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Vorentscheid in Istanbul
Mr. Gay Syria kämpft um mehr als die Krone

Wollen unser Bild von Syrien korrigieren: Mr. Gay Syria 2016 Hüseyin (li.) und der Organisator des Wettbewerbs Mahmoud Hassino
- 21. Februar 2016, 19:15h 5 Min.
Bei der Wahl zum Mr. Gay World im April in Malta wird erstmals ein Teilnehmer aus Syrien dabei sein. Wir trafen den Organisator des Vorentscheids zum Interview.
Von Jayrôme C. Robinet
Weil der syrische Journalist Mahmoud Hassino es satt hatte, dass syrische Queers bloß als Leichen in den Videos der Terrororganisation "Islamischer Staat" oder als Opfer der Verbrechen des Assad-Regimes dargestellt werden, hat er am 14. Februar in der türkischen Metropole Istanbul einen Mr.-Gay-Syria-Wettbewerb organisiert.
Gegen vier andere Kandidaten setzte sich am Valentinstag Hüseyin durch, ein 23-jähriger Frisör aus Aleppo, der vor zwei Jahren in die Türkei geflohen ist und aus Sicherheitsgründen nur seinen Vornamen nennt.
Ziel des Wettbewerbs war es, erstmals einen syrischen Delegierten zur Wahl des Mr. Gay World zu schicken, um damit im April in Malta ein politisches Statement abzugeben. Wir trafen den in Deutschland lebenden Organisator in Berlin zum Gespräch.

Der Journalist Mahmoud Hassino lebte nach seiner Flucht erst in Istanbul, jetzt ist er in Berlin zu Hause (Bild: privat)
Mahmoud Hassino, wie kam es zur Idee eines Mr.-Gay-Syria-Wettbewerbs?
Eigentlich wollte ich selbst 2012 bei der Wahl zum Mr. Gay World in Südafrika teilnehmen. Schon damals hatte ich erkannt, dass solche Events eine gute internationale Plattform sein können, um Sichtbarkeit für unsere Belange zu erlangen. Zum Schluss habe ich doch nicht teilgenommen, weil ich mich verstärkt auf den Journalismus konzentrieren wollte – damals habe ich die erste queere Zeitschrift Syriens gegründet ("Mawaleh"; Anm. d. Red.). 2014 habe ich einen weiteren Versuch unternommen, einen syrischen Delegierten zum Wettbewerb zu schicken. Zu der Zeit wurde zum ersten Mal dokumentiert, wie die IS in Syrien Schwule ermordte. Für mich war das ein zusätzlicher Grund, Präsenz zu zeigen.
Und was ist passiert?
Um bei Mr. Gay World mitzukandidieren, muss man normalerweise zuerst einen nationalen Contest gewinnen. Ich habe dem Organisationskomitee erklärt, dass wir das in Syrien leider nicht durchführen können, und sie waren einverstanden, dass der syrische Kandidat eben "einfach so" teilnimmt – also ohne vorherigen Titel. Leider hat er das Visum dann doch nicht bekommen.
2016 ist also der dritte Versuch…
Genau. Damals wie heute: Es geht mir um Sichtbarkeit. Mir ist es wichtig, syrische Queers fernab vom gängigen Klischee des armen Geflüchteten zu präsentieren – oder bloß als Leiche in den Videos von ISIS. Wir können Menschen nicht einzig und allein als "Überlebende" darstellen. Deshalb wollte ich das Positive in den Vordergrund rücken: starke Menschen, die Talente haben, starke Menschen, die für etwas einstehen, die etwas können und wollen.
Warum wurde der Wettbewerb in der Türkei organisiert?
Aus drei Gründen: Erstens wollte ich eine aufmunternde Message zu allen LGBT-Menschen senden, die Syrien verlassen mussten und sich nun in den Nachbarländern aufhalten – Libanon, Türkei, Irak, Jordan, d.h. in Ländern, wo sie keine Rechte haben. Zweitens habe ich von 2011 bis Mitte 2014 selbst in der Türkei gelebt und fühle mich der dortigen queeren Community weiterhin zugehörig. Drittens sind die türkischen LGBT auch in einer schwierigen Situation, und das wollte ich ebenso thematisieren.
Heute lebst du in Berlin, hat das bei der Organisation des Wettbewerbs eine Rolle gespielt?
Ja, der Contest wird Teil eines Dokumentarfilms über queere Syrer, die geflüchtet sind, und der Film wird von der Türkei, Frankreich und Deutschland co-produziert.
Wie lief die Organisation von Mr. Gay Syria konkret?
Zuerst habe ich einen Aufruf und ein Online-Formular auf "Mawaleh" gestellt. Daraufhin haben sich 29 Leute gemeldet. Sieben haben sich als Fake entpuppt, der Rest ist langsam geschrumpft: Einige hatten inzwischen die Türkei verlassen, andere sind krank geworden usw. Zum Schluss hatten wir fünf Kandidaten. In Istanbul gibt es mittlerweile eine nennenswerte arabische queere Community, die bei der Orga unglaublich viel gemacht hat. Ohne sie wäre aus meiner Idee vielleicht nichts geworden.
Gab es irgendwelche Drohungen im Vorfeld oder während des Wettbewerbs?
Nein. Wir haben unser Bestes versucht, um die Sicherheit aller Beteiligten zu gewährleisten. Alle Infos wurden geheim gehalten. z.B. an welchem Tag und an welchem Ort der Wettbewerb stattfinden sollte – nur die Eingeweihten wussten Bescheid.
Also ein Balanceakt zwischen Geheimhaltung und Sichtbarkeit.
Genau.
Der Wettbewerb fand am 14. Februar statt. War der Valentinstag symbolisch?
Ja. Liebe gewinnt, habe ich gehört.
Und wie lief nun der Wettbewerb?
Fantastisch. Man konnte so viel Liebe spüren. Das war politisch, menschenrechtlich und aus LGBT-Perspektive ein Erfolg. Und es war auch das Demokratischste im Bezug auf eine syrische Angelegenheit, das ich jemals erlebt habe. Angefangen mit der Jury, die wirklich LGBT war, also keine leere Worthülse: Es waren nicht nur schwule Männer als Juroren dabei, sondern wir hatten eine Transfrau aus Ägypten. Ursprünglich sollte eine lesbische Frau dabei sein, die hatte aber leider schon vor dem Contest die Türkei verlassen.
Ansonsten haben wir alles wie bei Mr. Gay World gemacht – naja das, was wir uns auch leisten konnten (lacht). Es gab einen Test mit Fragen zu LGBT-Politik, dann einen Wettbewerb, bei dem die Kandidaten ihre eigene Kampagne für die Community in Syrien darstellen sollten, hinterher eine Talentshow – der eine machte eine Dragnummer, ein anderer Stand-up-Comedy usw. Das hat echt Spaß gemacht. Und zum Schluss kam die letzte Frage.
Und die lautete?
"Was machst du, wenn du den Mr. Gay Syria Wettbewerb gewinnst, aber kein Visum nach Malta bekommst?"
Und wie waren die Antworten?
Dafür musst du den Dokumentarfilm schauen (lacht).
Wie geht es nun mit dem Gewinner weiter?
Hoffentlich kann unser Mr. Gay Syria tatsächlich im April mit einem Visum nach Malta fahren. Wir haben auch eine Crowdfunding-Kampagne gestartet, um die Teilnahmegebühr am Wettbewerb, die Flugtickets usw. bezahlen zu können. Wir hoffen sehr stark, dass das klappt.
