Weihbischof Andreas Laun hatte sichtlich Spaß auf der "Demo für alle". Vor ihm wurden Gegendemonstranten von der Polizei weggetragen. (Bild: Norbert Blech)
Bei dem neuesten Protest von Bildungsplangegnern hetzte erstmals ein Bischof die Menge ein – Andreas Laun warnte vor einer Gender-Diktatur.
Von Norbert Blech
In Stuttgart haben sich am Sonntag erneut erzfromme Christen und Aktivisten von konservativ über rechtspopulistisch bis rechtsextrem zur "Demo für alle" versammelt. Zu dem bereits siebten Protest der früher direkt aus dem Haus der AfD-Europabegordneten Beatrix von Storch organisierten und inzwischen offiziell eigenständigen Bewegung kamen rund 4.500 Teilnehmer aus der ganzen Republik, knapp 500 weniger als zur vorherigen Demo im Oktober.
Dafür konnte die "Demo für alle" erstmals geradezu himmlischen Beistand auffahren: Der Salzburger Weihbischof Andreas Laun, seit Jahren ein erbitterter wie lautstarker Gegner von LGBT-Rechten, wählte auch in Stuttgart gewagte Vergleiche: Die "Gender-Ideologie" sei eine "neue, hochgefährliche Lüge" wie einst der Kommunismus und der Nationalsozialismus. "Die nächste Diktatur könnte sich andeuten!", warnte er die Menge.
Er habe den Papst gefragt, was er von dieser Ideologie halte – wenn schon Namedropping, dann richtig! Die "Gender Ideologie" sei "dämonisch", habe der Papst kurz und knapp geantwortet. Von "teuflisch" sprach auch Laun selbst: Kinder sollten "mit den Mitteln der Verführung und Gewalt (…) umerzogen und gehirngewaschen werden", beklagte er. "Es ist Zeit, dass wir uns wehren." Er verwies dabei auf die überkonfessionelle "Salzburger Erklärung" gegen die "Bedrohung der menschlichen Geschöpflichkeit". Zum Schluss sagte er zum grölenden Platz: "Gott segne Sie alle!"
Youtube | Bischof Laun so: Ein Vater ist als Vater, nicht als Zweitmama von Gott geschaffen.
"Sonderinteressen" gegen die "Schöpfung"
Gottbezogen wurde es auch bei einem weiteren Redner: Hartmut Steeb, Generalsekretär der Evangelischen Allianz und als einer der wichtigsten Evangelikalenführer des Landes von Anfang an in die Gegenbewegung gegen den Bildungsplan involviert, sprach ebenfalls zum ersten Mal auf dem Platz gegen die "gottlose Kulturrevolution von oben" an.

Es gehe bei dem Protest um die "Bewahrung der Schöpfung", um das "natürliche Recht", um eine "gesunde Zukunft auch fürs Musterländle". Minderheiten, die keine Fünf-Prozent-Hürde meistern würden, sollten keine Lehrpläne bestimmen, so Steeb. Der Bildungsplan müsse von "Sonderinteressen" entsprechender "Lobbys" "entgiftet" werden: Kinder müssten nicht aus 50 Geschlechtern auswählen.
Wahlkampf mit AfD und CDU im Schatten
Das ist ein Spruch, den man sonst von Birgit Kelle kennt. Die "Gender-Gaga"-Publizistin, die mit solcherlei Polemik durch Talkshows und CDU-Bürgerabende zieht, ging in Stuttgart vergleichsweise wenig auf ihr Hauptthema ein, sondern hielt größtenteils eine Wahlkampfrede zur Abwahl des "grün-roten Spuks" und der "Ideologen in den Ministerien", damit man in der Schule "wieder Lesen und Schreiben und nicht Sexualpraktiken" lernen könne.
Kelle war vom Bahnhof abgeholt worden von Christoph Scharnweber vom Evangelischen Arbeitskreis der CDU, der aber auf der Demo diesmal kein Wort sagte, auch sein Parteikollege Karl-Christian Hausmann hielt sich im Hintergrund. Kein Wort auch von der AfD, auch wenn der für den Landtag kandidierende Stadtrat Dr. Heinrich Fiechtner, der sich erst letzte Woche bei "Spiegel TV" über die "Sünde" Homosexualität ausließ, ebenso im Publikum AfD-Flyer verteilte wie wie die frühere Demo-Rednerin Anette Schultner, Chefin der "Christen in der AfD".
V.l.n.r.: "Marcel", Heinrich Fiechtner, Hartmut Steeb, Andreas Laun, Hedwig von Beverfoerde, Albéric Dumont und Birgit Kelle
Ihre Politik kam freilich in Form von Wahlprüfsteinen vor, die die "Demo für alle" verschickt hatte. Nur CDU, AfD und Bündnis C hätten alle Fragen "richtig" beantwortet, wurde von der Bühne aus zusammengefasst: Keine Ehe für alle, kein Adoptionsrecht für Homo-Paare, keine Leihmutterschaft, keine "Gender-Ideologie" und keine Sexualpädagogik der Vielfalt an Schulen. Und kein Aktionsplan für die Akzeptanz von LGBT & Co., der die "Glaubens-, Religions- und Gewissensfreiheit" aushebele. Eine Schule dürfe keine "Indoktrinierung" betreiben, so das Wahlfazit der "Demo": "Kontroverses muss kontrovers dargestellt werden!"
Beverfoerde beklagt theatralische Gewalt
Zuvor hatte Demoorganisatorin Hedwig von Beverfoerde die gleichen Forderungen aufgestellt – "wertfreie sexuelle Vielfalt" sei "mit keiner Religion vereinbar" – und sich ansonsten als verfolgte Unschuld präsentiert: Niemand wolle mit einem diskutieren, wenn man zum "wissenschaftichen Gender-Kongress" einlade. Stattdessen werde man zunehmend bekämpft, durch Brandanschläge oder auch Theaterstücke. In "Fear" an der Berliner Schaubühne würde auf Pappfiguren mit T-Shirts der "Demo für alle" eingeschlagen, empörte sich von Beverfoerde in Richtung Publikum: "SIE werden dort verprügelt!"

