Tom Daley konnte im Synchronwasserspringen eine Bronzemedaille erringen, blieb als Einzelkämpfer aber überraschend ohne Erfolg (Bild: Instagram / tomdaley1994)
Zehn Mal Gold, elf Mal Silber und vier Mal Bronze – das ist das Ergebnis des Teams LGBTI in Rio. Die Frauen waren weit erfolgreicher: Sie holten 90 Prozent des Edelmetalls und alle Olympiasiege.
Von Dennis Klein
Die am Sonntag zu Ende gegangenen Olympischen Spiele in Rio de Janeiro zeigten die größte LGBTI-Sichtbarkeit seit dem Start des Sportevents vor 120 Jahren: Mit 55 Athleten, die sich als schwul, lesbisch oder bi geoutet hatten, gab es einen neuen Rekord. Dazu sorgten romantische Geschichten über LGBTI-Sportler weltweit für Schlagzeilen: Beispiele sind die öffentliche Verlobung der brasilianischen Rugbyspielerin Isadora Cerullo noch auf dem Feld, der Heiratsantrag von Leichtathlet Tom Bosworth am Strand von Rio oder die gemeinsame Goldmedaille der verheirateten Hockeyspielerinnen Helen und Kate Richardson-Walsh, ein völliges Novum in der olympischen Geschichte.
Insgesamt konnten die 55 Athletinnen und Athleten 25 Medaillen nach Hause bringen – fast die Hälfte der geouteten Sportler gewann also Edelmetall. Sie erzielten insgesamt zehn Goldmedaillen, davon vier für die lesbischen Basketballerinnen Seimore Augustus, Elena Delle Donne, Brittney Griner und Angel McCoughtry, die für die amerikanische Auswahl ohne Niederlage den Olympiasieg einfuhren.
LGBTI-Sportler nur aus wenigen Ländern
Der große Erfolg weist aber auch auf ein Problem hin: Wahrscheinlich outeten sich nur die erfolgreichen Sportler, während es weiter unten viel schwerer ist. Außerdem stammten die LGBTI-Teilnehmer aus nur 15 Ländern bei 206 Teilnehmerstaaten. Die meisten kamen aus Europa und Nordamerika. Besonders dünn vertreten war Asien (ein Teilnehmer aus Indien); die Medaillienfabriken aus China (Platz zwei in der Medaillenwertung), Russland (Platz vier) und Japan (Platz sechs) hatten überhaupt kein Mitglied des Teams LGBTI dabei.
Auch haben sich viel mehr Frauen als Männer geoutet. Sportlerinnen stellten vier Fünftel aller Mitglieder des Teams LGBTI, außerdem gewannen sie fast neun Zehntel aller Medaillen. Die einzigen Männer im Team LGBTI, die Medaillen nach Hause bringen konnten, waren Briten: Die Reiter Carl Hester und Spencer Willon schafften in der Team-Dressur die Silbermedaille, Tom Daley konnte im Zehn-Meter-Synchronturmspringen Bronze holen. Alle drei Athleten waren bereits 2012 in London erfolgreich: Hester und Wilton schafften damals sogar die Goldmedaille im Team, Daley konnte sich in seinem Heimatland Bronze im Einzelwettewerb sichern.
Der erst 22 Jahre alte Daley war der wohl prominenteste Sportler im Team LGBTI. Der Brite, der bereits als 15-Jähriger die Weltmeisterschaft gewann, hatte unter anderem durch seine Beziehung mit Oscar-Preisträger Dustin Lance Black für Schlagzeilen gesorgt. Die beiden haben sich vergangenes Jahr verlobt (queer.de berichtete). Nach seinem dritten Platz im Synchronwettbewerb am Beginn der Olympiade war Daley am Samstag im Einzelwettbewerb die größte Hoffnung auf eine Goldmedaille für einen schwulen Sportler. In der Vorrunde am Vorabend, bei der er den ersten Platz belegte, hatte er seine persönliche Bestmarke verbessern können und war als klarer Favorit ins Halbfinale gegangen, erlebte dort aber einen Absturz: Nach ein paar Platschersprüngen belegte er den letzten Platz unter 18 Teilnehmern und schied überraschend aus. Er werde alles geben, um in Tokio 2020 erneut um eine Medaille zu kämpfen, sagte er danach in Interviews.
