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Denkwürdiges Coming-out in Berlin
Vor 15 Jahren schrieb Klaus Wowereit Geschichte

Klaus Wowereit war vom 16. Juni 2001 bis zum 11. Dezember 2014 Regierender Bürgermeister von Berlin. Mit dem Satz "Ich bin schwul – und das ist auch gut so" wurde er vor 15 Jahren mit einem Schlag bundesweit bekannt (Bild: SPD Berlin)
- 10. Juni 2016, 09:52h 4 Min.
"Ich bin schwul – und das ist auch gut so": Kurz vor seiner Wahl zum Regierenden Bürgermeister outete sich Klaus Wowereit am 10. Juni 2001 – queer.de war daran nicht ganz unbeteiligt.
Von Norbert Blech
10. Juni 2001, das Maritim-Hotel an der Friedrichstraße in Berlin, 16.35 Uhr. Der frisch gekürte Spitzenkandidat der SPD für das Amt des Regierenden Bürgermeisters, Klaus Wowereit, sagt einen Satz, den kein schwuler Mann, auch keine Lesbe je vergessen wird: "Ich bin schwul… und das ist auch gut so."
Im Saal teilweise Verunsicherung, aber größtenteils tobender Applaus der Zuhörer, die "Zeugen eines historischen Tabubruchs" (Welt) werden. Die Szene hält den Atem an: Würde ein offen schwuler Mann erstmals in ein Spitzenamt gewählt? Nach den Schockwellen des Bankenskandals scheint plötzlich etwas vorstellbar, das wenige Tage zuvor noch weit enfernt zu liegen schien.
Wenige Tage zuvor ist das Schwulsein Wowereits nur den wenigsten bekannt. Doch es gibt Gerüchte. "Für den Fall, dass ich tatsächlich Regierender Bürgermeister werden sollte, musste ich mir (…) genau überlegen, wie ich mit meiner Homosexualität umgehen wollte", schreibt Wowereit in seiner Autobiographie "…und das ist auch gut so". "Ein krampfhaftes Verheimlichen war nicht praktikabel. Guido Westerwelle hat ebendies eine Weile lang versucht. Man verkrampft zwangsläufig und gerät in seltsame Situationen. Das öffentliche Rumoren ist belastend."
Bericht auf queer.de

queer.de meldet am 8. Juni 2001 eine Sensation
So beschließt er, "das Thema offensiv [zu] behandeln". Drei Tage vor dem Medien-Coming-out spricht er bei einer gemeinsamen Sitzung von SPD-Landesvorstand und -Fraktion im Abgeordnetenhaus seine Homosexualität an. "Wer es noch nicht weiß, der sollte es wissen", sagt er, zumal die Gefahr einer Instrumentalisierung im Wahlkampf bestehe. Die damalige Berlin-Redakteurin der Zeitung "Queer", Sabine Röhrbein, hört von dem Coming-out aus erster Hand und berichtet davon am Folgetag auf queer.de.
Unter der Überschrift "Berlin demnächst schwul regiert?" (der Name Klaus Wowereit ist bundesweit noch unbekannt) schreibt Röhrbein: "Wowereit hat am Donnerstag Abend seine Homosexualität thematisiert und erklärt, dies im bevorstehenden Wahlkampf nicht verschweigen zu wollen (…) Noch etwas zu seiner Person wolle er sagen, meinte Wowereit, nachdem er auf die aktuelle Finanzkrise der Stadt eingegangen war und mögliche politische Perspektiven aufgezeigt hatte. 'Ich bin schwul', gab er offen zu und betonte, dass er deshalb nicht ausschließlich Homo-Politik betreibe, sondern einfach 'nur' ein 'schwuler Politiker' sei."
"Queer" schickt die Nachricht als Pressemitteilung auch an andere Redaktionen und Nachrichtenagenturen, das damals große Homo-Portal Eurogay übernimmt die Geschichte. Und die Hetero-Presse? Bis auf einen Nebensatz in der "Frankfurter Rundschau" am nächsten Tag findet man nichts. Später gibt es gar Gerüchte, "Bild" hätte Wowereit zum Coming-out gedrängt und ansonsten mit einem Outing gedroht. Viele Journalisten tun sich schwer mit der Geschichte, Homosexualität gilt für sie per se als Privatsache, wenn nicht gar anrüchig. Für die meisten Menschen kommt so Wowereits öffentliches Coming-out überraschend, es gibt noch kein Twitter oder Facebook, wo sich die Queer.de-Nachricht schneller verbreitet hätte.
