Der baden-württembergische SPD-Landesvorsitzende Nils Schmid ist seit 12. Mai 2011 Landesminister für Finanzen und Wirtschaft sowie Stellvertreter des Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann (Bild: Ministerium für Finanzen und Wirtschaft Baden-Württemberg)
"Der Wechsel wirkt", sagt Baden-Württembergs Vize-Ministerpräsident Nils Schmid (SPD) im Interview – und stellt sich kritischen Fragen.
Von Andreas Zinßer
Im Jahr 2011 nahm in Baden-Württemberg Deutschlands erste grün-rote Koalition ihre Arbeit auf – am 13. März 2016 entscheidet sich, ob die Regierung von Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) im Amt bleiben kann.
Vier Monate vor der Landtagswahl hat sich Finanz- und Wirtschaftsminister Nils Schmid, der auch Vize-Ministerpräsident, Landesvorsitzender der SPD und deren Spitzenkandidat ist, Zeit für ein ausführliches Interview genommen. Wir wollten von ihm wissen: Was wurde aus den Versprechungen von Grün-Rot für die queere Community? Und wo steht das Land heute in der Frage der gesellschaftlichen Vielfalt?
In Schmids Wartelounge hängt ein Foto der Regenbogenfahne, die 2013 zum CSD Stuttgart auf dem Neuen Schloss gehisst wurde (Bild: Andreas Zinßer)
Herr Schmid, in Ihrer Wartelounge hängt ein Foto von der Regenbogenfahne auf dem Neuen Schloss zum CSD Stuttgart 2013. Ein Jahr zuvor hatte Ministerpräsident Kretschmann noch erklärt, dass auf landeseigenen Gebäuden nur hoheitliche Fahnen wehen dürften. Was hatte sich geändert?
Wir wollten mit dieser Ausnahme dem wichtigen Anliegen von Vielfalt in unserer Gesellschaft Rechnung tragen. Die Regenbogenfahne ist zum Symbol für Vielfalt und Offenheit für unterschiedliche sexuelle Orientierungen in unserer Gesellschaft geworden. Das sollte dann zum Christopher Street Day in Stuttgart einmal dokumentiert werden.
Sie haben daraufhin sehr harsche Kritik aus der Opposition im Landtag bekommen…
Diese extrem kleinkarierte Kritik kam vom konservativen Rand der CDU, und ich bin mir nicht mal sicher, ob die gesamte CDU das so gesehen hat. Der CSD ist Teil der Stadtgesellschaft in Stuttgart geworden und hat eine Ausstrahlungswirkung auf das ganze Land. Da ist es doch gut, dass ein so zentrales Gebäude wie das Neue Schloss einmalig die Regenbogenfahne hisst. Das war durchaus auch mit einem Augenzwinkern gemeint. Auch wenn der Hintergrund natürlich ernst ist, funktioniert der CSD ja im Wesentlichen dadurch, dass er das ernste gesellschaftliche Anliegen farbig, bunt und durchaus auch mit Charme und Ironie vorträgt. Insofern war diese bierernste Reaktion von manchen CDU-Leuten völlig fehl am Platz.
Aus der Community wiederum kommt die Kritik, dass außer symbolischen Aktionen und der viel zitierten "Politik des Gehörtwerdens" nicht viel passiert sei.
Das wäre sicher falsch und auch unfair. Wir haben sehr schnell das leidige Thema der Öffnung der Standesämter für die Eintragung der Lebenspartnerschaft geklärt. Das haben wir umgehend, gleich im ersten Jahr, angepackt. Wir haben die Gleichstellung von Homosexuellen im öffentlichen Dienst des Landes im Beamtenrecht, gerade bei der Versorgung, vollendet. Und vor allem haben wir in einem breit angelegten Beteiligungsprozess den Aktionsplan ausgearbeitet, der jetzt Schritt für Schritt umgesetzt wird und der auch mit Mitteln im Landeshaushalt unterfüttert ist.
Da verstehe ich, dass die Engagierten sagen, dass sie sich mehr vorstellen könnten, aber ein Anfang ist gemacht. Schließlich haben wir in der sehr aufgeheizten Bildungsplandebatte einen kühlen Kopf bewahrt. Wir haben damit die Toleranz von Vielfalt auch in der Erziehung hochgehalten. Sodass man unterm Strich schon sagen kann: Der Wechsel wirkt.
Wo sind aber die handfesten Ergebnisse?
