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Erneute Niederlage
Bundesgerichtshof lehnt Anerkennung des dritten Geschlechtes ab

Der Bundesgerichtshof hat gegen Vanja entschieden (Bild: Nikolay Kazakov)
- 4. August 2016, 12:50h 3 Min.
In Deutschland gibt es nach Ansicht der Karlsruher Richter kein Grundrecht darauf, als intergeschlechtliche Person in offiziellen Dokumenten anerkannt zu werden.
Der Bundesgerichtshof in Karlsruhe hat in einer am Donnerstag bekannt gegebenen Entscheidung vom 22. Juni den Antrag einer 26-jährigen intersexuellen Person auf die Geschlechtseintragung "inter/divers" in offiziellen Formularen zurückgewiesen. Die Kampagnengruppe "Dritte Option" bedauert, dass der Senat ihrer Ansicht nach die Grundrechte der klagenden Person, die nur als Vanja bekannt ist, nicht gründlich genug geprüft habe. Die Aktivisten hatten das Verfahren inhaltlich vorbereitet und begleitet.
Vanja hatte im Sommer 2014 beim Standesamt der Kleinstadt Gehrden bei Hannover einen Antrag gestellt, das Geschlecht von "weiblich" zu "inter/divers" zu ändern. Der Grund: Bei intersexuellen oder intergeschlechtliche Personen weichen hinsichtlich ihres chromosomalen, genetischen oder anatomischen Geschlechts von der üblichen medizinischen Normvorstellung männlicher und weiblicher Körper ab und identifizieren sich daher nicht mit einem dieser beiden Geschlechter.
Das Standesamt lehnte den Antrag unter Verweis auf die fehlenden Rechtsvorschriften ab. Die darauf folgenden Klagen blieben erfolglos: Das Amtsgericht Hannover und das Oberlandesgericht Celle urteilten, der Gesetzgeber sehe diese Änderung nicht vor und sie sei auch nicht rechtlich geboten.
Gericht: Offenlassen des Geschlechtseintrags möglich
Der Bundesgerichtshof bestätigte diese Entscheidungen und lehnte die Beschwerde Vanjas als "unbegründet" ab. Demnach gebe es innerhalb der gültigen Regelungen des Personenstandsgesetzes keine Möglichkeit zur einer Eintragung des Geschlechts als "inter" oder "divers". Die Richter erkannten zwar an, das intergeschlechtliche Menschen mit den geläufigen Geschlechtern "Mann" und "Frau" nicht ausreichend beschrieben werden. Der Gesetzgeber erlaube daher die Streichung der Geschlechtsangabe, mit der Intersexuelle "den Status eines unbestimmten Geschlechts" erreichen könnten. Das Gericht verweist auch darauf, dass eine Zuordnung zu einer neuen Geschlechtskategorie keinerlei rechtlichen Folgen beispielsweise bei der Eheschließung hätte, da das Familienrecht nur Mann und Frau kenne.
Die Kampagnengruppe "Dritte Option" begrüßte zwar, dass der BGH bestätigte, dass das Offenlassen der Geschlechtskategorie auch rückwirkend möglich sei. Allerdings kritisierten die Aktivisten scharf, dass den Richtern dieser Nichteintrag ausreiche für das "verfassungsmäßige Recht, in der eigenen Geschlechtsidentität anerkannt zu werden".
Vanja: Muss mich auf Leerstelle berufen
In einer kurzen Stellungnahme kritisierte auch Vanja, es sei nicht ausreichend, die Geschlechtsangabe einfach leer zu lassen: "Für intergeschlechtliche Menschen wäre ein dritter Geschlechtseintrag nach jahrzehntelangem Verleugnen und Unsichtbarmachen endlich die Anerkennung und Würdigung ihrer Existenz. Die aktuelle Lösung, keinen Eintrag zu haben, ist für mich eben nicht das selbe, wie einen passenden Eintrag zu haben. Im Alltag, als Schutz vor Diskriminierung macht es einen Unterschied, ob ich sagen kann: 'Ich bin ganz offiziell inter' oder ob ich mich auf eine Leerstelle berufen muss."
Die Gruppe "Dritte Option" kündigte nach Bekanntwerden des Urteils sofort an, eine Verfassungsbeschwerde einzulegen. Diese werde am 2. September um 17 Uhr dem Bundesverfassungsgericht übergeben und soll von einer Demonstration begleitet werden, in der die Aktivisten vom Bundesgerichtshof zu dem Gericht ziehen wollen.
Nur wenige Länder erkennen bislang ein drittes Geschlecht an. Eine derartige Regelung gibt es etwa seit 2008 in Nepal, seit 2011 in Australien und seit 2014 in Indien.
Auch in Österreich klagt gegenwärtig eine intersexuelle Person darauf, ihr Geschlecht mit "inter", "anders", "X" oder unter einer ähnlichen Bezeichnung eintragen zu lassen.
Insgesamt leben in Deutschland Schätzungen zufolge 70.000 intersexuelle Menschen. 2013 wurde das Personenstandsgesetz reformiert, so dass bei Kindern, bei denen das Geschlecht nicht eindeutig festgelegt werden kann, die Angabe im Geburtenregister zunächst freigelassen wird (queer.de berichtete). (dk)














