Die NRW-Landtagsabgeordnete Susanne Schneider (FDP) wedelte für Sat 1 mit einem Kondom, als hätten HIV-Positive eine Pflicht zur Nutzung, selbst wenn sie niemanden anstecken können
Das Regionalmagazin in NRW beteiligt sich an der FDP-Hexenjagd auf einen jungen LGBT-Aktivisten.
Von Norbert Blech
Der Skandal um die Skandalisierung von privaten Äußerungen eines jungen LGBT- und Aids-Aktivisten aus NRW durch zwei Landtagsabgeordnete der FDP zieht weitere Kreise. Am Montag veröffentliche das regionale Fenster von Sat 1 auf seiner Webseite einen Videobericht zum Fall, der bereits am Freitag ausgestrahlt wurde und zu der Stigmatisierung des jungen Mannes beiträgt – mit zahlreichen Hasskommentaren als Folge.
Die Vorgeschichte: Der HIV-positive Christian N. hatte in der letzten Woche als Reaktion auf diskriminierende Medienberichte zum HIV-Coming-out des Schauspielers Charlie Sheen privat auf seinem Facebook-Profil geschrieben, dass er "regelmäßig Sex ohne Kondom" habe und Sexpartnern nichts von seiner Infektion erzähle, da er durch eine funktionierende Therapie ohnehin nicht infektiös sei. Wissenschaftlich ist dieser selbstbewusste Umgang eines HIV-Positiven mit seiner Infektion haltbar; die Aids-Hilfen versuchen seit Jahren, den Aspekt des "Schutzes durch Therapie" zu kommunizieren und das Prinzip der Eigenverantwortung zu betonen, auch um einer weiter anhaltenden Stigmatisierung und Kriminalisierung von Positiven entgegenzuwirken.
Die Abgeordneten Susanne Schneider, gesundheitspolitische Sprecherin der FDP-Landtagsfraktion, und Ulrich Alba, Sprecher im Gesundheitsausschuss, wollten dennoch von der Landesregierung in einer Kleinen Anfrage (PDF) wissen, wie diese die Äußerungen von N. bewerte, wonach "Sex mit häufig wechselnden Partnern ohne Kondom bedenkenlos sei". In der Anfrage werden die Zitate aus dem Zusammenhang gerissen und der Aspekt der Nicht-Infektiosität durch die Therapie von Christian N. größtenteils ignoriert – zugleich werden die Zitate mit der Arbeit von N. als einer von mehreren Sprechern für SchLAu NRW in Verbindung gebracht. Das größtenteils ehrenamtlich betriebene Projekt bietet Aufklärung über LGBT an Schulen und wird deswegen von erzkonservativer Seite zunehmend angegriffen – oft mit der Falschaussage, es handele sich um Sexualaufklärung.
Parteiischer TV-Bericht
Nachdem ein erster Medienbericht zu der FDP-Anfrage am Donnerstag offenbar gezielt auf einem Portal des erzkonservativen Publizisten Klaus Kelle erschienen war und seine Ehefrau, die homophobe Aktivistin Birgit Kelle ("Gender Gaga") den Bericht auf Facebook zu einem Angriff auf SchLAu nutzte, stieg auch Sat 1 NRW am Freitag unter Berufung auf die FDP in die Stimmungsmache ein.
N. sei Sprecher einer von der "Landesregierung geförderten Organisation, die in Schulen geht, um Aufklärungsarbeit zu leisten", heißt es in der Anmoderation; im Laufe des zweiminütigen Beitrags wird die Finanzierung durch das Land noch zwei weitere Male erwähnt.

Die FDP fordere "zu Recht" eine Stellungnahme, so die Anmoderation weiter zu einem Bericht, der keine Antworten bietet. Die Partei halte es für ein "absolutes Unding", zu "suggerieren", dass es "nicht weiter schlimm sei", ungeschützten Sex trotz einer HIV-Infektion zu haben. Dass dies medizinisch tatsächlich bei einer funktionierenden Therapie nicht schlimm ist, wird von dem Sender in keinster Weise aufgeklärt.
Der Beitrag scheint eine bewusste journalistische Stimmungsmache: So stimmt zwar, dass Christian N. dem Sender eine Stellungnahme verweigert hat. Allerdings hatte er der Redaktion laut eigener Aussage einen Ansprechpartner bei der Aids-Hilfe NRW benannt, der für ihn sprechen würde. Das hatte er in der letzten Woche auch gegenüber queer.de so gehandhabt.
Statt einem kompetenten Ansprechpartner der Aids-Hilfe hatte die in Dortmund beheimatete Redaktion allerdings einen allgemeinen Arzt aus Dortmund vor die Kamera gezerrt. Der Mann, der nebenbei bei der Homo-Vereinigung der FDP, den Liberalen Schwulen und Lesben (LiSL) aktiv ist, ohne dass das im Beitrag erwähnt wird, hält Therapien für keinen Grund, auf das Kondom zu verzichten. Eine gegenteilige Aussage der Aids-Hilfe sowie der medizinischen Fachwelt erhält man dazu in dem Beitrag nicht, stattdessen eine allgemein anmutende Formulierung der Landesregierung zu Sex mit Kondomen, deren Herkunft nicht näher benannt ist.
Auch das Projekt SchLAu wurde nicht befragt; als einziger Vertreter der Politik kommt Susanne Schneider zu Wort, die das Verhalten von Christian N. als "sehr gefährlich" einschätzt, obwohl sie zum Zeitpunkt des Interviews bereits auf die vielfältige Problematik ihrer Aussagen hingewiesen worden war.
Verantwortlungsloses Click-Baiting
Sat 1 hat den Bericht unter den Titel "Gefährliches Posting" online gestellt; er endet mit den Worten, wer "so etwas postet, ist einfach nur fahrlässig". Fahrlässig ist wohl eher der Umgang von Sat 1 und den FDP-Politikern mit den Fakten – und mit Christian N.
So hatte Sat 1 am Freitag bereits einen kurzen Online-Text zu dem Thema verfasst, der ebenfalls nicht näher auf den Aspekt des Schutzes durch Therapie eingeht. In einem Facebook-Teaser dazu wird das Verhalten von N. gar als "unglaublich" und "ein Spiel mit dem Feuer" zusammengefasst – der Therapiegedanke fehlt dabei völlig.