Die Verbesserungen im Beamtenrecht sind handfest und zahlen sich in Heller und Pfennig oder in Euro und Cent aus. Überdies gilt, dass der Einsatz für Toleranz und Vielfalt in der Gesellschaft im Wesentlichen einer ist, der sich natürlich jetzt nicht in Bauten oder Straßen niederschlägt. Deshalb sind solche Weichenstellungen wie die Überarbeitung des Bildungsplans und die Erstellung des Aktionsplans nicht zu unterschätzen. Gerade wenn es um die Öffnung der Gesellschaft für Toleranz geht, dann ist Symbolpolitik nicht zu verachten.
Es bleibt in der Tat eine handfeste Frage offen, die allerdings auch nur der Bund lösen kann. Das ist die Frage der Ehe für alle. Da sind wir mit unserer Bundesratsinitiative wegen der Blockade der CDU noch nicht zum Ziel gekommen. Das wird nach der nächsten Bundestagswahl einen neuen Anlauf brauchen und ganz oben auf der Agenda stehen müssen.
Unser Autor Andreas Zinßer im Gespräch mit Nils Schmid
Die Landesregierung nimmt für den "Aktionsplan für Akzeptanz & gleiche Rechte" 2015 und 2016 je 500.000 Euro in die Hand. Allein der Stuttgarter Zoo "Wilhelma" erhält jährlich rund zwölf Millionen Euro Zuschuss. Warum sind Giraffen wichtiger als gleiche Rechte für alle Bürger?
Der Einsatz für (lacht) Artenvielfalt sollte nicht gegen den Einsatz für gesellschaftliche Vielfalt in Stellung gebracht werden. Es handelt sich um den ersten Aktionsplan, der gemeinsam mit den engagierten Gruppen erarbeitet wurde. Jetzt geht es darum, die veranschlagten Mittel gut und erfolgreich einzusetzen. Anschließend wird man das auswerten, und wenn man dann sieht, dass wir da mehr tun müssten oder andere Themen dazu nehmen, dann müssen wir das für die künftigen Aktionspläne einfach in Ruhe besprechen.
Warum ist die Landesregierung beim Bildungsplan für sexuelle Vielfalt nach einigen kleinen Demonstrationen dann doch eingeknickt?
Wir sind nicht eingeknickt! Wir haben das Thema der sexuellen Vielfalt und der Toleranz für verschiedene Formen der sexuellen Orientierung als Leitperspektive verankert. Das ist das Entscheidende und das ist auch das Neue in dem Bildungsplan. Wir wissen, dass Vorurteile in Kindheit und Jugend entstehen und deshalb eint uns der Wille, zur Offenheit und Toleranz zu erziehen. Wir glauben, dass das Eintreten für gesellschaftliche Vielfalt auch in den Bildungseinrichtungen des Landes verankert werden muss. Das ist mit dem Bildungsplan gelungen.
Warum wird dann im überarbeiteten Bildungsplan Bezug auf das "christliche Menschenbild" genommen?
Das christliche Menschenbild ist in der Landesverfassung verankert, deshalb hat es natürlich auch seinen Platz in den Bildungsplänen. Ansonsten ist das Entscheidende, nämlich die Leitperspektive, aufrecht gehalten worden. Gerade in Zeiten, wo gesellschaftliche Vielfalt von verschiedenen Seiten im wahrsten Sinne des Wortes unter Beschuss gerät, war es mir und uns als Landesregierung wichtig, dass wir gerade an diesem Punkt eine sehr klare Ansage gemacht haben. Wie das in den einzelnen Fächern umgesetzt wird, das ist natürlich pädagogisch zu bewerten, aber es bleibt Aufgabe des Bildungsplans oder genauer der Lehrerinnen und Lehrer, die Schülerinnen und Schüler altersgerecht auf die Vielfalt von sexueller Orientierung in unserer Gesellschaft vorzubereiten und vor allem auch zur Toleranz anzuleiten.
Unterdessen hat sich Ihr Herausforderer Guido Wolf von der CDU heimlich mit den Veranstaltern der "Demo für alle" getroffen…
Herr Wolf und die baden-württembergische CDU haben immer noch nicht verstanden, dass die Gesellschaft viel weiter ist als das rückwärtsgewandte Weltbild der CDU. Die verpassen damit den Anschluss an gesellschaftliche Entwicklungen. Die CDU in Baden-Württemberg hat immer noch nicht eingesehen, dass Vielfalt in unserer Gesellschaft keine Bedrohung, sondern eine Chance ist. Dass verschiedene Lebensentwürfe in den Paarbeziehungen und den Familien möglich sind und gerade auch diese Vielfalt unsere Gesellschaft bereichert und unser Land für alle lebenswert macht.
