er sich um queere Flüchtlinge kümmert. Das Video erscheint dabei als keine große Hilfe.

Keine Reaktion auf Hinweise


Auf Facebook war Schreiber bereits letzte Woche auf die "homophobe" und "unglückliche" Wortwahl hingewiesen worden

Die Nutzung des Begriffes "abnormal" verwundert. Zwar machen viele Übersetzungsbüros noch heute diesen Fehler – so bieten einige Hollywood-DVDs entsprechend unpassende arabische Untertitel. Doch im Internet finden sich schnell alternative Begriffe. Die Deutsche Welle nutzt bei einem ähnlichen Projekt etwa einen, der dem englischen Wort "gay" entspricht. Man hätte in dem n-tv-Video auch schlicht und nett von Männern, die Männer und Frauen, die Frauen lieben, sprechen können.

Ohnehin hätte es nicht geschadet, hätte man bei n-tv eine kompetente Ansprechperson gesucht. Die hätte vielleicht auch verhindert, dass in der Endfassung des Videos eine Interviewpartnerin vom "Phänomen" der Homosexualität spricht. Statt in der kurzen Zeit das überzogene Problem schwuler Fußballer unterzubringen, hätte man auch das Rechtsinstitut der Lebenspartnerschaft erwähnen, Ansprechpartner benennen oder den CSD näher erklären können, der hier von Schreibers Gesprächspartnerin als ein "Festival" zum "Saint Christopher's Day" verklärt wird (wenigstens die Untertitel beider Sprachen sprechen korrekt von "Christopher Street Day").

Constantin Schreiber war bereits in der letzten Woche kurz nach Erscheinen des Videos auf Facebook auf die homophobe Wortwahl aufmerksam gemacht wurden, was er mit einem "Danke" quittierte. Die auf Youtube, Facebook und der n-tv-Webseite verbreiteten Videos wurden danach aber um keinerlei Hinweis ergänzt.

Keine Hilfe bei einem großen Problem


Die Schwulenberatung Berlin informiert auch auf Arabisch über ihre Angebote

Sprachliche Unkorrektheiten sind dabei nicht nur in Medien ein Problem: Menschen, die sich um queere Flüchtlinge kümmern, berichten seit Jahren, dass (die meist muttersprachlichen) Übersetzer im Asylverfahren oft unvorbereitet und unsensibel seien oder manchmal aus Scham Homosexualität gar nicht erwähnten, obwohl das im Verfahren eine wichtige Rolle spielen kann. Einige Flüchtlinge hätten Angst, im Beisein eines Dolmetschers von ihrer Homosexualität zu sprechen, sagt Mahmoud Hassino. Er kenne gar eine Frau, die von ihrem Übersetzer geschlagen wurde, als sie von ihrem Lesbischsein erzählte.

Hassino ist einer von zwei Mitarbeitern einer neuen Anlaufstelle für queere Refugees in Berlin. Das Projekt bietet seit Juni an zwei Tagen pro Woche einen Treffpunkt zum Austausch der Flüchtlinge untereinander, berichtet Stephan Jaekel von der Schwulen­beratung. Seit Juli habe man über 70 Besucher verzeichnet. Ihnen wird eine Beratung angeboten, zudem versucht man, Ehrenamtler, Anwälte und Wohnungen zu vermitteln. Über das Internet – die Webseite der Schwulen­beratung bietet über den Button "Refugees Welcome" in 15 Sprachen Infos zu ihrem Angebot – erhalte man zahlreiche Anfragen aus ganz Deutschland, sagt Jaekel. Die Flüchtlinge sind ja über das ganze Land verstreut, viele in dörfliche Regionen ohne Szene oder sonstige Anlaufstellen.

Die Unterbringung sei das Schlüsselproblem, meint Jaekel. Während eine Initiative für ein spezielles Heim für queere Flüchtlinge nicht voran komme, seien sie mit weiteren Flüchtlingen oft "fast zu Knast-Bedingungen" untergebracht. Das verstärke Aggressionen: Bedrohungen, Stigmatisierungen, Diskriminierung und Gewalt, die sich schon früher in Heimen etwa gegen LGBT-Flüchtlinge aus Russland durch Landsmänner bemerkbar machten, nehmen unter diesen Bedingungen zu. Fast jeder queere Refugee berichte von entsprechenden Erfahrungen, so Jaekel. Es sei "bigott", wenn manche Politiker dies nur auf die Flüchtlinge selbst oder auf ihre Religion zurückführen würden, anstatt die Strukturen zu verbessern.

