Protest gegen AfD & Co. beim diesjährigen CSD in Düsseldorf. Dem nun veröffentlichten Manifest diente das Motto des CSD in Darmstadt als Grundlage. (Bild: nb)
In einem Papier, das in Kürze auch online unterschrieben werden kann, fordern über 200 teils prominente LGBTI zur Wahl von Parteien auf, die die vielfältige Gesellschaft verteidigen.
Während die AfD in Stuttgart gegen homosexuelle Lebensentwürfe mitmarschiert, versucht sie in Berlin mit islamophoben Aussagen um die Stimmen schwuler Männer zu buhlen (queer.de berichtete). Mit einem "Berliner Manifest" wenden sich nun mehr als 200 Erstunterzeichner gegen "jede Vereinnahmung sexueller Minderheiten durch Rechtspopulisten". Sie fordern außerdem das Ende der Diskriminierung von LGBTI im Recht und im Alltag und den tatkräftigen Einsatz aller Bürger für eine offene und vielfältige Gesellschaft.
Den Aufruf unterstützen viele Prominente aus Politik, Kultur, Wissenschaft und Medien. Unter ihnen befinden sich der Comedian Thomas Hermanns, der Comiczeichner Ralf König, die Kabarettistin und Schauspielerin Maren Kroymann, "Lindenstraßen"-Star Georg Uecker und die Entertainer Biggy van Blond und Georgette Dee; auch der Chef der Panoramasektion der Berlinale, Wieland Speck, und der Intendant und Chefregisseur der Komischen Oper Berlin, Barrie Kosky, sind mit dabei.
Aus der Politik haben u.a. die grüne Europabageordnete Terry Reintke, die Bundestagsabgeordneten Volker Beck (Grüne) und Johannes Kahrs (SPD) und regionale und lokale und Vertreter verschiedener Parteien das Manifest unterschrieben, darunter die Oberbürgermeister von Darmstadt und Erlangen. Zu den Erstunterzeichnern gehören auch der Soziologe Dr. Martin Dannecker oder Journalisten wie Lisa Ortgies (frauTV), Jan Feddersen (taz), Matthias Frings oder die Queer.de-Redaktion. Auch Vertreter vieler Szenevereine und -organisationen aus Berlin und ganz Deutschland haben das Dokument unterzeichnet.
Das Manifest, das aufgrund eines vorpreschenden Mediums vorab bekannt wurde, kann unter www.berliner-manifest.de unterschrieben werden können, auch eine Facebook-Seite soll dann freigeschaltet werden.
Signal gegen Lügen und Parolen
Das "Berliner Manifest" fordert alle LGBTI auf, bei den anstehenden Landtagswahlen und der kommenden Bundestagswahl keine Parteien zu wählen, deren Programme im Widerspruch zu einer vielfältigen und offenen Gesellschaft stehen. Die Unterzeichnenden fordern darüber hinaus alle Menschen auf, sich jenen entschieden in den Weg zu stellen, die die Diskriminierung von LGBTI fortführen.
Initiiert wurde das Manifest von Politikwissenschaftler Klaus Bechtold, Dr. Birgit Bosold vom Vorstand Freundeskreis des Schwulen Museums* e.V., den Journalisten Bastian Brauns, Werner Hinzpeter, Elmar Kraushaar und Dirk Ludigs, der Germanistin Parissa Chagheri und dem Kulturwissenschaftler Jan Schnorrenberg.
Mit dem Manifest wollen sie laut Pressemitteilung ein "starkes Signal gegen jede Form des Rechtspopulismus senden, der mit seinen Lügen und Parolen dabei ist, das friedliche und respektvolle Miteinander in unserer Gesellschaft zu zerstören". Sie fordern alle Menschen auf, zu Hass und Ausgrenzung von Minderheiten nicht zu schweigen, und darüber hinaus aktiv für Vielfalt und gegenseitigen Respekt zu kämpfen. (nb/pm)
Dokumentation: Das Manifest im Wortlaut

Berliner Manifest gegen die Instrumentalisierung von LSBTQ* durch Rechts
Wir, die Unterzeichnenden, wenden uns gegen die Vereinnahmung sexueller Minderheiten durch rechtspopulistische und rechtsradikale Parteien, Gruppierungen und Publizist_innen. Wir beobachten mit Sorge, wie die Grundlage unserer Demokratie, das zivilgesellschaftliche Engagement, mit Labeln wie "linksgrünversifft", "Gender-Gaga" oder "Queeriban" denunziert wird. Wir dagegen stehen für eine Politik, die Vielfalt in unserer Gesellschaft als Chance begreift und die Errungenschaften unserer emanzipatorischen Bewegungen der letzten 50 Jahre mutig verteidigt und weiterführt.
