Im März 2017 endet die Amtszeit von Bundespräsident Joachim Gauck. Er wird nicht für die – sichere – Wiederwahl antreten, erklärte der 76-Jährige am Montag in Berlin (Bild: Dirk Vorderstraße, by 2.0)
Für queere Menschen in Deutschland ist Joachim Gaucks Verzicht auf eine zweite Amtszeit ein Verlust.
Von Micha Schulze
Der Bundespräsident ist formal das Staatsoberhaupt der Bundesrepublik Deutschland, seine Macht liegt jedoch vor allem in seinen Worten und in symbolischen Gesten, mit denen er in Gesellschaft und Tagespolitik etwas bewegen kann. Seit 1949 haben sich nur wenige der bislang elf Amtsträger für die Rechte von LGBT eingesetzt.
Richard von Weizsäcker haben wir ein Umdenken in der Erinnerungspolitik zu verdanken. Bei seiner großen Rede 1985 zum 40. Jahrestag der Befreiung gedachte der CDU-Politiker als erster Bundespräsident auch der homosexuellen Opfer des Nationalsozialismus – und legte damit den Grundstein für die spätere Rehabilitierung. Und aus der Amtszeit von Horst Köhler bleibt zumindest sein Einsatz für Regenbogenfamilien: Mit seiner Aussage "Familie ist, wo Kinder sind" erntete er im Januar 2006 noch heftige Kritik aus der CSU.
Kein anderer Bundespräsident hat sich jedoch so häufig zu LGBT-Rechten zu Wort gemeldet wie Joachim Gauck. Bei einer Rede im Februar 2013 vor dem Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen betonte er, dass Menschenrechte von Frauen und Homosexuellen universell und unteilbar seien, auch wenn sie in Teilen der Welt umstritten sind. Und kurz darauf mahnte er erstmals die Gleichstellung eingetragener Lebenspartner in Deutschland an.
Gauck findet immer deutlichere Worte
Je länger Gauck im Amt ist, um so deutlicher werden seine Worte zur Innenpolitik, wenn auch immer noch recht klausuliert. Beim evangelischen Kirchentag 2015 in Stuttgart beantwortete er eine Frage zur Ehe-Öffnung mit dem vielsagenden Hinweis, dass sein Glaube und sein "unbedingtes Ja zur Aufklärung" zueinander passten. Im vergangenen Sommer sprach sich der Bundespräsident in einem Interview mit der "Irish Times" für eine "stärkere Debatte" über die Ehe für alle aus. Eine Gleichstellung homosexueller Paare nähme anderen nichts weg.
Auch seine Rede zum 25. Jahrestag der Wiedervereinigung im Oktober 2015 nutzte Gauck, um die Bundesrepublik als Land der Menschenrechte zu definieren: "Hier werden Errungenschaften wie die Gleichberechtigung der Frau oder homosexueller Menschen nicht in Frage gestellt."
In einem Grußwort zum 25. Jubiläum des Lesben- und Schwulenverbands (LSVD) hob der Bundespräsident im April 2015 hervor, dass die Entwicklung zu mehr Toleranz und Akzeptanz in Deutschland "kein Selbstläufer" gewesen sei: "Sie wurde von Menschen getragen, die gerade in der Vergangenheit viel riskierten – ihren familiären Rückhalt, ihren Arbeitsplatz, ihre bürgerliche Existenz. Diesen mutigen Frauen und Männern ist es zu verdanken, dass der kulturelle Wandel überhaupt in Bewegung kam, dass Tabus gebrochen und politische Forderungen erhoben wurden. Ihnen, den Vorkämpfern der sexuellen Gleichberechtigung, gilt heute mein Dank." Gauck rief den LSVD dazu auf, sein Engagement fortzusetzen, da es weiterhin notwendig sei.
Natürlich könnte ein deutsches Staatsoberhaupt noch mehr für LGBT tun, etwa bei einer Rede auf dem Berliner CSD die Rehabilitierung des Nachkriegsopfer des Paragrafen 175 anmahnen oder am IDAHOT die Diskriminierung von Transgender-Menschen thematisieren. Dennoch hinterlässt Joachim Gauck große Fußstapfen, wenn er im kommenden Jahr aus dem Amt scheidet – vor allem im direkten Vergleich zur Bundeskanzlerin, die sich für LGBT-Rechte überhaupt nicht interessiert. Gaucks Nachfolgerin bzw. Nachfolger muss sich an diesen Verdiensten messen lassen.
Was man von ihm erwarten kann, haben wir hier ja schon oft gelesen.