Caster Semenya holte Gold
In die Zeitungen schaffte es auch die lesbische Teilnehmerin Caster Semenya, allerdings nicht wegen ihrer sexuellen Orientierung, sondern wegen ihrer angeblichen Intersexualität, die weder von ihr noch vom Sportverband offiziell bestätigt wurde. Die Südafrikanerin konnte den 800-Meter-Lauf mit deutlichem Vorsprung für sich entscheiden und Gold holen.
Bei ihr soll bereits vor Jahren ein erhöhter Testosteronspiegel festgestellt worden sein, was ihr beim Wettkampf Vorteile verschaffen soll und was zu gehässigen Bemerkungen ihrer Konkurrentinnen geführt hat. Die 25-Jährige kommentiert allerdings die Spekulationen nicht.
Caster Semenya konnte die Konkurrenz im 800-Meter-Lauf deutlich hinter sich lassen. Bild: Instagram / pcrazy_xhirame
Semenya sagte bei einer Pressekonferenz nach ihrem Sieg, sie habe die Vorwürfe während der Olympiade einfach ausgeblendet: "Am Ende des Tages geht es nicht um andere Leute, sondern um dich selbst – deinen Kampf gegen den Rest der Welt." Sie ist die Vorwürfe gewöhnt: Die Weltmeisterin von 2009 wurde bereits vor Jahren als Mann beschimpft (queer.de berichtete).
Die beiden deutschen Teilnehmerinnen des Teams LGBTI konnten zwar keine Medaillen erobern, erreichten aber immerhin die Finalrunden in ihren jeweiligen Sportarten: Nadine Müller erreichte im Diskuswerfen Rang sechs, Martina Strutz schaffte es Stabhochsprung auf Platz neun.
Hier alle Medaillengewinner aus dem Team LGBTI:
Gold:
Nicola Adams (Großbritannien), Boxen. Sieg im Finale gegen Sarah Ourahamoune aus Frankreich.
Caster Semenya (Südafrika), 800-Meter-Lauf. Über eine Sekunde Vorsprung vor Francine Niyonsaba.
Rafaela Silva (Brasilien), Judo bis 57 kg. Finalsieg gegen Dorjsurengiin Sumiya.
Kate und Helen Richardson-Walsh und Susannah Townsend (Großbritannien), Hockey. Finalsieg gegen die Niederlande.
Seimore Augustus, Elena Delle Donne, Brittney Griner und Angel McCoughtry (USA), Basketball. Ungefährdeter Finalsieg gegen Spanien.
Silber:
Alexandra Lacrabère (Frankreich), Handball. Finalniederlage gegen Russland.
Lisa Dahlkvist, Nilla Fisher, Hedvig Lindahl und Carolina Seger (Schweden), Fußball. Finalniederlage gegen Deutschland.
Carlien Dirkse van den Heuvel und Maartje Paumen (Niederlande), Hockey. Finalniederlage gegen Großbritannien.
Sunette Viljoen (Südafrika), Speerwurf. Mit 64,92 Metern knapp vor Barbora Špotáková und Maria Andrejczyk.
Rachele Bruni (Italien), Schwimmmarathon. Musste sich im 10-Kilometer-Freischwimmen nur Sharon van Rouwendaal geschlagen geben.
Carl Hester und Spencer Wilton (Großbritannien), Dressur-Team. Die Briten landeten hinter den USA.
Bronze:
Stephanie Labbe und Marie-Eve Nault (Kanada), Fußball. 2:1-Sieg gegen den Gastgeber Brasilien im Spiel um Platz 3.
Tom Daley (Großbritannien), 10-Meter-Synchronspringen. Landete mit seinem Partner Daniel Goodfellow knapp vor dem deutschen Duo Patrick Hausding und Sascha Klein.
Jen Kish (Kanada), Rugby. Klarer Sieg gegen Großbritannien im Spiel um Platz 3.
Andererseits:
Bei 11.458 Teilnehmer_innen und einer vorsichtig geschätzten Quote von 5% hätten es wohl eher 573 LGBTI-Sportler_innen, also mehr als 10x soviel wie die Zahl der Geouteten, sein müssen.
Waren es ja vielleicht auch.
Ob eine Zeit kommen wird, in der sich alle ohne Furcht und mit Stolz outen können?