Man lasse sich aber nicht "niederbrennen und einschüchtern", sondern werde weiter Druck machen, "überparteilich, aber nicht parteienblind". Es gelte, bei der Wahl sein Kreuz gegen die "Gender- und Sex-Agenda von Grün-Rot" zu machen, gegen die "Umerziehung der ganzen Gesellschaft und gegen die Auflösung von Ehe und Familie." Der Platz, konnte man dem zustimmenden Jubel entnehmen, dürfte wohl einen Wechsel wollen.
Die übrigen Redner: Albéric Dumont von der französischen Bewegung "Manif pour Tous" warb "zum Schutz des Kindes" für die EU-Petition gegen die Homo-Ehe, von der man die nächsten Monate noch viel hören wird. Und eine nur als Mutter von zehn Kindern vorgestellte "Ingrid Kuhs" warnte naiv-dumm vor der Thematisierung von Sexualpraktiken im Unterricht, "von denen ich nicht wusste, dass sie existieren": Kinder würden damit "geschädigt, belästigt, verwirrt und verdorben". Das übliche halt.
"Bruder" Marcel spricht erneut
Und dann betrat noch "Marcel" die Bühne, jener junge Mann, der sich auf der letzten "Demo für alle" dafür beklatschen ließ, dass er seine Homosexualität nicht auslebt (die damalige Reportage). Nun spreche er erneut für sich und "mehrere Menschen, die mit mir auf dem Weg sind": Die "Demo für alle" diskriminiere niemanden, Kinder bräuchten "zur gesunden Entwicklung eine Mutter und einen Vater."

Man meinte, zwischenzeitlich "Marcels" Bearbeitung durch die Homo-"Heiler" von "Wüstenstrom" in seiner Rede zu spüren, etwa als er meinte, dass "Menschen mit stabilem Bindungsverhalten zu weniger sexuellem Risikoverhalten in der Jugend neigen" oder "dass Menschen, die in ihrer Identität unsicher sind, bereits früh Sexualität nutzen, um ihren mangelnden Selbstwert zu stabilisieren".
Eine Sexualpädagogik der Vielfalt leuge den "gesunden Zusammenhang von Bindung und Sexualität", meinte "Marcel". Kinder bräuchten keine politische Ermutigung zu einer "bindungsfreien, pornografischen Sexualität" – und auch nicht die "Erfindung zahlreicher sexueller Schubladen und geschlechtlicher Identitäten, damit sie darin ihre Identitätskonflikte so lange einsortieren, bis sie sie nicht mehr als Problem empfinden müssen." Homo- und Bisexuelle müssten stattdessen Angebote finden, in denen sie ihre "wahren Identitäten" finden und über Ängste und Grenzen sprechen könnten.
In der Bildung müsse es um treue Partnerschaften, nicht ums Lustprinzip gehen, so Marcel; Mitglieder seiner "Bruderschaft des Weges" suchten nach Beziehungen, in denen sie "geliebt" und "nicht sexuell abgespeist werden". Sie suchen wohl schlicht am falschestmöglichen Ort, aber Marcel gibt der Masse, was sie hören will: "Denkt an eure Kinder und die Zukunft in unserem Land und helft, dass diese Regierung ihre unwissenschaftlichen Experimente zur sexuellen Vielfalt beenden muss."
Busse beschädigt, mehrere Verletzte
Am Rande kam es zu den üblichen kleineren Ausschreitungen zwischen vor allem linken Aktivisten, einigen Rechten (von denen sich die "Demo für alle" inzwischen routiniert nachträglich distanzierte) sowie Polizisten. Laut der Polizei wurde etwa an einem Eingang zum homophoben Protest auf dem Schillerplatz Pfefferspray eingesetzt, als Gegendemonstranten die Absperrung durchbrechen wollten. Spray, Schlagstöcke und die befürchtete eskalierende Reiterstaffel wurde auch gegen mehrere Protestler am Rande und eine Sitzblockade eingesetzt, als die "Demo für alle" kurz eine Runde durch unbelebte Teile der Innenstadt machte.

