Über diese Entscheidung dürfte noch diskutiert werden: Xavier Naidoo wird Deutschland im kommenden Jahr beim ESC in Stockholm vertreten (Bild: Thommy Mardo)
Nach den schlechten Platzierungen der letzten Jahre nominiert der NDR für kommendes Jahr einen nicht nur in LGBT-Szene umstrittenen Sänger für den Eurovision Song Contest.
Mit Updates am Ende des Artikels
Der deutsche Beitrag beim Eurovision Song Contest wird im kommenden Jahr von Xavier Naidoo gesungen. Das wurde nach einem Bericht der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" am Donnerstagmorgen auf eurovision.de bestätigt.
Demnach sollen die deutschen Zuschauer in der ARD-Livesendung "Unser Song für Xavier" am 18. Februar 2016 um 20.15 Uhr nur noch darüber entscheiden, mit welchem von sechs vorgestellten Liedern der 44-Jährige antreten wird. Dabei könne Naidoo sowohl auf Deutsch als auch auf Englisch singen. Zuletzt stand der deutsche Teilnehmer 2011 bereits von vorne herein fest, als Vorjahressiegerin Lena Meyer-Landrut ihren Titel verteidigen wollte.
"Ich hab richtig Lust auf den ESC! Dieser völkerverbindende Wettbewerb ist für mich etwas ganz Besonderes: Und klar, ich trete an, um das Ding nach Hause zu holen", sagte Naidoo gegenüber eurovision.de. Der sechs Mal mit dem "Echo" ausgezeichnete Künstler sagte, er verspreche, "so schön und so gut zu singen wie noch nie in meinem Leben". Außerdem wolle er zeigen, für was er einstehe: "Für Liebe, Freiheit, Toleranz und Miteinander".
ARD-Unterhaltungschef Thomas Schreiber erklärte, der Mannheimer Sänger sei ein "Ausnahmekünstler" und deshalb direkt nominiert worden. Er richte nun die Bitte an "die besten Produzenten und Komponisten", ein Lied für den Kandidaten zu schreiben.
Youtube | Xavier Naidoo stellt sich auf Englisch vor
Homosexualität und Kindesmissbrauch gleichgesetzt?
Naidoo, dessen Songs oft einen religiösen Hintergrund haben, dürfte der kontroverseste Beitrag der letzten Jahre sein. So bewegt er sich seit Jahren in einem dubiosen Umfeld von Verschwörungstheoretikern und sogenannten Reichsbürgern, die Deutschland für ein besetztes Land halten.
2012 veröffentlichte er auf seinem Album "Gespaltene Persönlichkeit" einen Song mit seinem Kollegen Kool Savas, der ihm unter anderem den Vorwurf einbrachte, Homosexualität und Kindesmissbrauch gleichzusetzen (queer.de berichtete). In dem Song heißt es: "Ich schneid euch jetzt mal die Arme und die Beine ab, und dann ficke ich euch in den Arsch, so wie ihr es mit den Kleinen macht". Naidoo erklärte später, dass der Song missverstanden worden sei und sich nicht gegen Schwule richte (queer.de berichtete). Außerdem setze er sich persönlich für Homosexuellenrechte ein.
Erst vor knapp drei Monaten forderte die Linksjugend die Absage eines Naidoo-Konzertes in Bremen, weil der Sänger "offene Gewaltphantasien gegen Homosexuelle" vortrage (queer.de berichtete). Im August einigte sich der Sänger mit der Amadeu Antonio Stiftung auf einen Vergleich, wonach sie weiter behaupten darf, ein Lied Naidoos könne antisemtisch interpretiert werden, den Sänger aber zugleich nicht als Antisemiten bezeichnen darf.
Grüne Kritik: "Kaum ein Künstler ist weniger Eurovision"
Grünenpolitiker Sven Lehmann
In einer ersten Reaktion kritisierte der Landesvorsitzende der NRW-Grünen, Sven Lehmann, die Nominierung von Naidoo mit harschen Worten: "Ein homophober Stichwortgeber für Pegida beim ESC 2016?", erklärte der schwule Politiker gegenüber queer.de. "Kaum ein Künstler ist weniger Eurovision. Was kommt als nächstes? Lutz Bachmann als Moderator der deutschen Punktvergabe?".
