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Volksabstimmung
Schweizer stimmen knapp gegen Verbot der Ehe für alle

Mit diesem Plakat warben LGBT-Aktivisten für ein "Nein"
- 28. Februar 2016, 16:52h 3 Min.
Mit knapper Mehrheit lehnten die Schweizer eine Volksinitiative ab, die durch die Hintertür die Ehe als Verbindung zwischen Mann und Frau in der Verfassung verankern wollte.
Bei einer Volksabstimmung am Sonntag haben die Schweizer ein Verbot der Eheschließung für Schwule und Lesben in der Landesverfassung abgelehnt. Laut dem Endergebnis stimmten 50,8 Prozent gegen die Volksinitiaitve mit dem Namen "Für Ehe und Familie – gegen die Heiratsstrafe", die von der Christlichdemokratischen Volkspartei (CVP) initiiert worden war. Die Wahllokale hatten um 12 Uhr geschlossen.
Der Niederlage war ein stundenlanges Kopf-an-Kopf-Rennen vorausgegangen. Gegen 18 Uhr, als gerade das Endergebnis verkündet wurde, stand die CVP via Twitter ihre Niederlage ein. Fast zeitgleich twitterten die Gegner der Organisation "Gemeinsam weiter": "Jaaaaaa! Ein NEIN! Vielen Dank für euer grossartiges Engagement! Wir haben gewonnen!"
Zwar gab es in den meisten Kantonen eine Mehrheit für die Initiative, insbesondere im ländlichen Bereich. Größere urbane Kantone lehnten die Initiative aber ab; im Kanton Basel-Stadt erzielten die Gegner 60,5 Prozent, im Kanton Zürich waren es 56,5 Prozent.
LGBT-Aktivisten hatten die Volksabstimmung im Vorfeld scharf kritisiert, da sie besonders hinterhältig formuliert worden sei und das eigentliche Anliegen versteckt werde. So warben die Befürworter vordergründig, dass die Initiative steuerrechtliche Benachteiligungen von Eheleuten gegenüber unverheirateten heterosexuellen Paaren ("Kokubinatspaaren") beenden solle. Grund ist, dass vereinzelt Ehepaare mehr Bundessteuer bezahlen müssen als gleich situierte unverheiratete Paare.
Neben den steuerrechtlichen Änderungen enthielt der Antrag aber auch den folgenden Satz, der in die Verfassung aufgenommen werden soll: "Die Ehe ist die auf Dauer angelegte und gesetzlich geregelte Lebensgemeinschaft von Mann und Frau."
Auch Verschärfung der Ausländerpolitik abgelehnt
Der Volksentscheid zum Ehe-Verbot war international kaum in den Schlagzeilen, weil gleichzeitig über die Quasi-Einrichtung einer Zweiklassen-Justiz für Schweizer und Ausländer abgestimmt wurde (Durchsetzungs-Initiative). Ausländer sollten nach einer Verurteilung vor Gericht automatisch aus der Schweiz abgeschoben werden, selbst selbst wenn sie nur kleine Vergehen begangen haben oder in der Schweiz geboren worden sind. Diese Initiative der rechtspopulistischen SVP wurde mit 58,9 Prozent der Stimmen abgelehnt.
Eigentlich hatte es laut Umfragen im Vorfeld Mehrheiten sowohl für die Abstimmung zum Ausländerrecht als auch für das Ehe-Verbot gegeben. Vor zwei Wochen waren noch 53 Prozent für ein "Ja" der CVP-"Heiratsstrafe"-Initiative, im Januar waren es gar 67 Prozent (queer.de berichtete).
Diese Zustimmungsrate für die homophobe Initiative schien zunächst paradox, da sich im vergangenen Jahr laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts GFS Zürich 71 Prozent der Schweizer für die Ehe für alle ausgesprochen haben. Die Popularität der Initiative der CVP rührte aber zunächst daher, dass die Befürworter mehr Steuergerechtigkeit versprechen.
Im SRF-Fernsehen erklärte der Politiologe Claude Longchamp am Nachmittag, dass die CVP-Kampagne zur Abschaffung der "Heiratsstrafe" wohl Erfolg gehabt hätte, wenn das Ehe-Verbot nicht enthalten gewesen wäre: "Ohne die umstrittene Ehe-Definition wäre die Initiative wohl angenommen worden", sagt der Politologe im SRF-Abstimmungsstudio."
Die Befürworter der Initiative, neben der CVP auch die mächtige rechtspopulistische SVP, hatten im Wahlkampf auf ihrer Aussage bestanden, dass die Initiative rein steuerpolitischer Natur sei. Der Satz zum Ehe-Verbot ("Die Ehe ist die auf Dauer angelegte und gesetzlich geregelte Lebensgemeinschaft von Mann und Frau") sei nur ein "Nebenschauplatz", sagte etwa CVP-Parteichef Christophe Darbellay. Er würde sich praktisch nichts für Schwule und Lesben ändern.
Die Schweiz bietet gleichgeschlechtlichen Paaren seit 2007 eingetragene Partnerschaften an. Die Eidgenossenschaft gehört allerdings zu den mitteleuropäischen Ländern, die als am LGBT-feindlichsten gelten. So liegt die Schweiz in der von ILGA Europe erstellten "Rainbow Europe"-Liste, in der anhand von mehreren Kriterien die rechtliche Lage von LGBT ausgewertet wird, auf dem Kontinent nur auf Rang 32 von 49 Ländern – und damit deutlich hinter Deutschland und Österreich (queer.de berichtete). (dk)
aktualisiert um 18.20 Uhr
