In den Maghreb-Staaten droht Homosexuellen Haft. Die Bundesregierung sieht aber "keine systematische Verfolgung" (Bild: flickr / Jeffrey Schultz / by 2.0)
Homosexualität sei zwar in Algerien, Marokko und Tunesien illegal, aber nach Ansicht der Bundesregierung ist das halb so schlimm.
Von Dennis Klein
Die Bundesregierung redet die Verfolgung von Schwulen und Lesben in den Maghreb-Staaten klein: Weder in Algerien, noch in Marokko oder Tunesien gebe es eine "systematische Verfolgung" von Homosexuellen. Das ist die Antwort der Bundesregierung auf eine schriftliche Frage des Grünenabgeordneten Kai Gehring. In allen drei Ländern stehen dem Gesetz nach auf gleichgeschlechtliche Handlungen drei Jahre Haft.
Die betreffenden Staaten sind am Donnerstagnachmittag auch Thema im Bundestag. Dort wird darüber beraten, ob die nordafrikanischen Länder zu "sicheren Herkunftsstaaten" erklärt werden sollen. Damit könnten Flüchtlinge dorthin einfacher abgeschoben werden. Die Bundesregierung fordert diese Neueinstufung, um die Flüchtlingszahlen in Deutschland zu senken.
In der Politik – und auch unter LGBT-Organisationen – ist dieser Schritt umstritten: Während die Schwulen und Lesben in der Union (LSU) kein Problem sehen, gab es scharfe Kritik vom Lesben- und Schwulenverband an den Plänen (queer.de berichtete). Auch mehrere Landesverbände der Schwusos lehnen die Einstufung der drei Länder als "sicher" ab (queer.de berichtete).
Homosexualität "faktisch geduldet"
Der Antwort der Anfrage zufolge hat das Bundeskabinett am 6. April über das Thema beraten – und den drei Ländern eine fast weiße Weste attestiert. Zu Tunesien heißt es etwa: "Homosexuelle Handlungen sind in Tunesien grundsätzlich strafbar. Eine systematische Verfolgung homosexueller Personen findet nicht statt. Das Thema wird allerdings immer noch gesellschaftlich tabuisiert."
In Marokko, so die Bundesregierung, würde das Homo-Verbot "weniger gegen Einzelpersonen als vielmehr zur Verhinderung der Gründung von Organisationen homosexueller Personen herangezogen". Homosexualität werde aber "in den meisten Fällen […] faktisch geduldet".
Besonders dreist ist die Antwort zu Algerien. Hier erklärte die Bundesregierung: "Eine systematische Verfolgung homosexueller Personen (verdeckte Ermittlungen etc.) findet nicht statt. Homosexualität wird für die Behörden dann strafrechtlich relevant, wenn sie offen ausgelebt wird." Auf gut Deutsch: Wenn man seine Homosexualität versteckt, wird man nicht verhaftet – das ist aber in allen Verbotsstaaten so, auch in Saudi-Arabien oder dem Iran.
"Besorgniserregende Ignoranz"
"Aus der Antwort der Bundesregierung spricht eine besorgniserregende Ignoranz", erklärte Fragesteller Kai Gehring am Donnerstag. "Einerseits könne sie keine systematische Verfolgung feststellen, andererseits erwähnt sie selbst 'Verurteilungen junger Tunesier wegen homosexueller Handlungen' zu mehrjährigen Haftstrafen." Eine strafrechtliche Verfolgung und Diskriminierung Homosexueller sei keine Bagatelle, "sondern ein trauriger Verstoß gegen Menschenrechte, persönliche Selbstbestimmung und Freiheit".
Gehring wendet sich wegen der "dramatischen Lage vor Ort" gegen die Einstufung von Algerien, Marokko und Tunesien als sichere Herkunftsstaaten. "Gerade in Zeiten von Fluchtbewegungen, deren Hauptursache in der Verletzung von Menschenrechten liegen, muss die Bundesregierung deutlich machen, dass Menschenrechtsverletzungen nicht akzeptabel sind", forderte der Bundestagsabgeordnete aus Nordrhein-Westfalen.
