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Bundessstiftung Magnus Hirschfeld veröffentlicht "Uracher Erklärung"
Rehabilitierung der "175er": Druck auf Maas steigt

Drei von 50.000 Einzelschicksalen: Klaus, Wolfgang und Heinz wurden wegen Homosexualität in der Bundesrepublik verurteilt – und gelten noch heute als vorbestrafte Verbrecher (Bild: Ulrike Delfs / Antidiskriminierungsstelle)
- 28. Juni 2016, 12:13h 3 Min.
Gibt es noch einen Gesetzentwurf zur Rehabilitierung der Opfer des Paragrafen 175 vor der Sommerpause? Die Bundesstiftung Magnus Hirschfeld und die Opposition fordern eine schnelle Entscheidung.
Von Dennis Klein
Bereits vor sechs Wochen hat Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) im queer.de-Interview einen Gesetzentwurf zur Rehabilitierung und Entschädigung von Männern angekündigt, die wegen des Paragrafen 175 in der Bundesrepublik verfolgt worden sind – zeitgleich zu einer entsprechenden öffentlichen Aufforderung zum Handeln durch die Antidiskriminierungsstelle des Bundes.
Nun regt sich Ärger darüber, dass es offenbar weiter Verzögerungen gibt. So hat erst vor wenigen Tagen der Rechtsausschuss des Bundestags zum zweiten Mal eine Stellungnahme der Regierung zum weiteren Vorgehen vertagt. Da die letzte Bundestagsitzung vor der Sommerpause bereits am 8. Juli stattfindet, ist es fraglich, wann ein entsprechendes Gesetz vorgelegt wird.
Bei einer Fachtagung im schwäbischen Kurort Bad Urach hat der Fachbeirat der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld am Dienstag den Druck auf Maas erhöht und erklärt, man halte "es für längst überfällig, das damals gegen Zehntausende von Menschen gerichtete strafrechtliche Unrecht offen beim Namen zu nennen, die Verfolgten dieses Sonderstrafrechts für Homosexuelle juristisch umfassend zu rehabilitieren und ihnen eine angemessene Entschädigung zu zahlen."
Kollektive Entschädigung gefordert

Die Fachbeiräte Dr. Norman Domeier (li.) und der Vorsitzende Prof. Dr. Michael Schwartz stellten die "Uracher Erklärung" vor
In der sogenannten "Uracher Erklärung" (PDF) regt der Fachbeirat neben einer individuellen Entschädigung der noch lebenden Justizopfer an, "auch eine kollektive Entschädigung in Form einer deutlich besseren und dauerhaft tragfähigen Ausstattung der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld" zu leisten. Die Stiftung könne etwa in Forschung und Aufklärungsarbeit investieren, "damit sich nicht nur solches Unrecht, sondern auch die diesem Unrecht zu Grunde liegende gesellschaftliche Abwertung und Diskriminierung in Deutschland niemals wiederholen können". Dem 15-köpfigen Fachbeirat gehören unter anderem der Soziologe Martin Dannecker, Rainer Marbach von der Akademie Waldschlösschen und der Historiker Michael Schwartz an.
Auch die Opposition im Bundestag macht Druck: "Justizminister Maas muss vor der Sommerpause einen Gesetzentwurf vorlegen, sonst werden die Grünen der Koalition mit einer parlamentarischen Initiative im Juli Beine machen", erklärte der Grünenpolitiker Volker Beck vergangenen Freitag.
Die Bundesinteressenvertretung schwuler Senioren (BISS) forderte Maas ebenfalls auf, noch vor der Sommerpause einen Gesetzentwurf vorzulegen. BISS-Vorstand Georg Härpfer macht sich zudem Sorgen, dass eine Lösung im Parteienstreit untergehen könnte: Man habe große Sorge, "dass eigene Gesetzesinitiativen aus der Opposition an der Übermacht der Großen Koalition zerschellen und die Rehabilitation und Entschädigung eher gefährden als befördern. Davor warnen wir auch aus Verantwortung gegenüber den Opfern des Paragrafen 175", so Härpfer.
LSVD: "Die Zeit drängt"
Der Lesben- und Schwulenverband hatte bereits Anfang des Monats erklärt, dass sich die Regierung endlich sputen solle: "Die Beseitigung dieses Unrechts, das im Namen der Bundesrepublik Deutschland erfolgte, muss noch in dieser Legislaturperiode geschehen. Die Zeit drängt, damit Opfer der Homosexuellenverfolgung noch die Aufhebung der Unrechtsurteile und die Wiederherstellung ihrer Würde erleben", so LSVD-Sprecher Axel Hochrein.
Die Frage der Rehabilitierung zieht sich schon seit Jahren hin: 2000 hatte sich der Bundestag bereits in einer einstimmig beschlossenen Resolution für die Schwulenverfolgung entschuldigt. Zwei Jahre später hob die damalige rot-grüne Bundesregierung gegen die Stimmen von Union und FDP die Urteile aus der Nazi-Zeit auf. Alle nach 1945 wegen ihrer Homosexualität verurteilten Männer gelten aber in Deutschland nach wie vor als vorbestraft, obwohl bis 1969 die Nazi-Version des Paragrafen 175 Bestand hatte. In der DDR gab es ebenfalls über 4.000 Verurteilungen aufgrund von Homosexualität – in den Siebziger- und Achtzigerjahren waren in Ostdeutschland sogar homosexuelle Frauen von Strafandrohung bedroht.
Viele Politiker aus CDU/CSU, SPD und FDP hatten immer wieder argumentiert, dass aufgrund der Rechtssicherheit eine Aufhebung der rechtsstaatlich zustande gekommenen Urteile in der Bundesrepublik nicht möglich sei. Dies hatte aber ein von der Antidiskriminierungsstelle des Bundes in Auftrag gegebenes Rechtsgutachten von Professor Dr. Martin Burgi vergangenen Monat widerlegt (queer.de berichtete).














