Die AfD ist – neben den Grünen in Baden-Württemberg und Malu Dreyer in Rheinland-Pfalz – der große Gewinner des Abends
Der Wahl-Supersonntag im Überblick: In allen drei Ländern erreichen die Rechtspopulisten zweistellige Werte. Alle drei Regierungschefs wurden im Amt bestätigt, brauchen aber neue Koalitionen.
Bei einem Wahlabend, den die Bundesrepublik so noch nicht erlebt hat, konnte die rechtspopulistische und vielfaltsfeindliche "Alternative für Deutschland" am Sonntag in gleich drei Bundesländern zweistellige Ergebnisse einfahren, in Sachsen-Anhalt sogar fast 25 Prozent – sie wird die zweitstärkste Partei im Landtag. AfD-Sprecherin Frauke Petry bezeichnete ihre Partei im ZDF bereits als "Volkspartei", die eine "bürgerliche Mehrheit" wieder möglich mache.
Die CDU verlor in allen drei Ländern, am meisten erneut in ihrer früheren Hochburg Baden-Württemberg. Im mit besonderer Spannung beobachteten Ländle stürzte auch die SPD ab, bei unter 13 Prozent liegt sie hinter der AfD, die Grünen unter Ministerpräsident Winfried Kretschmann erreichten hingegen ein Traumergebnis von über 30 Prozent. In Rheinland-Pfalz konnte die SPD-Kandidatin Malu Dreyer die Wahl gewinnen. Beide Regierungschefs brauchen aber Koalitionspartner. Bei fast 25 Prozent für die AfD in Sachsen-Anhalt wird es auch dort selbst für die bisherige Große Koalition unter CDU-Führung nicht reichen.
Hier die einzelnen Ergebnisse und Reaktionen, der Artikel wird ständig aktualisiert und ergänzt.
Baden-Württemberg
Befürworter von LGBT-Rechten und des beschlossenen, aber noch nicht umgesetzten Bildungsplans, dürfen zittern: Für Grün-Rot reicht es nicht mehr, obwohl die Grünen stärkste Kraft werden und die CDU leicht verliert. Würde der Tag nicht von den anderen Ergebnissen überschattet, wäre dieses historische Ergebnis der Grünen die Top-Meldung: das erste Mal Spitzenpartei bei einer Landtagswahl, und das im traditionell schwarzen Ländle. Die SPD stürzt dramatisch ab und liegt hinter der AfD. Für Grün-Rot fehlen einige Sitze, eine große Koalition ist ausgeschlossen. Grün-Schwarz und eine von der FDP vorab abgelehnte Ampel hätten eine komfortable, Schwarz-Rot-Gelb eine sehr knappe Mehrheit.
Nach Bekanntwerden der Ergebnisse bekräftigte Ministerpräsident Winfried Kretschmann, sein Amt weiter ausführen und dafür mit allen demokratischen Parteien reden zu wollen. Sein Herausforderer Guido Wolf sagte, seine Partei werde tun, was für das Land nötig sei, betonte zugleich deutlich die Möglichkeit einer schwarz-rot-gelben "Deutschland"-Koalition. SPD-Spitzenkandidat Nils Schmid schien davon in Interviews aber nicht angetan ("klares Mandat für die Grünen"). Die beiden Wahlverlierer sprachen noch nicht von Rücktritten.
Eine Beteiligung der CDU an der Regierung würde dazu führen, dass die Opposition im Bundesrat ihre Mehrheit verliert, mit der sie sich u.a. für die Ehe für alle aussprach. Zugleich zeigt der Wahlabend, das die Nähe von Wolfs CDU zur homophoben "Demo für alle" der Partei nicht geholfen hat.
| 2016
| 2011 | Sitze
| 2011
|
CDU | 27,0 | 39,0 | 42 | 60 |
SPD | 12,7 | 23,1 | 19 | 35 |
Grüne | 30,3 | 24,2 | 47 | 36 |
FDP | 8,3 | 5,3 | 12 | 7 |
Linke | 2,9 | 2,8 | - | - |
AfD | 15,1 | - | 23 | - |
Sonstige | 3,7 | 5,6 | - | - |
Vorl. amtliches Endergebnis Rep 0,3, NPD 0,4, ÖDP 0,7, Partei 0,3, ALFA 1,0, Tierschutz 0,3 Beteiligung: 70,4%, +4,1 |
Die AfD, die in Mannheim und Pforzheim wohl zwei Direktmandate holte, darunter das einzige der SPD, konnte wohl durchaus auch mit Homophobie punkten, sie zog u.a. mit einer Ablehnung von "Homo-Propaganda" an Schulen in den Wahlkampf – eine Idee, die auch die Bundespartei zusammen mit weiteren homo- und transphoben Punkten rund eineinhalb Jahre vor der Bundestagswahl in ihr Grundsatzprogramm aufnehmen will (
queer.de berichtete).
Nach dem vorläufigen amtlichen Endergebnis zieht für die CDU u.a. wieder Sabine Kurtz in den Landtag ein, die dort durch mehrere Anträge im Sinne der "Demo für alle" auffiel. Neu im Plenum vertreten ist der Stuttgarter AfD-Stadtrat Heinrich Fiechtner, ein eifriger Mitläufer bei der DfA. Er hatte vor drei Wochen gegenüber Spiegel TV gesagt, dass Homosexualität eine Sünde sei.
