Barbara Poma will nicht aufgeben
Tag 3 der Tragödie: Die Besitzerin des angegriffenen LGBT-Clubs will einen neuen "sicheren Hafen" schaffen. Während die Politik streitet, kämpfen noch sechs Menschen um ihr Leben.
Von Norbert Blech
Die Besitzerin des "Pulse" in Orlando, Barbara Poma, hat in einem Interview mit dem Sender NBC betont, dass der am Sonntag angegriffene LGBT-Club in irgendeiner Form wieder öffnen werde. Der Laden sei ein sicherer Hafen für die Community und eine Bestimmung, eine Mission gewesen.
Poma hatte den Club vor 13 Jahren in Gedenken an ihren 1991 an Aids verstorbenen Bruder aufgebaut; der Name solle sein Herzklopfen am Leben erhalten. Zu den Opfern des Anschlags meinte sie: "Wir müssen einen Weg finden, ihr Herz am Klopfen zu erhalten und unseren Geist am Leben. Wir lassen uns das von niemandem nehmen." Man werde zu dem Club zurückkehren, die Mission aufrechterhalten – und hoffentlich in Jahren über die wunderbaren Dinge reden können, die dort passierten.
Das Pulse sei ein "sicherer, freudenvoller Ort" gewesen, um so zu sein, wie man ist – und mehr als nur ein Arbeitsplatz: "Wir arbeiteten zusammen, in Richtung eines gewissen Ziels, einer Mission", so Poma. Eine Mitarbeiterin starb bei dem Anschlag, Kimberly Morris (Bild rechts). "Sie war neu, vielleicht einen Monat dabei, wir nannten sie KJ, sie war eine Sicherheitsmitarbeiterin", so Poma. "Sie war sehr gut, passte gut zu unserer Familie." Die lesbische Hobby-Basketballerin war erst im April von Hawaii nach Orlando gezogen und wollte sich in der Community engagieren.
Youtube | Das emotionale Interview mit der Club-Besitzerin
Die weiteren Entwicklungen vom Dienstag:
- Um die Motivation des Attentäters herrscht weiter Verwirrung. Unter Berufung auf Behördenquellen berichteten mehrere Zeitungen und Sender am Dienstag, Omar Mateen habe in der ersten Juni-Woche das "Pulse" besucht – wie auch das Walt Disney World Resort in Orlando, als dort die "Gay Days" stattfanden. Einige Medien berichten auch, seine derzeitige Ehefrau habe ihm dabei begleitet und sei beim Kauf von Munition dabei gewesen; sie soll bei Verhören von Versuchen berichtet haben, ihn von einem Angriff abgehalten haben zu haben.
Eine offizielle Bestätigung für diese Meldungen gibt es bislang nicht. In der Nacht zuvor waren etliche Medienberichte aufgetaucht, wonach Mateen schon früher das "Pulse" und andere LGBT-Clubs besucht sowie Dating-Apps für schwule Männer genutzt haben soll (queer.de berichtete). Die Berichte stützen sich sowohl auf Ermittlerkreise als auch auf mehrere Augenzeugen, darunter anonyme, aber auch mit vollem Namen genannte Gäste und Mitarbeiter des "Pulse". Einige Zeugen berichten, Mateen habe in den Apps und Bars klar Kontakte gesucht.
Mateens zahlreiche Interviews gebende Ex-Frau sagte am Dienstag, sie könne sich ein heimliches schwules Leben des Mannes vorstellen. Sie hatte allerdings seit sieben Jahren keinen Kontakt mehr zu ihm. Der Vater des Attentäters meinte hingegen, er könne sich eine Homosexualität seines Sohnes nicht vorstellen, die Besuche hätten wohl zur Ausspähung des Ziels gedient.
Dieser Vater sorgte mit zahlreichen Interviews für zusätzliche Verwirrung, in denen er betonte, dass sein Sohn sich daran störte, wenn er sich küssende Schwule sah. Seddique Mateen betonte immer wieder, wie leid ihm das Attentat täte, für das es keine Rechtfertigung gebe – und veröffentlichte am Montag zugleich ein pakistanischsprachiges Video, in dem er meinte, dass Gott Homosexuelle bestrafen werde, dass sich damit aber nicht Menschen befassen sollten. Seine an ein Publikum in Afghanisten gerichteten Videos sind wirr und stellen ihn quasi als Exilregierung dar.
- Bei einer Pressekonferenz im Orlando Regional Medical Center sprachen Überlebende und Ärzte über die Ereignisse. Laut Dr. Michael Cheatham schweben noch sechs Menschen in Lebensgefahr, bei fünf weiteren werde der Zustand regelmäßig überwacht. Der Arzt meinte, es wäre eine Überraschung, wenn die Zahl der Toten nicht noch steigen würde. 16 Patienten seien stabil.
Youtube | Am Dienstag gab es in Orlando eine Pressekonferenz, die in Erinnerung bleibt
- Barack Obama wird Orlando besuchen, dabei will er am Donnerstag auch mit Angehörigen sprechen.
- Derweil entwickelt sich in der Politik nach dem Anschlag keine geschlossene Einigkeit, sondern ein verschärfter Wahlkampf mit gegensätzlichen Positionen. Der US-Präsident warf Vorwürfe von Donald Trump zurück, in seiner Ansprache am Sonntag nicht den Begriff "radikaler Islam" benannt zu haben: "Eine Bedrohung anders zu benennen, heißt nicht, dass diese weg geht." Der wahrscheinliche republikanische Präsidentschaftskandidat verschärfte in den letzten Tagen seine Rhetorik – und stellte sich zugleich als LGBT-Aktivist dar. "Fragt euch selbst, wer der wahre Freund von Frauen und der LGBT-Community ist, Donald Trump mit seinem Handeln, oder Hillary Clinton mit ihren Worten?", meinte Trump bei einer umstrittenen Rede am Montag, die von internationalen Medien als fremdenfeindlich eingestuft wurde, auch im Vergleich zum Umgang George W. Bushs mit dem 11. September. Trump meinte weiter, seine wahrscheinliche Herausforderin wolle "radikalislamische Terroristen ins Land lassen – sie versklaven Frauen und töten Schwule." Er selbst forderte ein Einreiseverbot für Muslime.
Der Medienstar buhlte in der Rede (Volltext) gleich mehrfach um LGBT-Wähler – im großen und ganzen ein Novum bei Präsidentschaftsbewerbern einer Partei, die noch unter George W. Bush einen Wahlkampf gegen die Homo-Ehe führte und derzeit noch einen um die Toilettennutzung von Transpersonen führt. Auch Trump war gegen die Ehe-Öffnung und betonte im Wahlkampf, konservative Richter zum Supreme Court ernennen zu wollen – in seiner ersten Reaktion zu Orlando am Sonntag hatte er LGBT kaum erwähnt. Anders als Clinton, die auch Montag der LGBT-Community ihre Solidarität aussprach (Video) und sich für ein inlusives, vielfältiges Amerika aussprach, das gemeinsam gegen Radikalität kämpft.
- Für Samstag um 21 Uhr ist erneut eine Mahnwache am Brandenburger Tor in Berlin geplant, zuvor sind am Mittwoch Nürnberg, Neu-Ulm und Rostock dran. Am Montag und Dienstag gingen in etlichen deutschen sowie in zahlreichen internationalen Städten tausende Menschen auf die Straße (s. dazu auch die gestrige Zusammenfassung). In Los Angeles gehörte Lady Gaga zu den Sprechern (Video), aus Köln lässt sich die Rede von Marcel Dams nachlesen. Auch in Orlando selbst kam es zur ersten größeren Mahnwache, nachdem die Behörden am Sonntag um einen Verzicht gebeten hatten:

