Man müsse Rechtspopulisten stellen, meinte die vertretene Politikerschar – ignorierte aber größtenteils die Äußerungen von Torsten Rüdiger Ilg (mit Mikro, ehemals AfD, nun Freie Wähler). V.l.n.r.: Serap Güler (CDU), Ingrid Hack (SPD), Ulrich Breite (FDP), Josefine Paul (Grüne), Güldane Tokyürek (Die Linke) und Ina Wolf (u.a. Rainbow Refugees Cologne).
Beim Kölner "talkingPOTT" über Rechtspopulismus ging es kaum um Homophobie bei AfD und Co. sowie um Populisten in den eigenen Reihen.
Von Norbert Blech
Man könnte mit diesem Abend einen Lexikon-Eintrag zu "verpasste Gelegenheiten" bebildern: Am letzten Dienstag lud die Kölner Szene-Kneipe "Ruhrpott" zum Talk "Rutschen wir nach rechts?", fasste das "wir" aber allgemein als Deutschland insgesamt auf und ignorierte in der über drei Stunden langen Veranstaltung größtenteils die auch homo- und transphobe Zielrichtung neuer rechter Bewegungen.
Politiker aller Parteien waren geladen (auch der AfD, die aber kein Interesse hatte), und diese spulten pflichtbewusst Parolen, Thesen und Argumente ab, wie man sie seit Jahren tagein, tagaus in Talkshows hört: Der Rechtspopulismus sei eine "Herausforderung für die Demokratie", der man sich stellen müsse, hieß es. Er bringe Abwertungen und eine Vorstellung von Ungleichheit in die Mitte hinein, beklagte die Landtagsabgeordnete Josefine Paul (Grüne).
Ratsmitglied Güldane Tokyürek (Die Linke) betonte, wie sehr AfD und Co. bereits mit einer "vergifteten Atmosphäre" Wirkung zeigten. Auch Serap Güler (CDU) warnte vor Rechtspopulismus – und ihre Partei eindrücklich davor, die AfD rechts zu überholen. Sie betonte zugleich, dass das Phänomen der Menschenfeindlichkeit nicht neu sei: Sprüche wie "Das wird man doch noch mal sagen dürfen" höre sie praktisch seit ihrer Geburt.
Endlosdebatte zu Endlosdebatte
Ratsmitglied Ulrich Breite (FDP) gab anderen Parteien eine Mitschuld am Erstarken des Rechtspopulismus: Es dürfe nicht sein, dass man bestimmte Themen nicht anspreche. Als Zuhörer fragte man sich da, wann eigentlich das letzte Mal wirklich ein Thema nicht angesprochen wurde, oder ob nicht gerade die angeblich ignorierten Themen zuviel Raum bekommen.
So ging es auch bei diesem "talkingPOTT" erneut und lange um die Kölner Silvesternacht, auch um Urteile zu Rasern. Und natürlich um "den" Islam. Tokyürek beklagte eine angebliche Islamkritik, die keine Ahnung vom Koran habe und letztlich schlicht Ausgrenzung zum Ziel habe. Hier war man sich größtenteils einig. Ohnehin waren die Antworten der Politiker differenziert und angemessen, kämpferisch wie ein wenig hilflos. Das Grundproblem scheint ja auch: Es ist eigentlich alles gesagt, alles ausdiskutiert. Rassismus und Fremdenfeindlichkeit sind inakzeptabel, mehr als Argumente, Menschlichkeit und Vernunft kann man nicht bieten.

Eine Stimme der bewusst eingesetzten Unvernunft war allerdings auch geladen: Der Rodenkirchener Bezirksvertreter Torsten Rüdiger Ilg, der von der AfD zu den Freien Wählern gewechselt ist. Ilg stellte dem Prinzip der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit quasi ein neues Konstrukt entgegen: Es gebe "gruppenspezifische Auffälligkeiten", über die man diskutieren müsse, etwa bei schwulenfeindlichen Übergriffen. Man hätte ihm an vielen Stellen etwas entgegnen und Aufklärung betreiben können, aber die restlichen Anwesenden hatten wenig Lust auf eine Debatte. Lediglich aus dem Publikum, das erst viel zu spät in die Diskussion eingebunden wurde, kam einmal die Feststellung, dass Ilg eigentlich "immer nur über Ausländer" rede.
"Wir schaffen das" war einmal
Ilg hatte kürzlich ohne Absprache mit entsprechenden Initiativen der Community in einem Antrag Schutzräume für queere Flüchtlinge gefordert und die Pressemitteilung dazu genutzt, vor allem über Flüchtlinge allgemein herzuziehen (queer.de berichtete). Thematisiert wurde das beim "talkingPOTT" auch nicht.