Wowereit selbst bleibt der Bericht nicht verborgen. "Keine 24 Stunden nach meinem Auftritt vor dem Landesvorstand gab das Schwulenmagazin 'Queer' eine Pressemeldung heraus. Die Szene war begeistert", schreibt er in seiner Autobiographie. "Mir war jedenfalls klar, dass es kein Zurück mehr gab – und ich auf dem Parteitag etwas dazu sagen würde. Ich wollte einfach unangreifbar sein. So kam es kurz vor Ende meiner Rede zu jenem Satz, der zum bekanntesten meines Lebens werden sollte".
Zwischen Planung und Glück
Zuvor hat er noch Zweifel gehabt. Und die Äußerung ist alle andere als
spontan, sondern von Kommunikationsberatern durchgeplant. Journalisten, die vor der Rede Fragen zu Wowereits Sexualität stellen wollen, werden auf die Rede verwiesen. Kameramänner werden gebeten, bis zum Ende zu bleiben. So schafft es der legendäre, gut geplante und alles andere als spontane Satz in die "Tagesschau", Wowereit noch am selben Abend zu "Anne Will". Und das ist erst der Anfang eines Sturms, den Wowereit elegant meistert. Er redet über sein Schwulsein, ohne ins Private zu rutschen. "Keine Werbekampagne hätte es vermocht, mich so schnell bekannt zu machen", schreibt Wowereit später.
Dabei sind die Attacken heftig. Kardinal Meisner gibt öffentlich bekannt, ihn nicht segnen zu wollen. Sein CDU-Gegenkandidat hatte schon vorher vom "deformierten Charakter" Wowereits gesprochen. Doch die Attacken stärken ihn. Später wird er selbstbewusst auch schwule Politik machen, was ihn von anderen schwulen Politikern, deren Coming-out später weniger selbstbewusst verläuft, unterscheidet.
So verlief das Coming-out Wowereits glücklich und vorbildlich. Es hätte auch anders kommen können. Es gibt ein "taz"-Interview aus dem Jahr 2000, in dem Wowereit zu der herumeiernden Frage "Wäre es für die SPD vorstellbar, einen schwulen Spitzenkandidaten aufzustellen?" ziemlich herumeiert. Es war die Schwusos-Vorsitzende Kirstin Fussan, die Wowereits Coming-out hinter verschlossenen Türen an ihre Freundin Sabine Röhrbein weitergegeben hat, die daraufhin den queer.de-Bericht schrieb.
Was wäre passiert, hätte sie das nicht gemacht? Sie hat sich später bei Wowereit entschuldigt. Der hat sie gedrückt und ihr verziehen.
Diesen Bericht haben wir erstmals zum zehnten Jahrestag des Coming-outs veröffentlicht und nun noch einmal "nach vorne" geholt.
Links zum Thema:
» Lesetipp: Klaus Wowereits Biografie "... und das ist auch gut so: Mein Leben für die Politik"
» Der queer.de-Bericht vom 8. Juni 2001 bei archive.org
» Video: Klaus Wowereit am 10. Juni 2001 auf dem SPD-Landesparteitag
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Z.B. bei Jörg Haider ( ich will den nicht mit Wowi vergleichen, keine Sorge) wusste es jeder Pressefutzi aber keiner hätte damals den Mumm gehabt darüber zu schreiben.
Wowereits Spruch war gut und wichtig weil er einer der ersten offen schwulen Politiker war und sich umso mehr für Schwule stark gemacht hat die es nach ihm etwas einfacher hatten sich zu outen.
Allerdings halte ich den Umgang der Presse weiterhin für sehr bedenklich was das Thema Homosexualität angeht. Die heterosexuelle Norm spiegelt sich in den alten und neuen Medien in immer extremerer Form wieder.
Selbst auf dieser Homepage von Queer gibt es Kleinigkeiten bei denen der Unterschied zwischen homosexueller und heterosexueller Realität im Journalismus auffällt. Als Beispiel das Topmodelfinale von Klum. Man stelle sich den umgekehrten Fall vor, eine Homepage die überwiegend von männlichen Heten refrequentiert wird macht ständig Werbung für eine Modelshow mit ausnahmslos Jungs als Kandidaten. Wie realistisch wäre es das die Homepage dafür Werbung machen würde?
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Diese Heteronormativität in Reinkultur innerhalb der schwulen Szene wird von den meisten nicht mal erkannt weil wir nur sehen das Schwulsein offener gelebt werden kann als früher, dafür sind "wir" so dankbar das uns andere mediengemachte Ungleichheiten gegenüber Heteros nichtmal mehr auffallen.