Tatsächlich gibt es immer wieder Berichte über Festnahmen und sogar Verurteilungen aus Maghreb-Staaten. So erhielten zwei Männer in Marokko unlägst eine 18-monatige Haftstrafe (queer.de berichtete). Zwar wird Homosexualität in Touristengebieten weitgehend toleriert, allerdings nicht immer: 2014 wurde etwa ein Brite wegen Homosexualität zu vier Monaten Haft verurteilt. Erst nach heftigen Protesten wurde er wenige Wochen später freigelassen (queer.de berichtete).
Vergangenen Monat ist außerdem ein Video in sozialen Netzwerken aufgetaucht, in dem offenbar ein schwules Paar von Homo-Hassern in ihrer Wohnung attackiert und mit Messern und Schlägen verletzt wird. Die Polizei verhaftete daraufhin die Angegriffenen; ein Gericht verurteilte einen Mann zu vier Monaten Haft, der andere erhielt eine Bewährungsstrafe. Nach einem Einspruch wurde der verurteilte Mann aber am Montag nach rund vier Wochen wieder freigelassen.
Dieser Screenshots stammen aus dem Video, in dem ein Mob die beiden mutmaßlich schwulen Männer quält
Auch Amnesty International ist entsetzt über die Pläne: "Die Bundesregierung ignoriert Berichte über Folter in Marokko und auch die Tatsache, dass homosexuelle Menschen in den Maghreb-Staaten strafrechtlich verfolgt werden", erklärte Wiebke Judith, die Asylreferentin der Menschenrechtsorganisation, gegenüber der "Frankfurter Rundschau".
Grüne sind Zünglein an der Waage
Eine wichtige Rolle werden bei dieser Frage die Grünen spielen. Die Bundestagsfraktion wird die Neu-Einstufung der drei Länder zwar voraussichtlich ablehnen, das hat allerdings wegen der überwältigenden Mehrheit der Großen Koalition eher symbolischen Charakter. Wichtig wird sein, wie die an Landesregierungen beteiligten Grünen im Bundesrat abstimmen werden.
In der Vergangenheit haben die Landes-Grünen der Bundesregierung bei der Frage der sicheren Herkunftsstaaten zwei Mal in der Länderkammer eine Mehrheit verschafft: So stimmte etwa Grün-Rot in Baden-Württemberg 2014 zu, als Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina zu sicheren Herkunftsländern erklärt wurden. 2015 halfen die Kretschmann-Regierung und fünf weitere Landesregierungen mit grüner Beteiligung, Montenegro, Albanien und den Kosovo ebenfalls diesen Status zu gewähren.
Allerdings zögert Ministerpräsident Winfried Kretschmann nach einem Bericht der "Stuttgarter Zeitung" vom Donnerstag mit einer Neueinstufung der Maghreb-Staaten. Dem Landesvater bereite die Verfolgung von Homosexuellen Bauchschmerzen. "Da haben wir noch Klärungsbedarf", wird ein Sprecher des Ministerpräsidenten zitiert.
Bereits jetzt betrachtet Deutschland Ghana und den Senegal als "sicher", obwohl in den beiden Ländern homosexuelle Handlungen mit Haftstrafen geahndet werden können. Die EU-Kommission hat deshalb vergangenes Jahr ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet (queer.de berichtete).
Das ist skandalös!
Wenn die SPD ihre eigenen Wahlversprechen und auch den Willen von zwei Dritteln des Volkes ignoriert und uns weiterhin rechtlich als Menschen 2. Klasse hinstellt, ist das schon schlimm genug.
Aber hier geht es um die Gesundheit, körperliche Unversehrtheit und das Leben von Menschen!
Pfui SPD!
Ihr solltet Euch was schämen! Aber dafür bräuchtet ihr Anstand...
Ich kann nur hoffen, dass die SPD die Quittung dafür bekommt!