Zwar war auch Ina Wolf, Mitbegründerin der LGBT-Aktionen "Weg mit dem Brett", "Pride Salon" und "Rainbow Refugees Cologne", eingeladen, ging aber zwischen all den ausufernden Diskussionen der Politiker untereinander fast unter. Dabei bot sie wichtige Kritikpunkte: Dass die Mahgreb-Staaten nun als "sichere Herkunftsländer" zählen, sei auch dem "Druck von Rechts" geschuldet. Sie beklagte, dass vordergründig "Wir schaffen das" gesagt, aber längst wieder zurückgerudert werde. Und bei LGBT-Rechten sei auch die CDU ein Problem.
Das Panel mit Moderator Hugo Winkels
Der Gedanke wurde von der Moderation leider nicht aufgegriffen, Güler musste dazu nicht Stellung nehmen. Dabei ist der Gedanke wichtig: Wie will man den homophoben Teil des Rechtspopulismus bekämpfen, wenn sich Teile von CDU und CSU oft kaum einen Deut besser äußern? Solange die Union eine Ehe-Öffnung ablehnt oder die Bewegung gegen den Bildungsplan unterstützt, werden Massenmedien darin eine politische Tagesfrage sehen und nicht eine der Ausgrenzung.
Szene-Talk ohne Szene-Bezug
Völlig unverständlich ist auch, dass Homophobie generell höchstens mal in Nebensätzen thematisiert wurde, Paul beklagte etwa einen religiösen Fundamentalismus auch im Christentum, der sich beim "Marsch für das Leben" zeige. Kein Wort vom Podium zur "Demo für alle", nichts zum von immer mehr Seiten immer lauter vorgetragenen Kampf gegen eine vermeintliche "Gender-Ideologie", der Frauen-Emanzipation ebenso angreift wie LGBT-Rechte und queere Wissenschaft und Kultur.
Kein Wort und keine Idee in Folge dann auch zu Schwulen, die für die Rhetorik der Rechtspopulisten – die fremdenfeindliche und selbst die homophobe – empfänglich sind, die sich als weiße homosexuelle Männer von der Vielfalt der Community abgrenzen. Kein Wort zu denen, die diese Rhetorik selbst verbreiten, selbst Teil der Rechtspopulisten sind. Die "Homosexuellen in der AfD", David Berger und Co. wurden nicht erwähnt.
Letztlich wurde die Gelegenheit verpasst, hier einen Teilaspekt des Phänomens Rechtspopulismus auszudiskutieren und in einem zweiten Schritt nach konkreten Lösungen zu suchen. Die fielen dann in der Kölner Runde sehr allgemein aus: Es sei nun die "Stunde der Sozialpolitik" gekommen, Armut müsse bekämpft werden, Geld in Bildung-, in Flüchtlingsprojekte und vieles mehr gesteckt werden.
Alles richtig, aber als Antwort auf die Rechtspopulisten wird das kaum reichen.
Veranstaltungstipp: Mit LGBT in rechten Parteien und Bewegungen befasst sich am Sonntag, den 5. Juni um 18:30 Uhr noch das Queer Kitchen im Schwulen Museum* in Berlin.
Infos zur VeranstaltungsreiheDer
"talkingPOTT" ist ein monatlicher Szene-, Gesellschafts- und Polittalk in der Kölner Szenebar
"Ruhrpott" im sogenannten Bermudadreieck (Balduinstr. 20, Ecke Schaafenstraße). Die von Hugo Winkels moderierte und von queer.de präsentierte Veranstaltung findet in der Regel an jedem vierten Donnerstag im Monat um 20 Uhr statt. Beim nächsten "talkingPOTT" geht es am Sonntag, den 26. Juni, am Rande des Schaafenstraßenfests um das Thema Fußball, eine Woche später gibt es eine Spezialausgabe auf einer CSD-Bühne zum Thema queeres Kino.
Ach was, das ist nicht neu, aber wenn Grüne, wie auf dem letzten Parteitag, nur übers Essen reden anstatt über Sozialpolitik, Armutsbekämpfung und eine angemessene Besteuerung der vermögenden und oberen Einkommenschichten, dann wird das nichts. Genauso die SPD, wenn Agenda 2010 nicht beseitigt wird, sondern nur verschlimmbessert wird, dann wird das nichts. Die Linke muss stärker werden, damit SPD und Grüne endlich begreifen, wie wichtig es ist die vermögenden und oberen Einkommensschichten erneut in die Solidargemeinschaft mit einzubinden! Die asoziale und unsolidarische Politik muss endlich enden, wo die unteren und mittleren Einkommensschichten belastet und die oberen und vermögenden Einkommensschichten entlastet wurden!