Rheinland-Pfalz
In Mainz lieferte sich Regierungschefin Malu Dreyer (SPD) ein spannendes Kopf-an-Kopf-Rennen mit CDU-Herausforderin Julia Klöckner, das sie deutlicher gewann als in den Umfragen vorausgesehen. Sie will den Regierungsauftrag annehmen, es fehlen aber mehrere Sitze für ihre bisherige Regierung aus Rot-Grün, da die Grünen auf fast ein Drittel ihrer Stimmen schrumpften und fast noch um den Einzug zittern mussten. Auch das gute Abschneiden der AfD belastet das Ergebnis, auch wenn die Partei in Rheinland-Pfalz keinen Wahlkreis direkt holen konnte. Als wahrscheinlich erscheint nun eine große Koalition mit 23 Sitzen Mehrheit, alternativ wäre nur eine Ampel mit einer Stimme Mehrheit möglich – die FDP ist zurück im Landtag.
| 2016
| 2011 | Sitze
| 2011
|
CDU | 31,8 | 35,2 | 35 | 41 |
SPD | 36,2 | 35,7 | 39 | 42 |
Grüne | 5,3 | 15,4 | 6 | 18 |
FDP | 6,2 | 4,2 | 7 | - |
Linke | 2,8 | 3,0 | - | - |
AfD | 12,6 | - | 14 | - |
Sonstige | 5,1 | 6,4 | - | - |
Vorl. amtliches Endergebnis FW 2,3, Piraten 0,8, NPD 0,5, Rep 0,2, ÖDP 0,4, Alfa 0,6 Beteiligung: 70,4%, +8,6 |
Sachsen-Anhalt
Auch der bisherigen Großen Koalition unter Reiner Haseloff (CDU) fehlt nach dem Wahlabend eine Mehrheit, vor allem weil sich die SPD geradezu halbiert hat und die AfD fast ein Viertel der Stimmen auf sich vereinigt (und bei den Erststimmen 15 von 43 Mandaten). Eine Mehrheit hätte nur eine große Koalition zusammen mit den Grünen; die FDP verpasst knapp den Einzug, die Linke verliert stark.
| 2016
| 2011 | Sitze
| 2011
|
CDU | 29,8 | 32,5 | 30 | 41 |
SPD | 10,6 | 21,5 | 11 | 26
|
Grüne | 5,2 | 7,1 | 5 | 9 |
FDP | 4,9 | 3,8 | - | - |
Linke | 16,3 | 23,7 | 16 | 29
|
AfD | 24,2 | - | 25 | - |
Sonstige | 9,0 | 6,8 | - | - |
Vorl. amtliches Endergebnis Alfa 0,9, Tierschutzp. 1,5, Tier-A. 1,0, FW 2,2, NPD 1,9, Partei 0,5 Beteiligung: 61,1%, +9,9 |
Weitere Reaktionen
Während sich Bundeskanzlerin Angela Merkel wie immer bei Landtagswahlen nicht vor der Presse zeigte, sagte ihr Generalsekretär Peter Tauber, die AfD profitiere von einer "besonderen Situation in unserem Land". Dem müsse man überzeugende Politik entgegen stellen.
Die Grünen betonten, dass von der CDU die Kandidaten abgestraft wurden, die Distanz zu Merkel suchten. Das Wahlergebnis sei auch ein Zeichen Richtung Horst Seehofer, meinte Bundesgeschäftsführer Michael Kellner. Die CSU meinte hingegen auf Twitter: "Die konsequente Antwort der heute zur Wahl gestandenen Parteien muss auf Bundesebene sein: Ja, wir haben verstanden!"
SPD-Chef Sigmar Gabriel sprach von einem "Wahlabend mit gemischten Gefühlen" und forderte einen Zusammenhalt der Regierung in der Flüchtlingspolitik. Die SPD werde "den Kampf für das demokratische Zentrum in Deutschland mit voller Entschlossenheit aufnehmen". Matthias Höhn, Bundesgeschäftsführer der Linken, sprach von einem "spürbaren Rücken nach Rechts". Dies sei "kein guter Tag für das Land und für die Demokratie" und müsse "uns allen sehr zu denken geben".
Die Magdeburger SPD-Spitzenkandidatin Katrin Budde zog laut SZ ein bitteres Fazit für die Bundestagswahl: "Es wird da nicht darum gehen, ob die SPD den Bundeskanzler stellt. Sondern darum, wie wir alle die Demokratie retten."
Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, beklagte den "massiven Rechtsruck in unserem Land". Das AfD-Profil sei "nationalistisch, völkisch-rassistisch, antisemitisch und systemumwälzend, kurzum: brandgefährlich".
Die SZ
kommentiert, die AfD sei gefährlicher als die NPD, da "mit ihr der gesellschaftliche und politische Diskurs nach scharf rechts verschoben" werde. Die Politik müsse nun "auf den Zusammenhalt der Gesellschaft" setzen und den "breiten aufgeklärten Konsens" vertreten, den es in Deutschland trotz allem noch in der Mehrheit gebe.
Im Westen ist sie deutlich schwächer, aber immer noch viel zu stark.
Aber es gibt auch gute Nachrichten:
die Grünen konnten in Baden-Württemberg (wo ein großes Thema der Bildungsplan war) nochmal zulegen und sind jetzt deutlich stärkste Kraft. Noch vor der CDU.
Damit hat Baden-Württemberg gezeigt, dass sie in der Mehrheit den Bildungsplan wollen und man nicht auf diese schrille Minderheit der Fanatiker hören sollte.
Nachdem der Bildungsplan in den 5 Jahren der letzten Legislaturperiode nicht umgesetzt wurde, erwarten die Wähler aber auch, dass die Grünen jetzt sehr schnell den Bildungsplan umsetzen und dass Aufklärung über Homo-, Bi- und Transsexualität endlich in allen Schulen verpflichtend wird.
Erstens um betroffene Schüler zu schützen und ihnen zu zeigen, dass sie völlig normal sind. Und zweitens um Hetero-Schüler toleranter zu machen und damit auch ihr Leben zu erleichtern.