Die dritte Pride-"Denkwerkstatt" fand im Solution Space gegenüber dem Kölner Dom statt
Bei der neuesten "Pride 2.0 Denkwerkstatt" gab der Filmemacher Wieland Speck der Community eine Warnung auf den Weg.
Von Norbert Blech
"Route wird berechnet", so lautete in diesem Jahr das lose Motto der "Pride-2.0 Denkwerkstatt" des Kölner Pride Salons am Samstag, "Community, wohin gehst Du? Und wer geht mit?" Das Talkformat war vor zwei Jahren gestartet und suchte damals bemerkenswert offen und reflektierend nach neuen Wegen für die CSD-Bewegung (queer.de berichtete).
Um den CSD ging es auch im Eröffnungsreferat, in diesem Fall in der Form eines anonym zugesandten Textes: Man sollte den CSD im Wahljahr 2017 ausfallen lassen, wird darin gefordert, um damit der Öffentlichkeit bewusst zu machen, was mit der LGBT-Community fehlen würde. Den Volltext hatten wir bereits als Debattenbeitrag veröffentlicht.
Wieland Speck, Programmleiter der Sektion Panorama der Internationalen Filmfestspiele Berlin, sollte später am Tag hingegen die Wichtigkeit von Sichtbarkeit betonen: "Wir müssen schauen, dass wir viele sind", meinte er, "jeden Tag neu gegen die Abwesenheit queerer Menschen" ankämpfen. Ansonsten werde man von der Gesellschaft, den Medien schlicht vergessen.

Der Regisseur des Kultfilms "Westler" und Mitgründer des "Teddy Awards" lobte die Verschiedenheit der Community, auch wenn ihr in Berlin manchmal die große Klammer, das Zusammengehörigkeitsgefühl fehle. Man könne viel lernen von der Diversität der Szene weltweit, von den ähnlichen und doch unterschiedlichen Diskriminierungserfahrungen zwischen den Ländern, zwischen den einzelnen Personen.
Die queeren Filme gäben ihm ein "Gefühl für den Zeitgeist" und bildeten die Community, ihre Vielfalt gut ab, meinte Speck – um dann zu beklagen, dass Medien, speziell die queeren Medien, das nicht leisten würden. Nun bekommen die freilich keine Filmförderung.
Schicksalsmonate für die Community
Dass Sichtbarkeit, dass der Kampf für sich und andere nötig ist, machte auch der grüne Bundestagsabgeordnete Kai Gehring deutlich. Mit Orlando sei die "Community erstmals Ziel von Terror" geworden. Wie viele andere hätte er gedacht: "Das hätte genausogut das SchwuZ treffen können." Die Community sei weltweit wie in Deutschland betroffen und verängstigt gewesen und habe zusammengestanden, habe hierzulande aber keinen Trost, keine Handlung durch die Spitzen des Staates erfahren. Gerade im Vergleich zu US-Präsident Obama seien die Reaktionen "verletzend" gewesen.

Gehring war zur Mahnwache nach Berlin gereist, die sehr bewegend gewesen sei: "Der Platz war voll." Aber: "Wo waren die Heterosexuellen? Wo 'Je suis Orlando'?" Bei vielen Freunden spüre er eine zunehmende Verunsicherung angesichts neuer Feinde wie der AfD oder "'Gender'-Gegnern". Die Freiheit sei "brüchig", es drohten Rollbacks – das zeige auch die "Mitte"-Studie.
Der Abgeordnete erinnerte an den Film "Pride" über das Zusammenstehen von Bergarbeitern und Schwulen und Lesben in Großbritannien und forderte neue Bündnisse, ein "Zusammenstehen der diskriminierten Communitys". Die deutsche Politik brauche mehr Druck, etwa um national endlich einen Aktionsplan gegen Homo- und Transphobie umzusetzen, sich aber auch international mehr zu engagieren; in für LGBT unsichere Länder dürfe es keine Abschiebung geben. An Schulen müsse eine umfassende Aufklärung und ein akzeptierendes Umfeld gewährleistet sein.
Individuelle Denkanstöße
Die "Denkwerkstatt" ist ein recht offenes Forum, in der Aktivisten und Akteure aus der ganzen Republik kurze Vorträge halten und sich dann Gesprächen mit dem Publikum stellen. Eine Vernetzung ergibt sich nebenbei. Das Spektrum der Referenten war in diesem Jahr recht breit und individuell gewählt.
Ulrike Rolf stellte etwa den bei vielen in Vergessenheit geratenen Lesbenring vor, der kurz vor der Aufklösung stand, aber weiter stolz sei, den Begriff "Lesbe" im Namen zu tragen statt nur einem "L" (wie ein Magazin oder ein Festival). Man wolle sich wieder mehr engagieren, stelle aber fest, dass man etwa Junglesben kaum erreiche. Die Degenfechterin und LSVD-Vorständin Imke Duplitzer beklagte in ihrer Rede gar Anfeindungen und Ignoranz aus einer Community heraus, mit der sie teilweise fremdle.