- Ein Baptistenpfarrer der Sacramento Baptist Church hat am Sonntag in einer Predigt bedauert, dass nicht noch mehr Menschen gestorben sind. Durch die Morde sei Orlando "sicherer"; ginge es nach ihm, würden LGBT an einer Wand aufgestellt, um sie erschießen zu lassen. Ein von der Kirche veröffentlichtes Video hat Youtube inzwischen entfernt, die Empörung gegen die Kirche hält an.
- Für Empörung sorgt weiter, dass bereits Ende März ein in Großbritannien geborener und im Iran lebender islamischer Prediger, Farrokh Sekaleshfar, in einem Islam-Zentrum in Sanford in der Nähe von Orlando ein Seminar zum "Umgang mit dem Phänomen Homosexualität" gehalten hat. 2013 hatte er bei einem Vortrag die Todesstrafe für Homosexualität gefordert ("Aus Mitgefühl lasst uns sie jetzt loswerden", "Tod ist die Strafe. Es gibt keinen Grund, darüber verlegen zu sein.") – das Video dazu wird in manchen Medien teilweise als Auftritt in Sanford dargestellt. Was er dort sagte, ist unklar; in Interviews meinte Sekaleshfar am Dienstag, es habe sich 2013 um eine "akademische Diskussion" gehandelt und er verurteile die "barbarische Gewalt". Das Husseini Islamic Centre ließ verlauten, es habe bei der Einladung nichts von den früheren Äußerungen des Mannes gewusst, auch würden Gäste nicht die Meinung des Zentrums wiedergeben. Am Sonntag hatte es den Anschlag verurteilt und Mitglieder zu Blutspenden aufgerufen.
- In der gestrigen Zusammenfassung berichteten wir, wie zwei junge Männer von der Polizei in Moskau festgenommen worden sind, als sie eine Kerze und ein Plakat "Love wins" an der US-Botschaft ablegen wollten – andere Solidaritätsbekundungen inklusive Regenbogenflaggen konnten trotzdem in der Nacht abgelegt werden. In der Nacht haben dann junge Nationalisten die Zeichen des Gedenkens entfernt und für soziale Netzwerke gefilmt, wie sie darauf rumtrampeln und eine Flagge anzünden.

- Eine Online-Spendenaktion für die Angehörigen der Opfer des Angriffs hat innerhalb von zwei Tagen über 3,6 Millionen US-Dollar eingebracht.

Die Lokalzeitung "Orlando Sentinel" stellt alle Verstorbenen in einer Übersicht ausführlich vor. Einen kurzen Überblick bietet auch das folgende Video.
Direktlink | Der schwule CNN-Moderator Anderson Cooper verlor am Montagabend mehrfach die Stimme, als er die Opfer einzeln vorstellte.
In der Toilette in einer Nische hatten sich mehrere versteckt und übereinander gelegt. Als der Täter reinkam haben die alle gefleht nicht zu schießen. Doch der Täter hat dann lachend von oben herab geschossen. Der, der ganz unten lag, hat überlebt, und der hat das ganze Blut der Leute über ihm abbekommen, die dann an den Schusswunden nach und nach gestorben sind. Der ganze Boden auf der Toilette war ein See aus Blut.
Es war extrem grausam und die Überlebenden werden wohl ziemlich lange traumatisiert bleiben. Ein Überlebender hat auch gesagt, der Täter habe nicht gelacht wie ein Mensch, sondern wie das pure Böse.