Früher zeigte Janis McDavid auf Gayromeo nur sein Gesicht, mittlerweile hat er auch Ganzkörperfotos hochgeladen
Im Interview mit queer.de spricht der 24-jährige Bochumer Janis McDavid über sein Coming-out und das Leben mit Handicap in der Szene.
Von Falk Steinborn
Behinderung und Sexualität sind in unserer Gesellschaft ein Tabu. Oft wird Menschen mit Handicap abgesprochen, dass sie ein Sex- und Liebesleben besitzen. Dass dem nicht so ist, beweist Janis McDavid.
Mit seiner Autobiografie "Dein bestes Leben" (Amazon-Affiliate-Link ) tingelt der 24-jährige Bochumer, der ohne Arme und Beine geboren wurde, derzeit durch die Schlagzeilen. Ein Kapitel seines Buches, welches dabei aber oft untergeht: Janis ist schwul.
Im Interview mit queer.de spricht er über sein Coming-out, Akzeptanz in der Community und warum er sehr wohl auch Sex hat.
Ein ganz normales schwules Leben: Janis McDavid beim Urlaub in Rio der Janeiro
Wann hast du denn gemerkt, dass du schwul bist?
Da bin ich gerade 15 Jahre alt geworden und war mit meinen Eltern in Holland im Urlaub. Ich habe mich dabei erwischt, dass ich einen Typen einen Moment zu lang hinterher geschaut habe.
Wie war das: Handicap und jetzt noch Schwulsein als "doppelte Strafe"?
Am Anfang habe ich das gedacht und mir gesagt: Jetzt nicht noch das! Da gibt es ja nicht so viele. Zweitens ist es bestimmt einfacher, eine Frau statt eines Mannes zu finden in deiner Situation.' Mittlerweile habe ich das Gefühl, dass das nicht erschwerend dazu kam. Es macht das Leben nochmal ein stückweit spannender.
Da hört man deinen Kampfgeist raus.
Klar. Ich hatte dadurch auch die Chance, mich noch einmal auf eine andere Art und Weise und auch intensiver mit mir selbst und Sexualität auseinanderzusetzen.
Du hast den Nachteil gehabt, dass du dich als Jugendlicher nur mit Hilfe von Eltern oder einer Assistenz frei bewegen konntest. Das heißt vor dem Besuch einer queeren Jugendgruppe musste das Coming-out erfolgen. Ein leichter Schritt?
Für mich bestand schon immer die Schwierigkeit, abhängig zu sein. Das wäre superkompliziert gewesen, dort alleine hinzufahren. Das Coming-out war dann ein schwieriger Schritt, weil ich mir extrem viele Ängste gemacht habe. Aber dann hatte meine Mutter sich nach meinem Coming-out total gefreut und mich das erste Mal in eine Jugendgruppe gebracht.
Jugendgruppen sind ein Teil der Szene, und die ist verschrien für ihre Schönheitsideale. Wie war es für dich, sich dort zu bewegen?
Die zwei Stunden, bevor ich losgefahren bin, waren immer extrem anstrengend. Denn ich musste gucken, dass meine Haare auch richtig liegen, weil ich schon sehr auf mich achte. Man geht ja auch mit dem Ziel dahin, seinen Traummann kennenzulernen. Das heißt der Druck, der da auf einem lastet, ist natürlich höher als wenn ich morgens zur Schule gegangen bin. Aber große Angst war da nicht, da ich meinen Körper schon so angenommen hatte wie er ist. Früher war das anders. Da wollte ich tunlichst nicht behindert aussehen.

Wie war denn die Hemmschwelle der Anderen in Bezug auf dich?
Tatsächlich hatte ich das Gefühl, dass die Hemmschwelle nicht so hoch war. Ich habe mich dort relativ schnell eingefunden in die Gruppe. An anderen Stellen in der Szene ist das nochmal ein bisschen anderes.
Wo denn?
Im Internet und in manchen Diskotheken. Es gibt Locations, wo jeder von oben bis unten gemustert wird und der Hemdkragen sehr weit oben steht. Glücklicherweise kann man, wenn man in Berlin eine Auswahl hat, dem ja ausweichen.
Wenn du in der Disco unterwegs bist, kommst du dann als potenzieller Partner in Frage oder wirst du angesehen als der Janis mit dem Handicap?
Es gibt Leute, die mir in der Disco erklären, wie viel Mitleid sie doch mit mir hätten und wie leid ich ihnen tun würde. Mit solchen Unterhaltungen kann ich wenig anfangen. Ich versuche schnell klarzumachen, dass eine Disco nicht der richtige Ort ist, um über Mitleid zu sprechen. Dann gibt es aber auch die andere Seite, wo ich durchaus als möglicher Partner in Frage komme. Ich werde durchaus auch von süßen Typen angequatscht.