Während die Sportlerin bei allem Verständnis für Vielfalt und Sichtbarkeit ein "LSBTTIQ-Gebrabbel" und einen Gender-Star nur halbherzig vertreten könne, knöpfte sich Marketing-Frau Fabienne Stardiau in ihrem Vortrag Begriffe wie "Toleranz" und "Diversity" vor, die keine Akzeptanz auf Augenhöhe ausdrückten. Dazu gab es nette Beamer-Illustrationen wie das Gefühl, hier niemanden mehr überzeugen zu müssen.

Der LGBT- und HIV-Aktivist Marcel Dams las aus seinem bald erscheinenden Buch eine Reflektion über den Medienbegriff und Vorwurf der "neuen Sorglosigkeit" vor. Sollten "Sorge" und Vernunft wirklich nicht nur beim Abschluss von Versicherungen, sondern auch beim Sex eine Rolle spielen? In Wirklichkeit gehe es doch beim Sex um die Abgabe von Kontrolle, eine "Sorglosigkeit", die man sich nach dem Aufwachsen im behüteten Elternhaus erst hart erkämpft habe, um Spaß haben zu können.

Andrea Krieger, Transfrau und Aktivistin bei "Schlau NRW", verlas eine unterhaltsame wie traurige Kurzgeschichte über die Prozeduren, die Menschen zur Änderung ihres offiziellen Geschlechts dank Gutachterzwang durchlaufen müssen – sie endet mit der Vorstellung, auch Cis-Menschen müssten sich dem entmündigendem Verfahren stellen und erklären, warum sie ein Mann oder eine Frau seien.
Javid Nabijew, ein LGBT-Aktivist aus Baku, der nach Deutschland geflüchtet ist, berichtete von seiner Gruppe Queer Refugees for Pride. Für diese sehe er eine Vielzahl an Aufgaben: Die Teilnahme an CSDs, um auf ihre Belange aufmerksam zu machen, der Kampf gegen eine Heteronormativität und Einfalt in Informationsmateralien für Flüchtlinge oder ein Bewusstsein zu schaffen in der Bevölkerung für die Probleme von LGBT in den jeweiligen Herkunftsländern.
Nicht jeder queere Flüchtling könne Nachweise für eine Verfolgung erbringen – hier sei Druck auf den Gesetzgeber gefragt, um die Richtlinien der Realität anzupassen. Für die deutsche Szene hatte er, wie viele Aktivisten vor ihm, einen Wunsch: "Kämpft hier für eure Rechte." Die Erfolge und Niederlagen bekämen die LGBT im Ausland ebenso mit wie die Flüchtlinge.
Youtube | Der gesamte Vortrag Nabijews auf Englisch
Während es Gedanken gibt, das Format der "Denkwerkstatt" in weitere Städte zu exportieren, gehen die regulären Veranstaltungen des ehrenamtlichen "Pride Salon"-Teams rund um Moderator Jonathan Briefs weiter. An diesem Mittwoch wird im Jot Jelunge über den Aktionsplan gegen Homo- und Transphobie der Stadt Köln diskutiert.
derzaunfink.wordpress.com/2015/01/22/draussen-nur-heten/
www.youtube.com/watch?v=hIhsv18lrqY
marceldams.wordpress.com/2015/01/15/2015-gehts-um-mehr-als-e
heoffnung-kommentar/