Die ARD verteidigte ihren Kandidaten gegen die Vorwürfe: "Xavier Naidoo ist weder rechtspopulistisch noch homophob oder antisemitisch", sagte Unterhaltungschef Thomas Schreiber. "Seit Jahren setzt er sich für die deutsch-israelische Freundschaft ein, engagiert sich für Flüchtlinge ohne jedes Mal darüber zu reden, arbeitet mit zahlreichen Menschen zusammen, die in den unterschiedlichsten Lebensentwürfen leben."
Naidoo unterstützt Ehe für alle
Tatsächlich hat sich Naidoo erst vor wenigen Monaten für LGBT-Rechte engagiert: Er gehörte zu den Unterzeichnern eines Offenen Briefes an Bundeskanzlerin Angela Merkel, in dem die Gleichbehandlung von Schwulen und Lesben im Ehe-Recht gefordert wird (queer.de berichtete).
Das Finale des ESC wird am 14. Mai 2016 in Stockholm statffinden, nachdem der Schwede Måns Zelmerlöw den Wettbewerb in diesem Jahr mit dem Song "Heroes" gewonnen hatte. Deutschlands Beitrag, "Black Smoke" von Ann Sophie, belegte bei der Show in Wien mit null Punkten den letzten Platz. (dk)
Update 13.45 Uhr: LSVD nennt Nominierung von Xavier Naidoo "mehr als bedenklich"
In einer ersten Stellungnahme hat der Lesben- und Schwulenverband die Entscheidung der ARD kritisiert, Xavier Naidoo zum ESC zu schicken: "Die Nominierung von Herrn Naidoo durch die ARD halten wir für mehr als bedenklich. Er propagierte in der Vergangenheit immer wieder Thesen, die man sonst nur aus der Ecke von Rechtpopulisten wie der AfD kennt", erklärte LSVD-Sprecher Tobias Zimmermann. "Seine Songtexte sind voll von offenen Gewaltphantasien gegen Homosexuelle. So hat er sich bislang nicht von dem gemeinsamen Album mit Kool Savas distanziert".
In mehreren Petitionen wird die ARD aufgefordert, sich von Naidoo zu trennen. So unterzeichneten auf "Open Petition" und auf change.org binnen weniger Stunden jeweils mehr als 2.000 Menschen den Aufruf.
Update 18.45 Uhr: Weitere Reaktionen
"Xavier Naidoo werden Rechtspopulismus, Homophobie und Antisemitismus vorgeworfen", meinte Jörg Litwinschuh von der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld am Nachmittag unter anderem mit Bezug auf Naidoos Auftritt "bei einer Großkundgebung von Anhängern der rechtspopulistischen 'Reichsbürgerbewegung'". Der Sänger habe mit seinen Liedtexten und politischen Äußerungen immer wieder Kontroversen ausgelöst. "Es ist keine gute Wahl und das völlig falsche Signal, wenn er Deutschland beim ESC vertritt."
Der Grünenpolitiker Volker Beck kommentierte die Entscheidung auf Twitter lakonisch: "#Naidoo beim #esc ist ja fast wie ein Integrationsbambi für Bushido O wait!" Der schwule Berliner Linken-Chef Klaus Lederer meinte: "Ich finde, dass ein antisemitischer und homophober Verschwörungstheoretiker und 'Reichsdeutscher' das Land beim ESC vertritt, passt zur aktuellen Lage. Ich schlage Frauke Petry, Birgit Kelle und Beatrix von Storch als Backgroundchor vor."
Das Nollendorfblog kritisierte in einem Eintrag einen weiteren Aspekt: Wie der NDR versuche, mit der Hautfarbe Naidoos Kritik an der Wahl zu verhindern. Der schwule ESC-Experte Jan Feddersen verteidigte derweil die Entscheidung auf der Webseite des NDR, für die er arbeitet, wie auch in einem Streitgespräch auf taz.de.
Deutlich kritischere Kommentare gab es hingegen u.a. von den ESC-Experten von stern.de und Zeit Online.
Da der Herr keinen Blumentopf gewinnen wird, ist eine schlechte Platzierung dann mal ein Grund zur Freude.
Alles nur ein billiger Trick;-)