Jetzt fragen sich vielleicht manche, die dieses Interview lesen: Kannst du auch Sex haben?
(lacht)
Da lacht er.
Ich sag mal so: Mir fehlen nur Arme und Beine. (lacht ausgiebiger) Reicht das als Antwort?
Ich lasse das gelten. Ist denn Sex komplizierter für dich?
Was heißt komplizierter? Ich brauche in jeder Lebenssituation mehr Kreativität. Ich kann nie abgucken. Alles, was ich gelernt habe, kann ich, weil ich selbst kreativ war. Ich konnte nie kopieren wie andere trinken oder die Treppe hochlaufen. Das ist natürlich hier auch so. Da muss man anders zusammen finden. Das hat mehr mit Absprachen zu tun. Aber das ist kein Hinderungsgrund.
Das ist eine total wichtige Botschaft, weil bei Menschen mit Handicap immer angenommen wird: Sie haben keine Sexualität und auch kein Sexualleben.
Das ist ein riesengroßes Tabuthema und schade.
Auf Dating-Plattformen gingst du dem früher aus dem Weg, indem du nur dein Gesicht gezeigt hast.
Ich wollte erst einmal, dass die Leute mich unvoreingenommen kennenlernen und nicht als der Rollstuhlfahrer ohne Arme und Beine. Aber die meisten Leute, mit denen ich mich vorher sehr gut im Chat unterhalten habe, haben sich dann extrem stark zurückgezogen, wenn ich sagte, was los ist. Manche hatten dann wenigstens noch den Anstand, interessiert nachzufragen und haben gesagt, sie könnten sich das nicht wirklich vorstellen für eine Beziehung. Aber ich sei total nett und ob man sich nicht doch mal auf einen Kaffee trifft. Aber ich hatte dann auch die Erfahrung gemacht, dass Leute dann auch ausfallend wurden und mich auf das Wüsteste beschimpft haben.
Heute ist das anders. Du zeigst dich und deinen Körper. Hat sich seitdem was verändert?
Ja, es schreiben mich weniger Leute an. Es ist weniger konkret. Gayromeo ist ein Portal, da bekommt man Sexangebote noch und nöcher. Das ist weniger geworden. Ich habe aber das Gefühl, das ist seitdem inhaltsvoller.
Gibt es Leute, die mit dir Sex haben wollen, nur um es mal mit einem "Behinderten" getan zu haben?
Ja. Wie das bei Menschen mit Migrationshintergrund ist, gibt es das auch in Bezug auf Menschen mit Behinderung. Und es gibt da auch eine ganze Community, die das als Beuteschema hat.
Wie geht es dir damit, wenn du solche Anfragen bekommst?
Ich finde das schwierig, weil ich mich nicht über meine "Behinderung" definiere. Ich benutze das Wort ziemlich selten. Für mich ist immer das Ziel gewesen, meiner "Behinderung" keine Hauptrolle zu geben, sondern das eigentlich in den Hintergrund treten zu lassen, um dann der sein zu können, der ich sein will.
Mittlerweile bist du Aktivist für Menschen mit Behinderung einerseits und für queere Jugendliche im Bundesnetzwerk Lambda andererseits. Was müssten wir in der Community ändern, damit es Queers mit Handicap leichter haben?
Das erste, was verändert werden muss, sind physische Barrieren. Man kann sich gar nicht vorstellen, wie viele Kneipen, Bars, Discos und Anlaufstellen nicht barrierefrei sind. Zweitens gibt es viele Leute, die sich nicht einfach alleine fortbewegen können, aber trotzdem selbstbestimmt ihre Freizeit genießen wollen. Das heißt es muss politisch eine Lösung dafür geben, dass Assistenz auch für Freizeitaktivitäten gezahlt wird. Und drittens, da ist die Community nicht anders als der Rest Gesellschaft, muss sie an ihrer eigenen Toleranz arbeiten. Barrieren in den Köpfen sind nicht so leicht abzubauen. Und da ist es einfach ganz wichtig, Begegnung stattfinden zu lassen.
Youtube | Janis McDavid stellt sich in einem kurzen Video vor: "Ich kann viel mehr, wenn ihr mich nicht behindert"
Nächste Lesungen von Janis McDavid
23.06. – Köln (Jugendzentrum anyway, 19 Uhr, Eintritt frei)
27.06. – Mannheim (Franziskussaal, 19 Uhr)
02.08. – Hamburg (CVJM an der Alster, 19:30 Uhr)
12.09. – Meppen (Volkshochschule, 19 Uhr)
Richtiger Satz..
Tolles Interview..
Und ein offensichtlich "geerdeter" Mensch, der mit sich und seinem Leben sicher und vor allem offen umgeht..