Schicksalsbegegnung im Kaufhaus: Verkäuferin Therese (Rooney Mara, li.) und Carol (Cate Blanchett) sind auf der Suche nach aufrichtiger Zuneigung und neuen Impulsen (Bild: DCM)
Der Kinofilm "Carol" ist die wohl liebesvollste Geschichte zweier Herzen auf dem Weg zueinander, verpackt in den Weihnachts-Charme der 1950er Jahre.
Von Marie Lange
Mitten im Weihnachtstrubel des New York der 1950er Jahre tritt die imposante Carol (Cate Blanchett) in das Leben der Spielwarenverkäuferin Therese. Schon die ersten Unterhaltungen der beiden lässt erahnen, auf welcher Ebene ihre Beziehung sich in den nächsten 115 Minuten entfalten wird.
Unter der Regie von Todd Haynes begegnen sich zwei Frauen, deren Wesen ebenso verschieden sind wie die sozialen Verhältnisse, in denen sie leben. Während Carol bereits Mutter einer bezaubernden Tochter ist und sich inmitten eines Scheidungsdramas mit ihrem wohlsituierten Noch-Ehemann Harge befindet, sucht Mittzwanzigerin Therese zwischen Partys, Zweckanstellungen und Fotografie nach ihrer eigentlichen Leidenschaft, nach etwas, für das sie sich vollends begeistern kann. Und soll eben dieses nun in Carol finden.
Ein gemeinsamer Roadtrip in den pittoresken Westen Amerikas bringt die beiden Frauen nicht nur einander, sondern in erster Linie auch sich selbst näher. Die zaghafte Therese legt mit jedem gefahrenen Kilometer und jeder Nacht in einem der Hostels mehr und mehr Hemmungen ab, und die anfangs beinahe einschüchternd selbstbewusst wirkende Carol zeigt sich endlich einmal von ihrer schwachen Seite.
Der Noch-Ehemann fährt der jungen Liebe in die Parade
Poster zu "Carol": Die Verfilmung der Novelle "The Price of Salt" von Patricia Highsmith startet am 17. Dezember in den deutschen Kinos.
Doch sobald der Wandel der Freundinnen intime Nähe zwischen ihnen zulässt, bahnt sich ein jähes Ende der neugewonnenen Harmonie an: Der in seinem Stolz verletzte Ehemann Harge (Kyle Chandler) möchte die wiederholten Liebschaften seiner Frau zu anderen Damen nicht länger hinnehmen. Mithilfe seiner Topanwälte und einem Privatdetektiv startet er einen regelrechten Feldzug gegen Carol und benutzt die damaligen gesellschaftlichen Grenzen als Vorwand. Indem er sich auf die sogenannte Moralklausel beruft, will er seiner Noch-Ehefrau das Sorgerecht für die gemeinsame Tochter entziehen.
Carol bricht daraufhin völlig zerrissen den Roadtrip und den Kontakt mit Therese ab. Um ihr Kind nicht zu verlieren, begibt sie sich in Therapie und mimt vor Harges Familie die "traditionelle" Frau der 1950er Jahre. Doch in der finalen Sorgerechts-Anhörung erkennt Carol, was ihr wirklich am Herzen liegt und muss in bitterster Weise hinnehmen, dass ihr die Gesellschaft der Nachkriegszeit kein vollendetes Glück gewährt.
Wie schon Patricia Highsmiths Novelle "The Price of Salt" (1952) geht auch die Verfilmung der Frage nach, wie viel ein Mensch aufgeben kann, um aufrichtig leben zu können. Welche Opfer kann eine Frau bringen, um ihrer Natur zu folgen?
Regisseur Todd Haynes erzählt die Geschichte der beiden Frauen in einer stoischen Ruhe, die seinen Charakteren und auch den Zuschauern Zeit lässt. Insbesondere im Vergleich zu anderen aktuellen Produktionen wirkt die langsame und ausgiebige Bildsprache des Films beinahe erfrischend.
Oscarverdächtiges Drama mit hochkarätiger Besatzung
Die elf Jahre Arbeit, die das britisch-amerikanische Team in die Entwicklung des Dramas gesteckt haben, zahlen sich nicht nur durch diverse Awards aus. Mit viel Liebe fürs Detail haben sich Kameramann Ed Lachmann und Regisseur Todd Haynes einen beeindruckenden stillen Austausch und eine begeisternde Spannung zwischen allen Darstellern ermöglicht.
Die Rolle der klassisch-eleganten und doch unkonventionellen Carol ist Cate Blanchett wie auf den Leib geschrieben. Jeder Augenaufschlag, jede Handbewegung und jeder Zug an der Zigarette sind ein Loblied an den Stil der 1950er Jahre. Schon nach wenigen Minuten Spielzeit ist die Zuschauerin ebenso im Bann der blonden Schönheit wie es bei Therese (Rooney Mara) auf den ersten Blick geschehen ist.
Obgleich Mara in Cannes als "Beste Darstellerin" ausgezeichnet wurde, wirkt ihre Performance neben der Größe Blanchetts in ihrer Rolle beinahe etwas dürftig. Fast etwas zwanghaft soll Therese speziell und "wie von einem anderen Stern" wirken, doch leider fehlt es ihr an dieser Stelle an Authentizität. Nichtsdestotrotz überzeugt die Chemie zwischen den beiden Hauptdarstellerinnen auf voller Länge.
Die ansonsten liebevoll ausgearbeiteten Nebenrollen machen Rooney Mara starke Konkurrenz. Speziell Sarah Paulson, die Carols Ex und gute Freundin Abby spielt, läuft Gefahr, Mara die Show zu stehlen.
Alles in allem ist "Carol" ein atemberaubender Exkurs in eine andere Zeit: Feinster Vintage-Look von den Kostümen bis hin zum Set-Design rundet die wunderbar romantische Liebesgeschichte ab.
"Carol" macht betroffen, nicht nur als Lesbe, sondern besonders als Frau, und belohnt die mitleidenden Zuschauerinnen und Zuschauer am Ende sogar mit einem (teilweisen) Happy-End. Mit einer unwiderstehlichen Eleganz macht Cate Blanchett das Drama zu einem traumhaften Christmas Carol, das durchaus politisch, aber niemals aktivistisch ist.
Youtube | Deutscher Trailer zum Film
Infos zum Film
Carol. Drama. Großbritannien/USA 2015. Regie: Todd Haynes. Darsteller: Cate Blanchett, Rooney Mara, Kyle Chandler, Sarah Paulson, Carrie Brownstein, Jake Lacy, Cory Michael Smith, John Magaro. Laufzeit: 118 Minuten. Sprache: deutsche Synchronfassung. Verleih: DCM. Bundesweiter Kinostart: 17. Dezember 2015
Eine viel schönere Weihnachtsgeschichte als die üblichen Weihnachtsfilme.