Insgesamt wurden laut Polizei drei Polizisten, darunter ein Beamter mit mehrfachen Fingerbrüchen, sowie rund fünfzehn Personen verletzt (der Polizeibericht spricht hier vage von "Demonstrationsteilnehmern", die "Stuttgarter Nachrichten" von verletzten Linken durch den Polizeieinsatz). Während des Nachmittags hatten zudem Personen drei – offenbar bereits leere – Busse, in denen Teilnehmer der "Demo für alle" angereist waren, mit Steinen beworfen. Die Einsatzkräfte nahmen zwei Tatverdächtige vorläufig fest.
Gleichzeitig zur Demo für vermeintlich alle hatte es drei friedliche Gegenproteste mit tausenden Besuchern gegeben: Eine Kundgebung überwiegend linker Gruppen direkt am Schlossplatz und eine weitere Kundgebung auf dem versteckteren Kleinen Schlossplatz, die u.a. vom Stuttgarter CSD und ATME e.V. unterstützt wurde und auf der u.a. die Grünenpolitikerin Brigitte Lösch und das Szene-Urgestein und Linken-Ratsmitglied Laura Halding-Hoppenheit sprachen (mehrere Reden bei Youtube).
Kundgebung auf dem Kleinen Schlossplatz, Credit: Enough is Enough
Alfonso Pantisano von "Enough is Enough" kritisierte in seiner Ansprache die "dümmsten, dreisten und blödsinnigsten Lügen", mit denen die "radikal rechtskonservativen und christlich-fundamentalistischen Frauen" von Storch, Beverfoerde, Kelle und Kuby "Hass gegenüber Homosexuellen und Transsexuellen in unserem Land wieder salonfähig gemacht haben". Wer die AfD wähle, als Hetero wie als Homo, werde "in Baden-Württemberg und im Rest Deutschlands russische und homophobe Verhältnisse schaffen" und "die freie und plurale Zukunft aller Kinder unserer Landes" gefährden.
Zusätzlich gab es erstmals ein Fest von Angestellten mehrerer Kulturbetriebe vor der Oper – die "Demo für alle" konnte hier folglich nicht mehr wie in der Vergangenheit ihre Abschlusskundgebung abhalten, sondern musste an den Schillerplatz zurück.

Man werde auch der zukünftigen Regierung über die Schulter schauen, versprach dort von Beverfoerde. Das war nicht das inzwischen ebenfalls routinierte "Wir kommen wieder", eher ein "Schauen wir mal, wie es ausgeht".
Update 29.2., 11.20h: Distanz der lokalen Kirchen
Der "Südkurier" berichtet von einer zusätzlichen Veranstaltung mit dem grünen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann, der im Haus der Architekten eine "Grundsatzrede zum Zusammenhalt der Gesellschaft" hielt. "Unter Kretschmanns Zuhörern setzte auch der katholische Stadtdekan Christian Hermes – wie sein evangelischer Kollege – durch Anwesenheit Zeichen", so die Zeitung. "Dass sein österreichischer Glaubensbruder zweihundert Meter Luftlinie entfernt die 'Dämonen der Genderpolitik' geißelt, erregt bei ihm nur Kopfschütteln: 'Es herrscht Reisefreiheit.' Auch ideologische Weihbischöfe könnten offene Grenzen nutzen."
Aber mit ihrer Arroganz und krankhaften Selbstueberzeugung sperren sie jede Erkenntnis aus. Und doch finden ihre billigen Parolen genug Dumme, die ihnen folgen.
Da weiss man nicht, ob man sich vor kaltem Zorn, vor Entsetzen oder vor Trauer schuetteln soll.