Eine bessere Aufklärung scheint wohl auch auch notwendig.

 Update  17h: Entschuldigung Schreibers

n-tv hat im Facebook-Thread zu diesem Artikel geschrieben, dass dem Moderator "da offenbar tatsächlich ohne böse Absicht ein 'Fauxpas' unterlaufen" sei, "wie er inzwischen selbst eingeräumt hat". Verlinkt ist dazu ein Facebook-Eintrag Schreibers vom Nachmittag, in dem er schreibt: "Mich haben nach der letzten Marhaba-Folge über 'Liebe und Sex' in Deutschland viele Mails erreicht – und inzwischen haben auch einige Medien darüber berichtet -, die auf die von mir genutzte auf Arabisch abfällige Bezeichnung für 'Homosexualität' hinweisen. Diese abfällige und veraltete Bezeichnung und das, wofür sie steht, entspricht natürlich nicht meiner persönlichen Einstellung, noch wollte ich meiner Sendung diese Tonalität geben. Ich bin eben kein arabischer Muttersprachler und an dieser Stelle ist mir in der Tat ein Fauxpas unterlaufen. Dafür von mir ein großes SORRY und Entschuldigung!"

Die Beschreibungen der insgesamt sechs Versionen des Videos bei Youtube, Facebook und auf der Webseite des Senders haben bislang allerdings keine Aktualisierung erhalten.

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#1 SchwTAAnonym
  • 30.10.2015, 07:01h
  • Kein "dezenter" Begriff gefunden? Kunststück, soweit ich weiß, gibt es den auch nicht in der arabischen Sprache. Schon der Hinweis auf "Lots Volk" (lûtî) ist bereits negativ konnotiert, das gilt auch für die "Gleichen" (mithlî) und erst recht für unsägliche Beleidigungen.
    Mit "gay" dürften die Wenigsten etwas anfangen. Ich habe mir sagen lassen, dass der Schritt von jemandem, der gern gleichgeschlechtlichen Sex hat, und den auch hinter verschlossenen Türen hat, sich aber nie eine wirkliche Beziehung trauen würde, hin zum emanzipierten, arrivierten und akzeptierten LGBTler auf den ersten Blick schlichtweg nicht zu fassen sei.

    Wenn man nun eine eher unwissende Menge von Leuten hat, sucht man wahrscheinlich irgendeinen Punkt, an dem man die geistig abholen kann, à la "hey, Ihr wisst ja, dass es Schwule und Lesben gibt, die bei Euch zwar die gesellschaftliche Stellung einer räudigen Kanalratte haben, bei uns aber aus guten Gründen nicht, und Ihr tut gut daran, das zu respektieren, wenn Ihr hier leben wollt". Das ist wahrscheinlich einfacher als "Es gibt hier eine wundersame Gesellschaftsgruppe, die 'Gays' heißen, die gleichzeitig anders und gleich wie allen anderen sind."

    Und die Wortwahl? Hey, es ist den vorangehenden Generationen zu verdanken, dass das ehemalige Schimpfwort 'schwul' zu einem zumindest offiziell neutralen Begriff gewandelt wurde. Das wäre die Chance für die arabischsprechenden LGBTler, auch einen ihrer Termini zu entzaubern - und dazu werden sie wahrscheinlich die Unterstüzung von uns benötigen können.
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#2 gay nrwAnonym
#3 eine SchangseAnonym
  • 30.10.2015, 08:11h
  • Antwort auf #1 von SchwTA
  • Schwul ist kein neutraler Begriff.
    Es war seit meiner Kindheit ein negatives Wort (in Schwulitäten kommen/schwüles Wetter/schwule Sau) und ist es immer noch (park mal dein schwules Auto woanders! was hörst du denn für schwule Musik?!) nur mittlerweile etwas weniger heftig und unsexueller gemeint, dafür aber inflationärer benutzt. Außerdem, "schwul" angeblich neutralisiert haben zu wollen, aber bei "Schwuchtel" weiterhin hysterisch an die Decke zu gehen, macht es auch nicht besser. Wenn es schon im Deutschen überhaupt keine nachvollziehbare Einigung auf einen positiven Begriff gibt, dann wäre ich mal eher zurückhaltend mit Nachhilfe im Arabischen.
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