In Folge kam es zu einigen Hetzkommentaren gegen N., gar zu Aufforderungen zu körperlicher Gewalt gegen ihn. Die Kommentare sind 72 Stunden später noch immer online.


Anhaltende Kritik an Schneider
Susanne Schneider im Frühjahr beim angeblichen Abbau von Ressentiments, wie sie Treffen mit Personen wie Birgit Kelle verteidigte
Susanne Schneider selbst ist derweil weiter uneinsichtig – am Montag postete sie den Sat-1-Bericht bei sich auf Facebook. Zuvor hatte sie in dem sozialen Netzwerk geschrieben: "ICH diskriminiere Menschen, die Schüler 'aufklären', Sex ohne Kondom propagieren und damit bewusst das Risiko für Hepatitis, Syphilis, Gonorrhö etc leugnen!" Wie in der Anfrage wird damit nahegelegt, dass N. seinen legitimen privaten Umgang mit Kondomen als HIV-Positiver in Therapie auch HIV-negativen Schülern aufdrängen würde, anstatt sie vernünftig und umfassend aufzuklären – oder überhaupt zu der Frage, die nicht das Thema von SchLAu ist. Und das, obwohl es dafür keinen Beleg gibt und die ausführliche Facebook-Debatte in seinem Profil sich nicht um diesen Aspekt gedreht hatte. Auch ignorierte Schneider Hinweise der Aids-Hilfen, dass Kondome das Ansteckungsrisiko bei anderen sexuell übertragbaren Krankheiten nur verringern, nicht verhindern.
Bereits am Donnerstag hatten schwule Politiker der Linken in NRW ihre Kleine Anfrage kritisiert, auch queer.de hatte ihr eine Homo-"Gurke" verliehen (queer.de berichtete). Am Freitag hatten auch die Deutsche Aids-Hilfe und die Aids-Hilfe NRW die Gesundheits-Politikerin öffentlich auf Fehler in ihrer Argumentation hingewiesen, am Samstag hatte zudem SchLAu NRW die "öffentliche Diffamierung und Kriminalisierung von Christian" verurteilt, der inzwischen zurückgetreten war (queer.de berichtete).
Weitere Kritik kam am Sonntag von den Schwulen und Lesben in der SPD. "Wohl um mit billigem Populismus zu punkten" schössen die FDP-Abgeordneten "in ihrer kleinen Anfrage gegen SchLAu-Sprecher Christian N., indem sie seine Eignung als Sprecher des Projektes unter Hinweis auf 'häufig wechselnde Sexualpartner' anzweifeln", bemängelte der gesundheitspolitische Landessprecher der Schwusos, Ulrich Thoden, in einer Pressemitteilung. "Auch wird die Aussage, dass eine Therapie einen ebenso wirksamen Schutz vor einer HIV-Infektion bietet, wie der Gebrauch von Kondomen, in Frage gestellt. Damit fördern die beiden FDP-Abgeordneten aktiv alte Vorurteile und die Stigmatisierung von HIV-Positiven."
Der Rücktritt von N. sei zu bedauern, so das Statement weiter, das die "erfolgreiche" Arbeit von SchLAu verteidigt. "Für die SPD ist ganz klar, dass HIV-Positive weder stigmatisiert noch kriminalisiert werden dürfen. Besonders alarmierend ist der plumpe Populismus der FDP-Abgeordneten Schneider und Alda, den diese wider besseres Wissen und dem aktuellen Stand der Wissenschaft zum Trotz bedienen. Es wirkt ganz so, als wolle man sich bei rechtspopulistischen Gruppierungen wie den 'Besorgten Eltern' anbiedern." Die FDP glaube, "durch falsche Informationen Ängste und längst überwunden geglaubte Vorurteile schüren zu müssen".
Schneider hatte sich in der Vergangenheit durchaus für LGBT-Rechte engagiert. Allerdings hält sie auch Verbindungen zu Birgit Kelle, war Anfang des Jahres in einer Radiosendung der Publizistin zu Gast, Kelle selbst trat auf einer Podiumsdiskussion der Landtagsfraktion auf. "Ich spreche mit den Menschen, die meine Fachbereiche betreffen – auch um Ressentiments abzubauen", schrieb Schneider zu entsprechender Kritik auf Facebook am Wochenende. Laut Christian N. hat sie vor und nach ihrer Kleinen Anfrage keinen Kontakt zu ihm gesucht.
Und dennoch trägt Christian die Schuld dafür. Einfach sau dumm so 'ne Nachricht öffentlich(!) rauszuhauen. Ein Arschtritt an alle SchLAu-Ehrenämtler im Lande!