Wir wissen: Lesben, Schwule, Bisexuelle, Trans*- und Inter* können den Kampf um ihre Gleichberechtigung nur gemeinsam gewinnen. Wir werden alle verlieren, wenn wir uns gegeneinander ausspielen lassen. Unsere Lehre aus der Geschichte der emanzipatorischen Bewegungen lautet: Wir brauchen einander, wir lernen voneinander und stehen solidarisch füreinander ein – in unseren Gemeinsamkeiten, wie in unseren Unterschieden. Den Begriff LSBTIQ* verstehen wir als Auftrag, miteinander so umzugehen, wie wir es von der Mehrheitsgesellschaft uns gegenüber zu Recht erwarten.
Wir sind deshalb vereint in diesen Feststellungen, Forderungen und Zielen:
Es gibt keine "überlegenen" Beziehungs- und Familienmodelle. Viele Kinder, Jugendliche und Erwachsene leben längst in Ein-Eltern-Familien, Patchwork-Familien oder Regenbogenfamilien. Viele Menschen stehen auch ohne Trauschein füreinander ein. Das Familienrecht muss den gesellschaftlichen Realitäten endlich angepasst werden. Die Anerkennung und Förderung verschiedener Familienmodelle ist überfällig. Die Vielfalt von Lebensentwürfen muss in die Bildungspläne aller Kindergärten und Schulen. Wir brauchen aufgeklärte und selbstbewusste Jugendliche und Erwachsene, die ihr Leben nach ihren eigenen Bedürfnissen gestalten und dabei die Bedürfnisse und Grenzen anderer achten. Zur Anerkennung gehört als ein zentraler Baustein die rechtliche Gleichstellung: Lesben und Schwule müssen heiraten und Kinder adoptieren dürfen.
Sex gehört für fast alle Menschen zu einem glücklichen Leben und existiert unabhängig von Liebe. Der Staat muss die sexuelle Selbstbestimmung aller Menschen achten und schützen. Jeder Mensch weiß selbst am besten, wen er begehrt, und kann entscheiden, wie die eigene Sexualität gelebt wird, solange dabei die Selbstbestimmung anderer nicht eingeschränkt wird. Zur sexuellen Identität eines Menschen gehört auch der eigene Körper. Niemand weiß besser, welches Geschlecht eine Person hat, als sie selbst. Wir brauchen daher Gesetze, die die Würde und Selbstdefinition insbesondere von Trans* und Inter* schützen.
Wir setzen uns für ein vielfältiges und modernes Land ein, das allen Menschen ein freies und glückliches Leben nach ihren Bedürfnissen ermöglicht. Deshalb leisten wir Widerstand gegen alle, die Hass gegen Minderheiten fordern und fördern. Besonders wehren wir uns gegen Versuche, LSBTIQ* gegen andere Minderheiten auszuspielen. Wir stellen uns gegen alle religiösen und völkischen Vorstellungen, die uns vorschreiben wollen, was eine echte Familie ist oder wann, ob und mit wem wir Sex haben dürfen. Wir lehnen es ab, wenn Heterosexualität für wünschenswerter oder "gesünder" erklärt wird als Homo- oder Bisexualität. Artikel 3 des Grundgesetzes muss um den Schutz vor Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung oder geschlechtlichen Identität erweitert werden.
Wir leisten Widerstand gegen die Pathologisierung von Inter* und Trans* und fordern Respekt und Anerkennung, statt falschem Mitleid und "Heilungsversuchen". Besonders letztere verursachen bis in die Gegenwart auch bei Schwulen und Lesben schwere seelische Schäden. Alle Opfer von Verfolgung aus Gründen der sexuellen Orientierung und geschlechtlichen Identität müssen Wiedergutmachung erfahren. Wer aus diesen Gründen bei uns Schutz vor Verfolgung sucht, muss das Recht haben, in unserem Land ein Leben in Freiheit, Würde und Sicherheit zu führen.
Wir, die Unterzeichnenden, verpflichten uns, dieses unvollendete Projekt der Aufklärung entschieden fortzusetzen, bis sein Ziel erreicht ist: Die Gleichwertigkeit aller Menschen vor dem Gesetz und im Alltag – und zwar unabhängig von ihrer Herkunft, ihrer geschlechtlichen Identität, ihrer sexuellen Orientierung, ihrem Glauben und ihren körperlichen Fähigkeiten.
Bei den anstehenden Wahlen geht es um die Frage, in was für einer Gesellschaft wir leben wollen. Wir fordern alle Lesben, Schwule, Bisexuellen, Trans*- und Inter* auf, nur für solche Parteien zu stimmen, deren Programm nicht im Widerspruch zu einer vielfältigen und offenen Gesellschaft steht, die von gegenseitigem Respekt getragen wird.
Darüber hinaus fordern wir alle Menschen auf, sich jenen entschieden in den Weg zu stellen, die die Diskriminierung von LSBTIQ* fortführen oder sogar von einer Welt träumen, in der es ausschließlich heterosexuelle Männer und Frauen gibt, die innerhalb traditioneller Familienmodelle ihre Rollenbilder ausfüllen.
Werde ich sofort unterschreiben, sobald das technisch möglich ist.