Vize-Ministerpräsident Nils Schmid lief in diesem Jahr erstmals beim CSD Stuttgart mit (Bild: Andreas Zinßer)
Sie selbst sind in diesem Jahr erstmals beim Stuttgarter CSD mitgelaufen. Letztes Jahr waren Sie sogar Schirmherr. Warum waren Sie nicht schon früher dabei?
Als ich Schirmherr war, konnte ich aus Zeitgründen nicht auf die Parade. Dieses Jahr hat es terminlich wunderbar gepasst. Gerade weil ich als ehemaliger Schirmherr zeigen wollte, dass ich den Anliegen der Community immer noch eng verbunden bin, habe ich mich zum Mitlaufen entschieden. Es war eine schöne Erfahrung, es war Volksfeststimmung, es war eben nicht "nur" die Community auf der Straße, sondern die ganze Stadtgesellschaft hat Flagge gezeigt. Die freudige Stimmung hat das Mitlaufen zu einem großartigen Gemeinschaftserlebnis gemacht. Schade fand ich nur, dass ich von der Parade nur die einfallsreichen Wagen vor und hinter uns mitbekommen habe. Aber so ist das, wenn man mittendrin ist.
Warum sollten Schwule, Lesben, Bisexuelle und die anderen Angehörigen der Community im März 2016 Ihrer Regierung das Vertrauen aussprechen?
Gerade Schwule und Lesben haben von dieser CDU nichts zu erwarten. Wir aber haben Wort gehalten. Gerade den Aktionsplan würden wir gerne in der nächsten Legislaturperiode gemeinsam mit der Community weiterentwickeln. Und ich glaube, dass die Mitglieder dieser Landesregierung, einschließlich mir selbst, klar Stellung bezogen haben.
Das ist auch das, was die Community braucht. Das klare Signal: Ihr seid ganz normaler Teil dieser Gesellschaft. Ihr braucht euch nicht zu rechtfertigen. Gesellschaftliche Anerkennung ist nicht abhängig von Geschlecht oder sexueller Orientierung, niemand muss sich einem vorgegebenen Lebensentwurf anpassen.
Falls es für Grün-Rot nicht reichen sollte: Steht die SPD auch für eine Koalition mit der CDU zur Verfügung, die mit homophoben Untertönen Wahlkampf macht?
Wir kämpfen für eine gemeinsame Regierung mit den Grünen, das ist gerade bei diesem Thema besonders wichtig. Alle Wählerinnen und Wähler sollten sich sehr bewusst sein, dass in den eben besprochenen Fragen der Rollback ansteht, wenn die CDU wieder an die Regierung kommt. Deshalb werden wir bis zum Abend des 13. März alles dafür tun, dass wir gemeinsam mit den Grünen weiterregieren können.
warum lügen Sie? (Außer weil sie in der Lügner- und Betrügerpartei SPD sind...)
Sie behaupten, Sie seien nicht eingeknickt, aber Fakt ist, dass bereits seit Jahren ein fertiger Bildungsplan in der Schublade liegt, der von Experten (Didaktikern, Pädagogen, Psychologen, etc.) entwickelt wurde und bereits seit Jahren verwendet werden könnte.
Stattdessen haben sie das nach den Protesten einer schrillen Minderheit (die nicht mal 0,1 % aller Baden-Württemberger ausmacht) zurückgezogen und präsentieren jetzt einen überarbeiteten Bildungsplan, der auf das "christliche Menschenbild" Bezug nimmt.
Und dann behaupten sie auch noch, das sei wegen der Landesverfassung. Soll jetzt alles, was in der Landesverfassung steht auch noch mal im Bildungsplan erwähnt werden? Oder ist das doch nur eine billige Ausrede?
Zumal die "christliche" Perspektive auf Homosexualität bekannt ist. Wenn die Aufklärung unter dieser Prämisse läuft, wissen wir alle, wie das aussehen wird. Wahrscheinlich wird den Schülern dann erzählt, sie sollen für die armen Sünder beten und sie in Gehirnwäsche-Therapien stecken.