Eintritt verboten: Homosexuellen wird oft empfohlen, ihre sexuelle Orientierung in Verfolgerstaaten einfach zu verstecken (Bild: flickr / bertk212 / by 2.0)
Laut einem Bescheid sei ein Syrer in seiner Heimat nicht verfolgt worden, weil "kaum jemand" von seiner sexuellen Orientierung wusste. Nach einem Aufschrei hat das Bundesamt den Bescheid aufgehoben.
In sozialen Netzwerken sorgt seit Donnerstag ein Asylbescheid für Empörung: Einem schwulen Flüchtling aus Syrien, der den Antrag im saarländischen Lebach gestellt hatte, wurde eine Anerkennung als Flüchtling unter anderem deshalb verweigert, weil er seine Homosexualität versteckt habe und deshalb nicht verfolgt werden würde.
Wörtlich heißt es: "Der Antragsteller hat sich auf seine Homosexualität berufen. Er hat seine Sexualität aber nicht ausgelebt und kaum jemand wusste von seiner sexuellen Ausrichtung. Vielmehr hat der Antragsteller seine Homosexualität verborgen." Deshalb gebe es keine "konkrete Verfolgungshandlung".
Ferner bezieht sich der Bescheid ausgerechnet auf eine Interviewäußerung von Diktator Baschar al-Assad, wonach dieser nicht alle Bürgerkriegsflüchtlinge als Landesverräter ansehe. Es sei daher nicht "generell davon auszugehen", dass der Asylsuchende als Regimegegner eingestuft werde.

Behörden: Sexuelle Orientierung ist doch Verfolgungsgrund
Den Behörden ist dieser Bescheid nach Kritik in sozialen Netzwerken und ersten Medien inzwischen offenbar peinlich: Gegenüber dem "Tagesspiegel" sagte ein Sprecher des Bundesinnenministeriums, dass man sich die Einschätzung des Bescheids "nicht zu eigen" mache.
Das Bundesamt für Flüchtlinge kündigte an, den Bescheid zurückzunehmen und das Verfahren neu zu prüfen. "Wir arbeiten derzeit mit Hochdruck an dem Vorfall, da er unseren Qualitätsstandards definitiv nicht entspricht", so Sprecherin Andrea Brinkmann gegenüber dem "Tagesspiegel". "Wie so etwas passieren konnte, ermitteln wir genau und werden daraus Konsequenzen ziehen." Eine bestimmte sexuelle Orientierung könne durchaus einen Verfolgungsgrund darstellen.
Nach queer.de-Informationen wurde bereits am Freitag ein neuer Bescheid verschickt, mit dem der Mann als Flüchtling anerkannt wird. Mit dem ursprünglichen Bescheid hätte der Mann nur vorübergehend in Deutschland bleiben dürfen.
In Syrien stehen auf gleichgeschlechtliche Handlungen offiziell Haftstrafen von bis zu drei Jahren. In vom "Islamischen Staat" kontrollierten Regionen müssen Homosexuelle derzeit mit der Hinrichtung rechnen (queer.de berichtete).
Europäischer Gerichtshof: Homosexuelle haben Recht auf Schutz vor Verfolgerstaaten
Im Jahr 2013 hatte der Europäische Gerichtshof entschieden, dass Homosexuelle in der Europäischen Union Asyl erhalten müssen, wenn ihnen in ihrem Heimatland aufgrund ihrer sexuellen Orientierung Haftstrafen drohen (queer.de berichtete). Die Richter hatten auch klargestellt, dass die sexuelle Orientierung ein so wesentlicher Bestandteil der eigenen Identität ist, dass man Homosexuellen nicht zumuten könne, diese geheim zu halten, um eine Verfolgung in ihrem Heimatland zu vermeiden. Zugleich müsse aber eine tatsächliche Verfolgung belegt sein und nicht nur auf dem Papier bestehen; auch haben die Behörden das Recht, Angaben über die sexuelle Orientierung der Asylbewerber zu überprüfen.
In der Praxis nehmen sich die Behörden aber eine Menge Spielraum. Die Bundesregierung hat etwa bereits Ghana und den Senegal zu sicheren Herkunftsstaaten erklärt, aus denen Asylanträge ohne eingehende Prüfung als "offensichtlich unbegründet" abgelehnt werden können. In diesen Ländern drohen Homosexuellen wegen ihrer sexuellen Orientierung Haftstrafen von bis zu fünf Jahren.
Derzeit will die Große Koalition auch Algerien, Marokko und Tunesien dieses Sicherheitszertifikat verleihen, obwohl alle drei Länder Schwulen und Lesben ebenfalls mit Gefängnis drohen – und diese Gesetze auch immer wieder anwenden. Laut Bundesregierung werde aber beispielsweise in Marokko Homosexualität "in den meisten Fällen […] faktisch geduldet". Bei Algerien erklärte die Bundesregierung, dass Homosexualität nur verfolgt werde, "wenn sie offen ausgelebt wird" (queer.de berichtete). (dk)
cdn4.spiegel.de/images/image-896753-galleryV9-lqqr-896753.jp
g